Dr.Alexander Gerst auf der Raumfahrtshow 2019 in Erfurt
Alexander Gerst kennt sich als Geophysiker mit Luftschichte aus. Trotzdem hat es ihn überrascht, wie dünn die Erdatmospähre aussieht. (Archivfoto) Bildrechte: imago images / Karina Hessland

ESA-Astronaut Alexander Gerst Mit 26 Millionen PS ins All: "Hatte ein richtig fettes Grinsen im Gesicht"

29. Juni 2024, 16:21 Uhr

Das wird es in der Oberlausitz so schnell nicht wieder geben. Am Freitag hatte sich der ESA-Astronaut Alexander Gerst auf das Podium im großen Hörsaal der Hochschule Zittau gestellt und über die Raumfahrt und Forschung im Weltall gesprochen. Der Hörsaal war voll, die Zuhörer begeistert und so mancher Studierender überlegt, nach den Sternen zu greifen.

Was ist, wenn Du mit Deinem Auto als einziger in eine Richtung fährst, aus der Dir alle anderen entgegenkommen? Nein, das ist nicht die Szene eines Himmelfahrtskommandos im Endzeitfilm, sondern genau so läuft es ab, wenn Astronauten zur Raketenrampe gefahren werden. 2018 startete der deutsche Raumfahrer Alexander Gerst in der kasachischen Steppe bei Baikonur zu seiner zweiten Langzeitmission ins All, begleitet von dem Russen Sergej Prokopjew und der US-Amerikanerin Serena Auñón.

"Man wusste, dass man in einem von 80 Fällen nicht zurückkommt", erklärt Gerst in einem vollen Hörsaal der Hochschule in Zittau das Risiko von Weltraumflügen. Die Studierenden hören gebannt zu, schließlich verirrt sich nicht alle Tage ein Esa-Astronaut in die Oberlausitz. Dass sich Gerst für einen Vortrag auf den Weg nach Zittau gemacht hat, ist hier eine echte Sensation. Immer wieder schießen Handys in die Höhe, um Fotos und Videos von dem hochgewachsenen Mann im blauen Fliegeranzug zu machen.

Der Start ist von außen betrachtet eine ganz wilde Sache. Die ganzen Explosionen, Steine fliegen, der Wahnsinn!

Alexander Gerst ESA-Astronaut

Astronaut Alexander Gerst gibt einen Vortrag.
Alexander Gerst spricht im Hörsaal der Hochschule in Zittau zum Risiko von Weltraumflügen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Smoother Abflug ins Universum

"Der Start ist von außen betrachtet eine ganz wilde Sache", sagt Gerst auf dem Podium. "Die ganzen Explosionen, Steine fliegen, der Wahnsinn!" In der Rakete selbst sei es aber ganz entspannt gewesen, als die Sojus durch die Wolkendecke immer weiter nach oben donnerte. Der ESA-Astronaut vergleicht es mit einer Leistung von 26 Millionen PS, die aber für die meisten Zuhörer kaum vorstellbar ist. Doch wird es mitreißend, als Gerst von der Beschleunigung schwärmt. "Das Geile ist, es hört einfach nicht auf. Ich hatte ein richtig fettes Grinsen im Gesicht."

Die Welt - das blaue Kügelchen

Dann kam doch der Moment, als die Rakete die Atmosphäre der Erde verließ. Ihn als studierten Geophysiker habe überrascht, wie schmal die Luftschicht ist, als er sie durchflog. "‘Alter Schwede‘, dachte ich, ‚das ist unsere Atmosphäre. Die sieht so aus, als ob man sie mit einem Atemzug wegpusten kann.‘"

Wir sind auf einem kleinen blauen Kügelchen.

