"Kompletter Betrug!" Warum Influencer aus Sachsen-Anhalt das Geschäft mit gekauften Likes verurteilen
Hauptinhalt
16. Januar 2020, 19:53 Uhr
Mehrere tausend Menschen folgen Matthias Burock und Marius Lauer auf Instagram. Sie haben nach eigenen Angaben noch nie Follower oder Likes gekauft. Doch erkaufter Ruhm ist längst üblich in der Influencer-Szene. Warum diese Entwicklung aus Sicht der beiden Magdeburger gefährlich ist.
Es geht alles ganz schnell. Ein kurzer Blick auf den Nutzernamen, wenn nötig noch auf das Profil, der Klick auf die drei Punkte, Follower blockieren und entfernen. Längst ist dieser Ablauf im Kopf von Matthias Burock abgespeichert. Zu oft musste der 44-Jährige aus Magdeburg ihn bereits ausführen, um Fake-Profile abzuwehren. "Ich bezeichne das durchaus als 'Angriff' auf meinen Account", sagt er. "Ich habe mir noch nie Follower oder Likes gekauft – und würde es auch nie tun."
Matthias Burock ist Daddy-Blogger. Seit der Geburt seines zweiten Kindes präsentiert der Magdeburger seinen mittlerweile fast 53.000 Abonnenten auf Instagram sein Leben als zweifacher Familienvater. 2016 war das. Und: "Instagram hat sich – zu meinem Bedauern – seitdem sehr verändert", sagt der Mann mit dem Nutzernamen "Daddy Cool". Dass zahlreiche Influencer, also Menschen mit Einfluss in den sozialen Netzwerken, sich Likes und Follower kaufen, sei ein offenes Geheimnis. "Für mich ist das Betrug", sagt Burock ganz klar. "Betrug an den echten Followern, Betrug an den Werbepartnern – und letztendlich auch an sich selbst."
Wettbewerbsverzerrung? Das passt nicht in die heile Instagram-Welt
Der Daddy-Blogger glaubt, es gibt nur einen wirklichen Grund, sich Follower und Likes zu kaufen: "Die Leute wollen Kooperationen mit Unternehmen. Sie wollen, dass Werbepartner auf sie aufmerksam werden. Oder sie haben einfach ein sehr großes Ego-Problem und wollen bei ihren Freunden angeben, aber letzteres ist reine Spekulation", sagt er. Denn viele Menschen jagen im Internet das schnelle Geld. Likes und Follower sind die Währungen in dieser Welt. Ruhm ist käuflich.
"Das ist immer ein Thema in der Szene", sagt Burock. "Zwar spricht das selten jemand offen aus auf offiziellen Events, man will ja keine schlechte Stimmung verbreiten oder gar als Hetzer gelten. Aber es ist allgegenwärtig – und sei es in unzähligen Chats." Ein wichtiger Punkt. Instagram ist die Plattform der schönen Bilder, der schillernden Persönlichkeiten, der guten Nachrichten. Da passen Debatten über mögliche Irreführung oder Wettbewerbsverzerrung nicht ins Konzept.
Wenn du dir Likes oder Follower kaufst, ist das hochgradig unfair.
Der erkaufte Ruhm ist ein Problem. Denn: "Du musst viel Arbeit reinstecken, du musst viel investieren, wenn du organisch wachsen willst – und zwar Zeit und nicht Geld", sagt Burock. "Wenn du dir dann Likes oder Follower kaufst, ist das hochgradig unfair gegenüber allen anderen, die ehrliches Wachstum aufbauen wollen. Da bin ich auch wütend, wenn ich das sehe. Ich finde das ungerecht und frech." Mittlerweile manipulieren Like-Händler weltweit die sozialen Medien.
