Fremdenfeindlichkeit Hochschule Zittau mischt sich in Debatte um Flüchtlingsheim ein
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27. April 2023, 06:00 Uhr
Die Hochschule Zittau/Görlitz hat sich mit einem Aufruf zu mehr Menschlichkeit in die Debatte um das Flüchtlingsheim in Hirschfelde eingemischt. Rektor Alexander Kratzsch ärgert vor allem, dass mit falschen Behauptungen Stimmung gemacht wird. Auch, weil potenzielle Fachkräfte abgeschreckt werden könnten. Das Beispiel des syrischen Studenten Ali Al Hamad zeigt, wie Integration gelingen kann. Er ist so eine Fachkraft von morgen.
Wenn Ali Al Hamad über das ostsächsische Städtchen Zittau spricht, kommt er regelrecht ins Schwärmen: "Die Leute sind nett, es gibt viel Natur, man kann alles schnell erreichen, und es ist ruhig - perfekt zum Studieren." Die Atmosphäre an der Hochschule sei familiär, Kommilitonen und Professoren hilfsbereit und freundlich, berichtet der Student aus Syrien.
Zurzeit macht er ein Praxissemester in Dresden im Uniklinikum. Doch sobald das vorbei ist, will er zurück nach Zittau, um dort sein Masterstudium der Pharmazeutischen Biotechnologie abzuschließen. Je nachdem, was sich beruflich ergibt, möchte er nach dem Abschluss auch in der Stadt im Süden des Landkreises Görlitz bleiben.
2016 flüchtete Al Hamad vor dem Krieg in Syrien nach Deutschland. Die erste Zeit lebte er in einem Flüchtlingsheim in Chemnitz und lernte Deutsch mithilfe von Youtube. Dann machte er Sprachkurse, schrieb sich an der Hochschule in Zittau ein und machte schließlich seinen Bachelor in Molekularer Biotechnologie.
In Sachsen nie diskriminiert worden
Er sagt, er sei in Sachsen nie diskriminiert worden: "Es gibt ja diese Vorurteile über Sachsen und Zittau, dass man als Ausländer Probleme bekommt." Er sei seit Jahren in Sachsen und habe nie Rassismus am eigenen Leib erfahren. Zwar hätten ihm andere ausländische Studenten erzählt, sei seien unfreundlich behandelt worden, zum Beispiel im Supermarkt. Aber er sei sich nicht sicher, ob das etwas mit ihrer Herkunft zu tun habe, wie sie vermuten. Es könne auch einfach Unhöflichkeit gewesen sein, die die Kommilitonen erlebt haben. Die gebe es schließlich in jedem Land.
Al Hamad sagt aber auch, dass er potentiell gefährlichen Situationen aus dem Weg geht. Wenn Demos von rechten Gruppierungen stattfinden, meidet er diese Orte. "Man hört, dass diese Leute aggressiv sein können, und möchte das einfach vermeiden. Aber dass es in Sachsen oder in Zittau so schlimm ist, wie es in den Medien dargestellt wird, das glaube ich nicht", sagt er.
Syrischer Student macht sich Sorgen um den Ruf von Zittau
Die Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Hirschfelde hätten ihn überrascht. Könnten sie Einfluss haben auf seine Entscheidung, ob er in der Stadt bleibt oder nicht? "Für mich persönlich Nein, denn ich habe in Zittau nie etwas Schlimmes erlebt und habe einen guten Eindruck von der Stadt. Aber ich mache mir Sorgen."
Denn ausländische Schüler und Studenten würden sich über Zittau erkundigen, bevor sie sich um einen Studienplatz bewerben. Würden sie dann hören, auf welche Weise die Menschen gegen das Flüchtlingsheim protestieren, könnten sie sich gegen Zittau entscheiden, glaubt Al Hamad. "Und das beeinflusst die Stadt negativ."
Rektor Kratzsch: "Wir brauchen mehr Fachkräfte aus dem Ausland"
Dass es negative Folgen für Zittau hätte, wenn weniger ausländische Studenten an die Hochschule kommen würden, davon ist auch Alexander Kratzsch überzeugt. "Ein knappes Drittel unserer Studierenden kommt nicht aus Deutschland. Und das werden wir steigern müssen", sagt der Rektor der Hochschule Zittau/Görlitz. Denn die Region sei angewiesen "auf die Fachkräfte, die am Ende rauskommen." Andernfalls werde es zum Beispiel in der Pflege und in technischen Berufen bald an Arbeitskräften mangeln.
Um diesem Problem etwas entgegenzusetzen, müsse man auch die Geflüchteten besser integrieren: "Wir haben sicher ganz viele Fachkräfte schon in den Asylbewerberheimen sitzen", sagt er. Man müsse nun überlegen, wie man diese Menschen in Arbeit bringen kann. Da sei auf der Ebene der Bundespolitik noch viel zu tun.
