Kunstschau "Gegenwarten" Wie ein Wal in Chemnitz auf die Klimakrise aufmerksam machen soll
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21. Juni 2024, 13:08 Uhr
Die Kunstschau "Gegenwarten" kehrt mit zeitgenössischer Kunst an öffentliche Orte in Chemnitz zurück. Bei der Premiere vor vier Jahren sorgten ein versenkter Skoda im Chemnitzer Schlossteich und eine überdimensionale Skulptur von Karl Marx‘ Darm für Aufsehen und Kritik. Nun folgt die zweite Ausgabe des Public Art-Projekts der Kunstsammlungen Chemnitz. Unter dem Titel "New Ecologies" setzen sich Künstlerinnen und Künstler mit den Themen Klima, Ökologie und Nachhaltigkeit auseinander.
- Von Juni bis September 2024 bringt die Kunstschau "Gegenwarten" zeitgenössische Kunst nach Chemnitz.
- Die zweite Ausgabe der Schau im öffentlichen Raum widmet sich den Themen Klimakrise, Nachhaltigkeit und Ökologie.
- Die Veranstalter hoffen, dass die Kunstwerke Debatten in der Stadt auslösen.
Stellen Sie sich vor, Sie fahren mit dem Auto in eine Tiefgarage und plötzlich liegt da auf den Parkflächen ein 14 Meter langer Wal – auf dem Rücken. Ein irritierender Moment, dem sich Chemnitzerinnen und Chemnitzer jetzt unter dem Theaterplatz aussetzen können. Denn der aus Israel stammende Bildhauer Gil Shachar hat dort einen originalgroßen Abguss eines Walkadavers, der an der Küste Südafrikas angespült worden war, platziert.
Der Künstler sagt: "Das passt von der Stimmung her ganz gut. Irgendwie verstärkt der Wal die Melancholie, das ist an sich schon eine traurige Geschichte." Wie eine Mahnung erscheint der graue Monolith: Klimawandel, Müll in den Ozeanen und Beifang in Fischernetzen bedrohen Meerestiere zunehmend.
Baugrube in Chemnitz wird zum Kunstwerk
Doch es gibt noch andere Umweltprobleme, die thematisiert werden. Im Fall der Künstlergruppe Ooze ist es eine Baugrube mitten in der Stadt neben dem Tietz, die seit Jahren darauf wartet, dass dort Wohn- und Geschäftshäuser entstehen. Die Architektin und Stadtplanerin Eva Pfannes von Ooze erläutert: "So eine Baugrube ist ja immer interessant, das ist ja so eine Art Fenster in die Zukunft, man spiegelt die Erwartungen, was da wohl entstehen wird."
Bei seiner Recherche zur Geschichte von Chemnitz ist das Kollektiv auf den versteinerten Wald gestoßen. Der ist vor 290 Millionen Jahren entstanden, zu einer Zeit, in der es weitaus heißer war als heutzutage, und zwei Exemplare dieses Urzeitfarns liegen jetzt in einem extra gegrabenen, sich über das Areal schlängelnden Riss, neben frisch Gepflanztem. "Jetzt sieht man hier verschiedene Farnsorten, die sich ganz gut an dieses heiße Klima anpassen", erläutert Pfanner.
20 Kunstwerke in der Chemnitzer Innenstadt
Diese Arbeit mit dem Titel "Urzeitriss" wird sich in den nächsten drei Monaten entwickeln, so lange läuft die Kunstausstellung "New Ecologies. Gegenwarten II" in der Chemnitzer Innenstadt. Dafür haben die Kunstsammlungen Chemnitz Künstlerinnen und Künstler eingeladen, für bestimmte Orte Werke zu entwickeln, die Klimawandel, Ökologie und Nachhaltigkeit zum Thema haben. Im Vorfeld gab es Arbeitsaufenthalte in Chemnitz mit Workshops und Führungen. Das Ergebnis: 20 Kunstwerke überall im Zentrum verteilt.
Co-Kurator Florian Matzner erläutert: "Es geht um die Pflanzenwelt, die Tierwelt, es geht um Wasser als Ressource, es geht tatsächlich auch um den Energieverbrauch des Internets." Diese Dinge des täglichen Lebens würden alle Menschen betreffen und niemand könnte sagen, er hätte damit persönlich nichts zu tun.
Chemnitzer Kunstschau will Debatten auslösen
Das alles scheint ohne den erhobenen Zeigefinder zu funktionieren. Vielmehr wirkt das Ganze oft spielerisch und möglicherweise ja auch inspirierend, hofft Co-Kuratorin Anja Richter vom Museum Gunzenhauser: "Das sind eben auch Utopien. Wir hoffen natürlich, dass die auch ein Umdenken und vielleicht auch einen Anstoß in der Stadtplanung auslösen." Es ginge um die Frage, wie das Leben in der Stadt in Zeiten der Klimakrise überhaupt aussehen könne. Anja Richter hofft, dass durch Kunst etwas angestoßen wird in der Stadt.
Wir hoffen, dass die Kunstwerke auch ein Umdenken und vielleicht auch einen Anstoß in der Stadtplanung auslösen.
Anders als bei der ersten Ausgabe 2020 sind die heftigen Diskussionen vorab um einzelne Arbeiten, wie den versenkten Skoda im Schlossteich, ausgeblieben. Bisher. Aber sicher wird die Ausstellung auch dieses Mal die AfD und Pro Chemnitz auf den Plan rufen, die seither dieses Projekt wie auch die Kulturhauptstadt attackieren und deren Sinn und Finanzierung in Frage stellen. Eine konstruktiv-kritische Auseinandersetzung mit den Kunstwerken ist aber von den Ausstellungsmachern ausdrücklich erwünscht.
"Chemnitz wird nächstes Jahr Kulturhauptstadt und seit dem Gewinn dieses Titels finden unfassbar viele Dinge im öffentlichen Raum statt. Viele Themen werden verhandelt und vielleicht gewöhnt man sich jetzt auch mal daran, dass man auch mit Kunst Fragestellungen auftun kann und Diskurse im öffentlichen Raum führen kann", sagt Co-Kuratorin Richter.
In einer Sache ist man sich bei "New Ecologies. Gegenwarten II" allerdings treu geblieben: Auch dieses Mal wurde ein Auto unter Wasser gesetzt. "Blind Date" nennt das Künstlerinnen-Duo Haubitz + Zoche seinen alten, bis zur Sitzoberkante mit Wasser gefüllten BMW. Gerade erst war das bei der Hochwasserkatastrophe in Süddeutschland wieder traurige Realität. Die Farbe des Autos, das am Archäologiemuseum smac geparkt ist, spricht dabei für sich: Gletscherblau.
Service-Informationen zur Kunstschau:
"New Ecologies. Gegenwarten II"
Vom 21. Juni bis 29. September 2024
Standorte:
- Kunstsammungen Chemnitz
- Museum Gunzenhauser
- Open Space hinter dem Karl-Marx-Monument
- Galerieräume des Klub Solitaer
- Universitätsbibliothek
- Stadtbad
- Tiefgarage Theaterplatz
Eintritt: kostenfrei
Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. Juni 2024 | 07:40 Uhr