Naturschutz Wie eine kleine Satzung große Bäume retten kann
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29. September 2023, 05:00 Uhr
Sogar schützenswerte Bäume dürfen in Sachsen ohne Antrag gefällt werden, wenn in der jeweiligen Kommune eine Gehölzschutzsatzung fehlt. Das ist in knapp einem Drittel aller Gemeinden der Fall. Doch warum ist das so?
- Bundes- und Landesgesetze reichen für Schutz nicht aus
- Durch Kontrolle und Pflege lässt sich das Fällen alter Bäume verhindern
- 400 junge Bäume im Wert von einer Million Euro ersetzen eine alte Eiche
Auf einem wuchtigen Stamm hatte die Eiche in Werdau ihre Krone wachsen lassen. 20 Meter breit spendete das grüne Blätter-Dach seinen Schatten und bot viel Raum für Insekten, Vögel und kleine Tiere. Direkt daneben stand auch noch ein mächtiger Ahorn. Anfang des Jahres wurden beide Bäume gefällt. In Werdau geht das ohne Genehmigung – wie auch in vielen anderen Städten und Gemeinden Sachsens.
"Ich bin da sehr traurig", sagt André Oehler, der die Eiche bereits seit seiner Kindheit kannte. Inzwischen ist er über 50 Jahre alt, engagiert sich als Landschaftspfleger eines Verbandes für den Erhalt heimischer Tiere und Pflanzen und setzt sich als Grünen-Stadtrat in Werdau für einen besseren Baumschutz ein.
Denn das Problem ist: Werdau bei Zwickau hat keine Gehölzschutzsatzung. Grundstückseigentümer müssen von Anfang Oktober bis Ende Februar keine Anträge stellen, wenn sie Bäume fällen wollen – es gelten nur Bundes- und Landesgesetze.
Nach diesen Gesetzen kann das Fällen eines Baums nur untersagt werden, wenn geschützte Tiere wie etwa Fledermäuse oder Spechte ihre Nist- und Ruheplätze in den Bäumen haben. Oder, wenn der Baum als außergewöhnlich schön und einzigartig gilt. Oder, wenn ihm eine historische Bedeutung nachgewiesen werden kann. Dann wird er zum Naturdenkmal.
Kommune kann nur mit Satzung eingreifen
Doch diese Gesetze würden für einen effektiven Schutz der Bäume im Ort nicht ausreichen, sagt die Leiterin des Umweltamtes im Landkreis Zwickau, Brit Wendler: "Es ist schwer durchzusetzen und bedarf natürlich auch das Zusammenwirken mehrerer Kräfte, die dann dafür sorgen, dass die entsprechenden Informationen auch bei der Naturschutzbehörde ankommen." Das sei eine Aufgabe der Kommune. Doch die könne nur eingreifen, wenn es eine Gehölzschutzsatzung gebe.
Darin liegt das Problem. Gehölzschutzsatzungen sind keine Pflicht. Einige Kommunen haben ihre Satzungen im Zuge einer Gesetzesänderung der sächsischen Regierung im Jahr 2010 abgeschafft. Viele Satzungen waren damals gesetzeswidrig und statt sie zu überarbeiten, fielen einige ganz weg. Das geschah auch in Werdau.
Den Gedanken, es würden dann die Kettensägen angeworfen und das ganze Stadtgebiet abgeholzt, den habe ich einfach nicht geteilt.
Der heutige Bürgermeister von Werdau stimmte vor 13 Jahren als Stadtrat für die Abschaffung der Satzung. "Den Gedanken, es würden dann die Kettensägen angeworfen und das ganze Stadtgebiet abgeholzt, den habe ich einfach nicht geteilt", erklärt Sören Kristensen (Unabhängige Liste). "Aber es ist in der Tat auch festzustellen, dass sehr wertvolle, sehr alte Bäume an Straßenrändern gefällt worden sind, die mit einer Baumschutzsatzung so wahrscheinlich nicht gefallen wären."
Wie viele Bäume genau durch die fehlende Gehölzschutzsatzung weggekommen sind, ist unbekannt, da die Stadt nicht informiert werden muss. Kontrollen für den Baumschutz gibt es in Werdau nicht.
Wie eine Stadt alte Bäume erhalten kann
Das sieht im nur 20 Kilometer entfernt gelegenen Kirchberg anders aus. Dort ist Jens Wegner als städtischer Kontrolleur für den Baumschutz eingesetzt. An diesem Tag schaut er sich große, alte Ahorne auf dem Grundstück von Marco Rehm an und bewertet deren Zustand: "Hier hast du schon mal Stellen, wo Rinde abplatzt, wo mal was sein könnte. Aber im Großen und Ganzen passt das schon."