Firmen prüfen, ob Follower echt sind
Für Firmen kann das gefährlich sein. Das weiß auch Matthias Burock: "Der Werbepartner verspricht sich ja eine entsprechende Reichweite, wenn er einen Influencer dafür bezahlt, ein Produkt zu präsentieren. Die bekommt er jedoch – logischerweise – nicht. Es sind ja quasi 'tote' Follower. Wenn ich dann sehe, dass nachweislich Likes oder Follower gekauft werden, würde ich mir als Unternehmen überlegen, rechtliche Schritte einzuleiten, um zu sehen, was sich da straf- beziehungsweise zivilrechtlich machen lässt."
Immer mehr Unternehmen überprüfen, ob die Follower echt sind, verankern sogar Vertragsstrafen in Kooperationsverträgen, wenn Likes oder Follower gekauft werden sollten. Konkrete Urteile zu der Thematik gibt es aber noch nicht.
"Daddy Cool" ahnt, woran das liegt: "Öffentlich so ein Verfahren auszufechten, kann für das Unternehmen auch wieder schlecht sein, wenn der Betroffene es seinen Followern oder anderen Influencern mitteilt. Andere Influencer wollen dann vielleicht nicht mehr mit ihnen arbeiten oder es kann in einem Shitstorm für die Firmen enden." Das ist der Teufelskreis des Herzchen-Geschäfts.
"Daddy Cool" fordert: "Instagram muss das unterbinden"
Wer trägt die Schuld an dem Geschäft mit dem erkauften Ruhm? Burock sieht allen voran Instagram und damit den Facebook-Konzern in der Verantwortung: "Ich kann die Plattform nicht verstehen. Dass sie es zulässt, dass Drittanbieter derart Einfluss nehmen, rein technisch gesehen. Instagram muss es endlich hinbekommen, das zu unterbinden." Laut eigenen Angaben löscht Facebook seit Jahren täglich Millionen Fake-Accounts und beschäftigt ein eigenes Team im Kampf gegen gekaufte Follower und Likes. Offensichtlich jedoch mit mäßigem Erfolg. Burock sagt: "Warum das nicht geling, erschließt sich mir nicht."
Stattdessen wird die Konkurrenz und damit der Druck für Influencer oder solche, die es werden wollen, ständig größer: "Als ich angefangen habe, hatte ich teilweise Reichweiten bis zu 250.000 Menschen. Mittlerweile ist es ein Viertel davon, obwohl mehr Follower dazugekommen sind", sagt Burock und zieht den Schluss: "Der Algorithmus hat sich immer wieder verändert – und damit Tür und Tor geöffnet für derartige Geschäfte um Likes und Follows." Denn er bestimmt, was wem wann angezeigt wird – und damit auch, ob ein Influencer Erfolg hat.
Privates Konto als Lösung? So einfach ist das nicht
Zurück zum Anfang. Plötzlich hunderte neue Follower ohne erkennbaren Zusammenhang zu den geteilten Bildern oder Stories? Dreimal hatte Matthias Burock das während seiner Influencer-Laufbahn schon. Gerade erst wieder. Das Problem: Wer die Follower gekauft hat, lässt sich nicht nachvollziehen. Es könnte jemand sein, der ihm schaden will. "Andere Accounts haben auch bereits berichtet, dass Firmen, die Likes und Follower verkaufen, völlig unbeauftragt Follower 'liefern', um dir zu zeigen, dass es funktioniert. Und danach kriegst du eine E-Mail, in der sie dir zu Sonderkonditionen weitere Follower anbieten."
Um das zu unterbinden, könnte Burock sein Profil auf "Privat" stellen. Dann müsste er jeden neuen Abonnenten vorher bestätigen. Doch mit seinen Beiträgen würde er so auch nur seine bestehenden Fans erreichen – und über die Hashtag-Suche oder den Standort keine neuen hinzugewinnen. "Wenn ich aktuell eine Kooperation habe, ist das nicht möglich, da der Auftraggeber dann nicht auf deine Statistiken zugreifen könnte. Dann lasse ich das Profil öffentlich und checke die neuen Abonnenten auf Fake-Profile", sagt er und schaut wieder auf sein Handy.
