Sexuelle Übergriffe Landeskirche bittet bei Missbrauchsopfern für Fehler um Entschuldigung
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18. Juli 2020, 11:10 Uhr
Mehrere Frauen zeigen einen Kantor an, der sie vor Jahren im Kinderchor sexuell übergriffig berührt hat. Als sich der Pfarrer um Aufarbeitung bemüht, stößt er nicht nur in seiner Erzgebirgsgemeinde an Grenzen. Auch die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsens reagiert erst umfassend, nachdem überegional über die Vorfälle berichtet wird. Nun hat die Kirche bei den Opfern um Entschuldigung gebeten und will die Missbrauchsfälle von einer Expertenkommission aufarbeiten lassen.
Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens hat mehrere Frauen um Entschuldigung gebeten, die Opfer von sexuellen Übergriffen in den 1990er-Jahren geworden sind. In der Kurrende in Pobershau im Erzgebirge, dem evangelischen Kinderchor, seien drei Mädchen im Alter von elf bis 15 Jahren von einem ehrenamtlichen Mitarbeiter sexuell bedrängt worden. Ermittlungen nach drei Anzeigen gegen den mutmaßlichen Täter wurden wegen Verjährung eingestellt, teilte die Staatsanwaltschaft Chemnitz mit. "Wir sind als Landeskirche den Betroffenen nicht ganz gerecht geworden", gab die Sprecherin des Landeskirchenamtes, Tabea Köbsch im Gespräch mit MDR SACHSEN zu.
Aus aktuellem Anlass im Erzgebirge will Landeskirche in den kommenden Wochen eine Kommission zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt gründen und finanzieren.
Es fehlte uns an manchen Stellen die notwendige Sensibilität im Umgang mit den Betroffenen. Dafür entschuldigen wir uns heute.
Öffentlich bekannt geworden waren die Fälle 2018, als sich ein Vater einer Betroffenen im Vertrauen an Pfarrer Burkhard Wagner wandte. Dem Magazin "Spiegel" sagte der Pfarrer, der seit 2015 in Pobershau arbeitet: "Ich wusste nur, ich werde nicht schweigen." Wagner habe mit den betroffenen Opfern gesprochen und den beschuldigten ehrenamtlichen Kirchenmusiker zur Rede gestellt. In einer Erklärung habe der im Frühjahr 2019 "einzelne unsittliche Berührungen von mir bei Mädchen aus der Kurrende" zugegeben. Der Kantor wurde 2019 vom Dienst suspendiert.
Versäumnisse der Landeskirche
Dass die Landeskirche nun eine Aufarbeitungskommission aufbauen will, steht im direkten Zusammenhang mit der Medienberichterstattung in der ersten Juliwoche 2020 - bestätigt die Landeskirche auf Nachfrage. Pfarrer Wagner fühlte sich bei der Aufdeckung der Missbrauchsfälle in Pobershau weitgehend auf sich gestellt und baute auf Hilfe einer Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt, kritisierte er im Spiegel-Interview. Für Nachfragen von MDR SACHSEN dazu war der Pfarrer urlaubsbedingt nicht erreichbar.
"Als die Fälle 2019 in der Kirchgemeinde bekannt wurden, gab es lange Gespräche von Seiten des Ortspfarrers, des Superintendenten, auch Personen aus dem Landeskirchenamt waren beteiligt. Aber was man heute sagen muss, eine Aufarbeitung kann nicht alleine in der Kirchgemeinde stattfinden", urteilte Tabea Köbsch und räumte Versäumnisse und das Fehlen eines professionellen Teams bei der bisherigen Aufarbeitung ein. Zumal nicht ausgeschlossen werden könne, dass es weitere Betroffene gebe.
Wir haben an diesem Fall gelernt, dass eine Aufarbeitung vor Ort nicht ausreicht, sondern dies Aufgabe auch der Landeskirche ist.
Umgang mit sexuellem Missbrauch spaltet Pobershau
Hört man sich in Pobershau um, scheint die Kirchgemeinde tief gespalten zu sein. Mitglieder des Kirchenvorstands beschrieben die Vorfälle als "schwierig für den Ort", zu denen "die Meinungen der Kirchenmitglieder gespalten" seien. Dem "Spiegel" berichtete Pfarrer Wagner von empörten Reaktionen und Briefen, die er 2019 erhalten habe. Darin seien die sexuellen Übergriffe verharmlost worden, während dem Pfarrer vorgeworfen wurde, er habe den in der Gemeinde beliebten Kantor vor ein Tribunal gestellt.
Neben möglicher finanzieller Entschädigungen für die Opfer, um die es bei der Aufarbeitung der Fälle auch geht, sieht Landesbischof Tobias Bilz seine Kirche grundsätzlich in der Verantwortung. "Als Landesbischof fühle ich große Betroffenheit und Scham, dass diese Taten im kirchlichen Kontext erfolgt sind. Wir können erlebtes Leid nicht ungeschehen machen. Wir sind es aber den Opfern, unserer Kirche und der Gesellschaft schuldig, uns damit auseinanderzusetzen, wie es dazu kommen konnte. Und wie wir verhindern, dass solche Dinge zukünftig wieder passieren."
Quelle: MDR/kk/wn/epd
Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | 18.07.2020 | 07:50 Uhr Notizen aus Religion & Kirche