Auch in Kirchberg fallen Bäume. Im vergangenen Jahr musste auf dem Grundstück ein 135 Jahre alter Ahorn umgesägt werden. "Das war halt ein trauriges Beispiel gewesen", erklärt Wegner. "Der ist einfach nur aufgrund der Trockenheit und ich sage mal wegen des schlechten Standortes kaputtgegangen."
Die Bäume stehen an einem öffentlichen Weg. Deshalb schaut sich Wegner diese jedes Jahr an, beurteilt die Verkehrssicherheit und gibt Pflegetipps. Ein Service der Stadt, damit Eigentümer ihre Altbäume erhalten. Ohne die städtische Baumberatung wäre es Marko Rehm wohl zu riskant, diese Bäume stehen zu lassen.
Es wird versucht, dass jeder einzelne Baum, der gefällt werden soll, auch von mir vorher angeguckt wird.
Doch gesunde Altbäume sind in Kirchberg heilig. Denn die Kommune verliert vermehrt Großbäume, auf Grund von Trockenheit, Stürmen und Borkenkäfer-Befall. "Es wird versucht, dass jeder einzelne Baum, der gefällt werden soll, auch von mir vorher angeguckt wird", sagt Kontrolleur Wegner. Mit ordentlicher Pflege und etwas Beschnitt könnten viele Bäume stehen bleiben. Bis zu 30 Fällanträge pro Jahr bearbeitet er.
Wie viel die Gehölzschutzsatzung in Kirchberg kostet, will die Stadt MDR Investigativ nicht verraten. In Werdau rechnet man mit 20.000 Euro pro Jahr, würde die Satzung wieder eingeführt werden. Aktuell spart man sich die noch.
Eine alte Eiche sind 400 Jungbäume
Deshalb ist bislang in Werdau auch nicht klar, warum genau die Eiche und der Ahorn gefällt wurden. Doch auch Ersatzpflanzungen können ohne Satzung nicht kontrolliert werden, denn diese sind ebenfalls darüber geregelt.
Um etwa die alte Eiche in Werdau mit ihrer 20 Meter-Krone zu ersetzen, braucht es recht viel. Das hat Professor Andreas Roloff von der Universität Dresden erst kürzlich ausgerechnet. Das Ergebnis ist selbst für den Baumforscher überraschend: "Die Blätter und die Blattfläche des Baumes sind entscheidend dafür, wie viel er schaffen kann an Kühlung, Luftbefeuchtung, CO-2-Bindung." Als Roloff die Oberfläche der Krone berechnet habe, dachte er beim ersten Blick auf das Ergebnis, er habe etwas falsch gemacht. "Inzwischen ist klar: Eine 20 Meter breite Krone, als Kugel vorgestellt, hat 1.250 Quadratmeter Oberfläche." Um diese zu ersetzen, bräuchte es 400 Jungbäume mit einer Kronenbreite von einem Meter. Die Kosten dafür: etwa eine Million Euro.
Sachsen hat Naturschutzgesetz wieder verschärft
Die Landesregierung hat 2021 das sächsische Naturschutzgesetz wieder verschärft. Die Bäume, die 2010 generell aus dem Schutz gefallen sind, dürfen nun wieder von den Kommunen geschützt werden. Doch sie müssen es nicht.
Eine Abfrage aller Landkreise in Sachsen ergab: Aktuell haben 119 von 418 Kommunen keine Gehölzschutzsatzung. Also 28 Prozent der sächsischen Kommunen haben derzeit keinen umfassenden Baumschutz. Doch warum gibt es nicht einen generellen Schutz auf Landesebene für wichtige Großbäume?
Der Wert von Bäumen wird heute höher eingeschätzt als noch vor zehn Jahren.
"Also eine generelle Schutzpflicht will der Landesgesetzgeber in Sachsen hier nicht vorschreiben, sondern die Kommunen sollen das in eigener Hoheit entscheiden", sagt der umweltpolitische Sprecher der Grünen im Sächsischen Landtag, Volkmar Zschocke. Bürgern, die gern den grünen Bestand in ihren Orten schützen wollen, empfehle er deshalb, sich an die jeweiligen Stadträte zu wenden.
In Werdau wird derzeit ein Vorschlag für eine neue Satzung erarbeitet. Bürgermeister Sören Kristensen wünscht sich eine umsetzbare Satzung, in der nur größere Laubbäume geschützt sind. Aber eine Satzung werde benötigt: "Manchen Dingen muss man Rechnung tragen. Auch, dass der Wert von Bäumen, von Natur, heute höher eingeschätzt wird als noch vor zehn Jahren."
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR exakt | 20. September 2023 | 20:15 Uhr
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