Und auch Wissenschaft und Bildung würden ohne Internationalisierung nicht funktionieren, sagt Kratzsch. Als Ende März die rechtsextremen Freien Sachsen gemeinsam mit Zittauer Bürgern auf dem Marktplatz gegen das geplante Flüchtlingsheim in Hirschfelde demonstrierten, nahm Kratzsch an der Gegendemo teil mit dem Titel "Weltoffenes Dreiländereck". Als er dort einen Kollegen aus Brasilien traf, habe er sich überlegt: "Was hätten wir alles nicht in der Forschung, wenn der seine Expertise nicht eingebracht hätte?" Der Kollege arbeite im Leichtbau und habe viel Fachwissen mitgebracht nach Zittau. "Und wenige Meter weiter sind Menschen, die sagen, wir brauchen niemanden von außen."
Hochschule mischt sich in Debatte um Flüchtlingsheim ein
Als kurz darauf ein Kollege vorschlug, die Hochschule könne einen Aufruf zu Offenheit und Menschlichkeit veröffentlichen, fand Kratzsch die Idee gut, auch vor dem Hintergrund dieser Erfahrung. Denn diese beiden Werte seien "das A und O", das müsse man immer wieder deutlich machen. Kratzsch wandte sich an das Internationale Hochschulinstitut Zittau (IHI), es entstand eine gemeinsame Erklärung.
Aus dem "Aufruf zu Offenheit und Menschlichkeit"
In einer gemeinsamen Erklärung beziehen die Hochschule Zittau/Görlitz und das Internationale Hochschulinstitut Zittau Stellung zu der Debatte rund um das geplante Flüchtlingsheim in Hirschfelde. In der gemeinsamen Erklärung heißt es: "Voraussetzung für jede demokratische Debatte ist Menschlichkeit. Ohne Menschlichkeit droht eine Gesellschaft zu verrohen und den sozialen Zusammenhalt zu verlieren. Menschlich handeln wir, wenn wir uns gegenseitig als Menschen mit grundsätzlich gleichen Rechten anerkennen sowie respektvoll, unterstützend und solidarisch miteinander umgehen – egal ob es sich um alte Bekannte, uns unbekannte deutsche Staatsbürger*innen oder um Menschen handelt, die in unserem Land Schutz vor Verfolgung, Krieg oder Arbeit und persönliches Lebensglück suchen."
Dabei findet Kratzsch es richtig, dass die Gegner des Flüchtlingsheims ihre Kritik ausdrücken, ihn stört aber die Art und Weise: Man könne Dinge unterschiedlich sehen, aber der Diskurs müsse menschlich und auf Augenhöhe stattfinden. "Und definitiv sollte man nicht irgendwelchen Rattenfängern hinterherrennen".
Ihn störe auch, dass viele der Gegner des Heims davon ausgehen würden, dass die Flüchtlinge, die darin untergebracht werden sollen, alle kriminell sind. "Das nervt!", findet Kratzsch. Denn "das ist einfach nicht in Ordnung. Weil das nicht so ist. Das kann keiner wissen." Er sei aber überzeugt, dass "die allermeisten" Zittauer offen sind für andere Menschen.
Menschen aus aller Welt kommen ans Studienkolleg Zittau
Das Zittau aus Al Hamads Erzählungen wirkt tatsächlich weltoffen und tolerant. Doch wie geht es anderen Menschen aus dem Ausland in Zittau? Ein guter Ort, um mit diesen ins Gespräch zu kommen, ist das Studienkolleg der Hochschule in Zittau: Menschen aus aller Welt lernen hier für ihre deutsche Hochschulzugangsberechtigung, das Abitur ihrer Herkunftsländer wird in Deutschland als solche nicht anerkannt. Was ist ihr Eindruck von der Stadt?
An der Tafel steht "Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag" für den armenischen Mathe-Dozenten in dessen Landessprache. Die Schüler haben die Glückwünsche an die Wand geschrieben und mit bunter Kreide einige Luftballons darum herum gemalt. Die Gruppe ist bunt gemischt: Schüler aus Vietnam, Kolumbien, Mexiko, Kasachstan, der Ukraine und Russland sind heute anwesend. Normalerweise ist die Gruppe viel größer, aber heute fehlen die muslimischen Schüler, es ist Zuckerfest.
Kollegiaten fühlen sich wohl in Zittau
Wie erleben die heute Anwesenden die Proteste gegen das Flüchtlingsheim in Zittau? "Wir kriegen davon nicht viel mit. Es ist für uns kein großes Thema", sagt Brenda Betancourt, eine Studentin aus Mexiko. Sie habe in Zittau aufgrund ihrer Herkunft noch nie etwas Negatives erlebt. Sie sagt aber, dass sie von ihren indonesischen Mitschülerinnen gehört habe, dass sie angefeindet worden seien.
Alles in allem gefällt es allen sechs Kollegiaten gut in Zittau: Die Nähe zu Polen und Tschechien, die Atmosphäre, die Hochschule, die Menschen, das alles sei toll. Gegen Zittau spricht für die Gruppe eher, dass es eine kleine Stadt ist, die weniger Möglichkeiten biete als größere Städte, sowohl beruflich als auch privat. Das sagen fast alle. Fremdenfeindlichkeit spielt für ihre Entscheidung, ob sie in Zittau bleiben oder in einer anderen deutschen Stadt studieren werden, bisher keine Rolle.