Ein Nutzer mit ganz wenigen Followern, aber tausend Abonnierten taucht auf, dazu noch eine wahllose Aneinanderreihung von Buchstaben als Name – er wird sofort blockiert.
eSports-Kommentator: "Manche Streamer kaufen sich Zuschauer"
Marius Lauer hat mehr als 8.000 Follower auf Instagram. Eine organisch gewachsene Community. Echte Fans. Keine gekauften Follower oder Likes, versichert der eSports-Kommentator aus Magdeburg. Auch er sagt: "Das Kaufen von Likes, Followern oder Views ist aus meiner Sicht kompletter Betrug."
Doch auch Lauer kennt das Thema aus der Gaming-Szene gut. "Auf Twitch ist das ein ganz großes Problem", sagt er über das Live-Streaming-Videoportal. "Ich habe früher schon Bauchschmerzen gehabt, wenn ich meinen Stream in zwei verschiedenen Browsern geöffnet hatte, um zu sehen, ob es funktioniert", erinnert er sich. Heute ist das Geschäft ein ganz anderes. Lauer sagt: "Manche Streamer kaufen sich Zuschauer, aber das sind Fakes, keine echten Zuschauer."
Und auch hier wird die Herkunft der gekauften Views wieder zum Problem: "Andere Leute machen das einfach, um dem Streamer zu schaden", erzählt Lauer. "Sie machen das, damit du irgendwann gebannt wirst. Weil sie dich nicht leiden können oder weil du Konkurrenz bist. Oder auch, um dir etwas Gutes zu tun, weil sie dich unterstützen wollen. Aber irgendwann wird dein Account dann gesperrt und du musst neu anfangen." Die hart erarbeitete Followerschaft ist dahin.
Legale Werbung statt gekaufter Klicks
Das Kaufen von Likes und Followern zum Selbstzweck ist für Marius Lauer genauso verwerflich – und sinnlos, denn: "Der Umschwung von Followern zu Likes ist halt einfach nicht da. Du müsstest also beides kaufen. Sonst hast du irgendwann 22.000 Follower, aber bei den Beiträgen nur 20 Likes. Das interessiert doch keinen Sponsor oder Werbeträger." Stattdessen sollten Menschen, die auf Social Media durchstarten wollen, lieber auf Werbung setzen. "Du kannst Posts bewerben, deine Zielgruppe so erreichen, zum Beispiel die Menschen in deiner Stadt", sagt Lauer. "Das kann dir auch helfen."
Der Traum ist schließlich real: Jugendliche wollen heutzutage Influencer, Streamer oder YouTuber werden. "Wer dieses Ziel hat", sagt Marius Lauer, "sollte die Finger von gekauften Likes oder Followern lassen. Ein echtes Wachstum ist immer das Beste für solche Jobs." Auch wenn es härtere Arbeit bedeutet als das Kaufen von Ruhm mit ein paar Klicks.
Unsere Paidlikes-Recherche auf Instagram verfolgen!
Wir nehmen Sie in dieser Woche mit auf unseren Recherche-Weg.
Wer steckt hinter der Magdeburger Firma Paidlikes? Kommen wir mit den Machern ins Gespräch?
Was sagen Influencer aus Sachsen-Anhalt zu gekauften Likes? Und: Welche Fragen haben Sie zu dem Thema?
Wie unserer Recherche verläuft, darüber informieren wir Sie in unserer Instagram-Story. Neue Fragen greifen wir auch in diesem und weiteren Artikeln im Laufe der Woche immer wieder auf.
Einfach @mdr_san folgen und dabei sein.
Über den Autor
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung. Im April 2017 zog es ihn zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Auch wenn sich seine Follower auf Instagram und Co. in Grenzen halten, hat er noch nie darüber nachgedacht, sich Internet-Fame zu erkaufen.
Quelle: MDR/dg
Not Found
The requested URL /api/v1/talk/includes/html/8d8351f7-4cfd-4e59-8ae4-eb5f61bd16d2 was not found on this server.