Alexander Gerst ESA-Astronaut

Blick in einen Hörsaal, in dem Astronaut Alexander Gerst einen Vortrag gibt
ESA-Astronaut Alexander Gerst spricht an der Hochschule Zittau über seine Mission und die Perspektive von ganz oben. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Gerst widerfuhren Momente, wie sie beispielsweise Sigmund Jähn oder Juri Gagarin erlebten. Das Staunen über "das kleine blaue Kügelchen" und dass die Menschen mit dem, was sie dort haben, auskommen müssen, wie Gerst sagt. Gedanken über die Zerbrechlichkeit des Planeten, die menschliche Existenz, das große Ganze...

Man kann Krieg sehen

Diese Eindrücke, die der Astronaut auf der Internationalen Raumstation ISS zwischen den Routinen des Trainings und unzähliger wissenschaftlicher Experimente erlebte, haben seine Weltsicht verändert. Perspektiven, die er mit allen teilen wolle, die nicht das Privileg hatten, ins All zu reisen.

Aufnahme von Europa bei Nacht von ESA-Astronaut Alexander Gerst aus der Internationalen Raumstation ISS.
Wenn man von der ISS auf Europa bei Nacht herunterschaut, wird schnell klar, wer auf dem Planeten die dominierende Spezies ist. Bildrechte: ESA/NASA

"Wir konnten von oben Kriege sehen." Raketeneinschläge auf dem Boden flackerten von der ISS aus gesehen als Blitze auf der Erdoberfläche auf. "Da unten sterben Menschen und man kann von oben nichts machen, das gibt einem zu denken", beschreibt Gerst seine innere Zerrissenheit in jenen Momenten. Und wie das eigentlich grüne Europa in dem Trockenjahr 2018 vom All aussah: "Es war teils grotesk, was man von oben sieht. Europa war eine braune Wüste."

Statt Chinesischer Mauer der Lausitzer Tagebau

Aber es gab auch faszinierend Schönes: Meereswirbel, Stürme, die weiße Kreise über dem Planeten zeichnen, das Plasma des Sonnenwindes, das in Form von rotem und grünem Polarleuchten sichtbar wird. Die chinesische Mauer habe Gerst im Übrigen nicht mit dem bloßen Auge von der ISS aus ausmachen können. Diese Frage war ihm im Vorfeld von vielen Leuten gestellt worden. Seine Antwort lautet Nein.

Alexander Gerst schaut aus der Raumstation auf den blau leuchtenen Erdball.
Ländergrenzen gibt es im Atlas und auf der Karte. Vom All aus sieht man sie nicht. Bildrechte: NASA

Da es Ländergrenzen nur im Atlas als Linien gibt, sei es allgemein sehr schwer, herauszufinden, worauf man gerade genau heruntersieht. Wald erkenne man gut, Flüsse sehe man sehr schlecht. Der Astronaut brauchte viele Erdumrundungen, um zum Beispiel den Standort seiner Heimat Künzelsau herauszufinden. "Ich war am Anfang in der Schweiz gelandet." Was man über Deutschland tatsächlich mit bloßen Auge erkennen könne, seien neben dem Frankfurter Flughafen im Übrigen die Lausitzer Tagebaue.

Blick aus dem Weltraum auf Braunkohletagebaue.
Blick aus dem Weltraum auf die Braunkohletagebaue. Bildrechte: Repro: Madeleine Arndt

Kein Wäschewaschen auf der ISS

Natürlich hatte Gerst auf seiner mehr als hunderttägigen Mission in der ISS einen getakteten Arbeitsalltag. "Wir haben sehr viele Experimente in der Schwerelosigkeit gemacht." Ein wichtiger Punkt der Raumfahrt, wie der Astronaut betont. Denn bestimmte wissenschaftlichen Projekte bräuchten die Experimente im All, um in ihrem Forschungsbereich einen großen Schritt weiter zu kommen. Geforscht hatte Gerst mit seinem Astronautenteam unter anderem im medizinischen Bereich, so für Forschungen zu Alzheimer, Parkinson, Schlaganfall und Krebs. Etwa wurden Zellen in der Schwerelosigkeit gezüchtet.

