Interview Über die eigenartige Faszination großer Gemeinschaftsfeuer
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27. April 2023, 10:00 Uhr
Tage zuvor bringen Menschen Holz, Äste und Reisig zum Sammelort, wo ein großes Holzhaufen aufgeschichtet wird. Das passiert seit Jahrhunderten stets am 30. April in den Dörfern und Städten Sachsens. Was steckt hinter dem Brauch der Besen- oder Hexenfeuer in der Walpurgisnacht? Warum gibt es die andernorts nicht, wo eher Osterfeuer prasseln? Das hat sich MDR SACHSEN von der Kulturwissenschaftlerin und Vize-Direktorin des sorbischen Instituts, Dr. Susanne Hose, erklären lassen.
Warum feiern Menschen in Sachsen den 30. April mit Feuern?
Susanne Hose: Da muss man sich in die Zeiten zurückversetzen, in denen es keinen Strom gab. Man wünschte das Ende der dunklen Zeit des Winters herbei, in denen die Menschen mit dem spärlichen Licht der Talgleuchten auskommen mussten. Die Menschen sehnten sich nach Licht und Wärme. Die Winter waren kälter und länger als heute. Die Meteorologie spricht von der Kleinen Eiszeit vom 15. bis 19. Jahrhundert. Das heißt, der Bach im Dorf taute erst gegen Ostern wieder auf und die Veilchen blühten im Mai, wie im bekannten Volkslied "Komm, lieber Mai, und mache" besungen.
Der Übergang vom Winter zum Frühling wurde mit sehr großer Ernsthaftigkeit gefeiert. Das besaß fast sakralen Charakter. Seit Jahrhunderten kommen die Menschen nach dem dunklen Winter an großen Gemeinschaftsfeuern zusammen. Das war und ist ein Lichterlebnis. Dabei war das Errichten großer Holzhaufen vor 200, 300 Jahren nicht selbstverständlich. Holz aus dem Wald zu holen, war verboten, denn der Wald gehörte dem Gutsherrn, der Stadt oder der Kirche. Nur Reisig und Tannenzapfen durften fürs Herdfeuer gesammelt werden. Das war meist die einzige Wärmequelle im Haus.
Diese großen, traditionellen Gemeinschaftsfeuer strahlen eine eigenartige Faszination aus.
Aber nach dem Winter gab es das große Feuer in der Dorfmitte, zu dem jeder etwas beitrug – alte Besen aus dem Vorjahr oder nicht mehr reparable Haushaltsgegenstände. Je höher der Holzstapel war, desto heller und weiter das Licht strahlte, umso besser das Jahr im Dorf, umso reicher die Ernte und umso weniger Krankheiten für Mensch und Vieh. Man darf nicht vergessen: Die Angst der Menschen vor Dämonen war wahnsinnig groß, besonders vor denen, die krank machen – vor dem Teufel und Hexen.
Was hat das mit den Feuern zu tun?
Das hat etwas mit der magischen Kraft zu tun, die die Menschen früher den Elementen Feuer und Wasser, besonders dem fließenden, zuerkannten. Beide haben eine reinigende Wirkung und vernichten das Alte, Unreine oder Kranke. Ins Feuer, meist jedoch ins Wasser, wurde alle Jahre im Frühjahr der Tod aus dem Dorf getrieben. Der erste aktenkundige Beleg dafür stammt aus dem 14. Jahrhundert. Der Prager Erzbischof verbot mit einem Erlass das sogenannte Todaustreiben. In den ländlichen Regionen veranstalteten die Menschen Umzüge mit einer Strohpuppe vors Dorf, klagten sie an und verbrannten sie oder warfen sie ins Wasser.
Dazu muss man wissen, dass in dieser Zeit die ersten großen Pestwellen Böhmen erreicht hatten und die Menschen in Angst und Schrecken versetzten. Sie versuchten, der Krankheit mit etwas Wirksamem zu begegnen. Etwas, das sie kannten. Eine Prozession, die sie bis dahin meist nur als Zuschauer am Wegesrand erlebt hatten. Jetzt konnten sie mitlaufen und aktiv etwas gegen die Krankheit tun, für deren Auftreten sie Dämonen und ihre menschlichen Helfer - Hexer und Hexen - verantwortlich machten.
Bei Angst und Unsicherheit griff man nach jedem Strohhalm, auch zur Verschwörung gegen Mitmenschen. Trotz Verbots ist das Todaustreiben als Frühlingsbrauch bis ins 19. Jahrhundert erhalten geblieben, nicht zuletzt auch, weil die Dorfgeistlichen es mittrugen und offensichtlich für das geringere Übel hielten.