Der ESA-Astronaut Alexander Gerst arbeitet mit dem NASA-Besatzungsmitglied und Kommandeur der Internationalen Raumstation an einem Experiment des DLR, bei dem mithilfe eines innovativen 3D-Fluoreszenzmikroskops Zellveränderungen in Echtzeit beobachtet werden. Dieses Experiment bietet einen völlig neuen Einblick in menschliches Gewebe, Zellkulturen, Mikroorganismen und Pflanzen im Weltraum.
Mehrere hundert Experimente wurden in der Schwerelosigkeit der ISS gemacht. Bildrechte: ESA / NASA

Das Leben auf der engen Raumstation sei nicht einfach gewesen und ein Höhepunkt für Gerst sein Außeneinsatz: "Man schwebt im Nichts und denkt ‚Das ist ein ziemlich geiler Job!‘" Wie das eigentlich mit der dreckigen Wäsche auf der ISS ist, wollte ein Zuhörer im Hörsaal wissen. Tatsächlich gebe es noch keine Waschmaschine, die in der Schwerelosigkeit funktioniere, antwortet Gerst. Die Sachen müssten also so lange wie es geht getragen werden und würden dann weggepackt.

Landung wie ein Verkehrsunfall

Nach 196 Tagen ging es für Gerst zur Erde zurück. Das war weniger entspannt, wie er berichtet. Während des Eintritts und Durchfliegens der Erdatmosphäre bildete sich eine immense Hitze. Während die beiden abgestoßenen Teile des Shuttles in Flammen aufgingen, schützte ein Hitzeschild die Astronauten in ihrer Kapsel. Es sei der Wahnsinn, so Gerst: "Das Raumschiff brennt und man sitzt drin und überlegt, wie lange das noch so geht, dazu kommt die Beschleunigung."

6G wirkten auf die Astronauten. Man könne sich das so vorstellen, als wenn man 200 Stundenkilometer auf der Autobahn fahre und dann auf Null in einer Sekunde abbremse. Auch der Einschlag auf dem Erdboden fühlte sich für Gerst trotz Fallschirm wie ein kleiner Verkehrsunfall an. "Die Russen nennen das eine weiche Landung."

Als Gerst aus der Kapsel stieg, an einem doch unbekannten Ort in Kasachstan, und die Erde roch, wusste er, er ist nach Hause gekommen. Der Weltraumflug hat seine Perspektive verändert.

Gruppenfoto dreier junger Männer 1 min
Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Lebt eure Träume!

Beflügelt hatte der Auftritt viele Studierende der Hochschule Zittau. Vor allem eine Message machte Eindruck: Dass es sich nämlich durchaus lohnt, ein hohes Ziel in Angriff zu nehmen, so wie Gerst sich damals für das ESA-Programm beworben hatte. "Egal, was ihr für einen Traum habt, ihr schuldet es eurem späterem 100-Jährigen Selbst, es einmal zu probieren. Die Chancen stehen gar nicht so schlecht, dass es doch klappt."

Porträt zweier junger Frauen
Die Studentinnen Yasmine Töpfer und Oliwia Sikorska fanden Alexander Gersts Auftritt sehr cool und inspirierend. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Vita Alexander Gerst • Geboren am 3. Mai 1976 in Künzelsau
• Beruf: ESA-Astronaut, Geophysiker
• ESA-Karriere: Seit 2009, erster Weltraumflug 2014 (Blue Dot Mission), zweiter Weltraumflug 2018 (Horizons Mission), erster deutscher ISS-Kommandant
• Aktuelle Position: Leiter der Abteilung "Astronaut Operations" am Europäischen Astronautenzentrum in Köln (seit 2023)
• Hobbys: Gleitschirmfliegen, Mountainbiking, Bergwandern, Klettern, Tauchen
• Auszeichnungen: Großes Verdienstkreuz, goldene Humboldt-Medaille, Senckenberg-Preis, Preis des Westfälischen Friedens.

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 28. Juni 2024 | 19:00 Uhr

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