Warum ist der 30. April die Walpurgisnacht?
- In vorchristlichen Zeiten vertrieben Menschen in Nord- und Mitteleuropa in der Nacht den Winter und tanzten verkleidet ums Feuer, um böse Geister zu vertreiben.
- Mit Beginn der Christianisierung widmete die Katholische Kirche den Frühlingsbeginn der heiligen Walburga, der Schutzpatronin der Seeleute. Sie war im 8. Jahrhundert eine angelsächsische Benediktinerin und Äbtissin.
- Seit dem Mittelalter wurde sie am 1. Mai geehrt. Ihr Lebenslauf hat mit den Bräuchen am Vorabend des 1. Mais nichts zu tun. Die Menschen vertrieben vor dem Ehrentag der Walburga weiterhin mit heidnischen Bräuchen den Winter und das Böse.
Diese Bräuche zeigen sich in Lampionumzügen und dem Hexenbrennen heute auch noch?
Ja. Das symbolische Anklagen und Verbrennen einer Puppe geht auf einen Rechtsbrauch zurück. Für einen Verbrecher, dessen man nicht habhaft werden konnte, wurde stellvertretend ein Bildnis, also eine Puppe angeklagt und hingerichtet. Als Letzter soll 1851 der ungarische Revolutionär Lajos Kossuth "in effigie" (im Bildnis) hingerichtet worden sein, während er im Exil saß.
Heute irritiert uns das Verbrennen einer Puppe, denn wir haben durch unser Geschichtswissen einen anderen Zugang zu den fürchterlichen Hexenprozessen. Der letzte Prozess in Sachsen war 1689 in Delitzsch. Die Erinnerungen an das Leid dieser unschuldigen Menschen hallen in unserem kollektiven Gedächtnis nach.
Sollte man dann lieber von Maifeuern oder Walpurgisnachtfeuern sprechen?
Man sollte erklären, woher die Namen kommen. Bräuche sind immer im Wandel und entwickeln sich - wie die Menschen. Es liegt an den Brauchträgerinnen und Brauchträgern, wie sie ihre Feuer benennen wollen.
Gibt es in Sachsen regionale Unterschiede bei den Feuern?
Ja, terminlich. Vielerorts gibt es entweder Osterfeuer oder Hexenfeuer, wobei hier eine regionale Grenze zwischen der Oberlausitz (mit wenigen Ausnahmen) und der Niederlausitz erkennbar wird. Diese Grenze verläuft nördlich von Hoyerswerda und Bad Muskau. Man kann diese Linie weiter ziehen nach Nordsachsen bis zur Elbe, wo eher Osterfeuer entzündet werden. Südlich der Linie feiern die meisten Orte Hexenbrennen oder Hexenfeuer. Die Grenze verweist auf administratives Eingreifen im 18., 19. Jahrhundert. Das heißt, dass zum Beispiel die Standesherrschaften oder auch die kirchlichen Instanzen entschieden haben, wo was gefeiert wurde. Nicht zuletzt musste Obacht vor Unfug gegeben werden, vor allem aber vor Flächenbränden.
Was unterscheidet die Hexenfeuer vom Osterfeuer?
Wie gesagt, der Termin. Wir können davon ausgehen, dass auch bei den Osterfeuern früher eine Puppe verbrannt wurde. Denn die Osterfeuer heißen bis heute in einigen Orten Judasfeuer. Dabei wird Judas für seinen Verrat an Christus symbolisch hingerichtet. Es gibt Orte in Polen, Griechenland, Argentinien, aber auch in Bayern, wo die Feuer noch so heißen, wobei wohl die wenigsten Teilnehmer eine Verbindung zur Verfolgung jüdischer Menschen knüpfen. Im Vordergrund stand ursprünglich die reinigende Kraft des Feuers, dessen war man sich bewusst. Und die Abwehr böser Geister, die Freude aufs Licht und das Gemeinschaftserleben.
Das lockt auch im 21. Jahrhundert die Menschen in Scharen ans Feuer?
Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen. Früher bestand der Alltag der Leute aus Arbeit, meist in Gemeinschaft und solange das Tageslicht sie zuließ. Auch die wenige Freizeit verbrachte man mit Menschen. Mit dem Umgang mit Maschinen geht die Vereinzelung der Menschen einher, heute die Konzentration auf elektronische Geräte. Die Begeisterung fürs Hexenbrennen heutzutage macht aber spürbar, wie sehr wir die Gemeinschaft brauchen, dass wir uns freuen, uns wieder in großer Runde zu treffen, dass Jung und Alt miteinander reden, etwas trinken und feiern können.
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 30. April 2023 | 19:00 Uhr