Ein Polizeihubschrauber bringt Wasser zum Löschen an einen Waldbrand bei Stiege im Harz
Waldbrände wie kürzlich im Harz werden in Zukunft häufiger vorkommen. Waldbrandforscher Alexander Held fordert daher Präventivmaßnahmen. Bildrechte: picture alliance/dpa/Matthias Bein

Interview mit einem Waldbrandexperten "Wir müssen uns bemühen, die Feuerwehren nicht alleine zu lassen"

10. Juli 2022, 18:31 Uhr

Der Klimawandel lässt nicht nur die Temperaturen steigen, sondern auch die Waldbrandgefahr. Waldbrandexperte Alexander Held vom European Forest Institute erklärt, wie wir die Wälder darauf vorbereiten sollten – und kritisiert den Stellenabbau in der Forstwirtschaft.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Held, ist die Zahl der Waldbrände in Deutschland in den vergangenen Jahren messbar gestiegen?

Alexander Held: Statistisch gesehen nimmt die Zahl der Brände sogar ab, wobei man diesen Statistiken nicht ganz trauen kann. Da tauchen nämlich zum Beispiel nur Waldbrände auf, aber keine Vegetationsbrände. Was eindeutig ist: Die einzelnen Brände werden größer. Auf einmal haben einzelne Brände eine Fläche von 400 oder 800 Hektar, das ist so viel, wie wir früher insgesamt im ganzen Jahr nicht hatten. Und wir sehen Wald- und Vegetationsbrände in Gegenden in Deutschland, die früher nie gebrannt haben. Das sind deutliche Indizien, die nicht von der Hand zu weisen sind. Vor unseren Augen spielt sich eine Veränderung ab.

Zur Person: Alexander Held

Alexander Held ist Forstwissenschaftler und Feuerökologe am European Forest Institute in Bonn. Seine Themenschwerpunkte sind unter anderem Brandmanagement und -ökologie, Waldbau und naturbasierte Forstwirtschaft.

Wie brandgefährdet sind insbesondere Sachsen-Anhalts Wälder?

Wir haben Schwerpunkte der Waldbrandgefahr in Brandenburg, Niedersachsen, Teilen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns und auch in Sachsen-Anhalt. Die Wälder dort sind aufgrund der klimatischen Bedingungen und der mangelnden Wasserspeicherkapazität der Böden prädestiniert dafür, dass sie eher brennen, als zum Beispiel der Schwarzwald. Nichtsdestotrotz tragen wir mit der Art, wie wir die Wälder bewirtschaften, einen guten Teil dazu bei, die Brandgefahr zu erhöhen oder eben zu verringern.

Was müsste denn passieren, damit die Wälder hierzulande weniger brandanfällig werden?

Im Grunde geht es darum, Wälder insgesamt resilienter gegen Störungen zu machen. Da geht es nicht nur um Waldbrände, sondern auch um Trockenheit, den Borkenkäfer oder Stürme. Ein Wald, der gegen solche Störungen resilienter ist, muss ein gesünderes und kompletteres "Immunsystem" haben. Je näher der Wald am natürlichen Zustand ist, desto resilienter und besser ist sein Immunsystem. Entscheidend ist die Gesamtzusammensetzung eines Waldes. Da spielt vor allem die Vielfalt der Baumarten, der Anteil von Laubholz und die Altersstruktur der Bäume eine Rolle.

Der Grundansatz beim Dauerwald ist ja, nah am Naturwald zu sein. Deshalb geht ein Dauerwald mit Störungen wie etwa Bränden etwas gelassener um. Natürlich brennt auch ein Dauerwald mal. Wenn es wochenlang trocken ist und 40 Grad heiß, wird alle Biomasse irgendwann zu Brennmaterial. Aber der Zeitpunkt, an dem die Biomasse umkippt und zu Brennmaterial wird, der ist in so einem gemischten, reich strukturierten, schattigen, feuchten und windstillen Wald natürlich viel später, als in einer reinen Kiefernplantage.

Insofern ist der Waldumbau hin zu mehr Laubholz, Unterbau und Struktur im Wald nicht nur präventiv gegen Waldbrände gut, sondern auch gegen Trockenheit, Käfer, Stürme und andere Störungen. Dazu kommt: Wenn ein Dauerwald mal brennt, brennt er nicht so intensiv. Das heißt, der Brand ist leichter zu kontrollieren. Und die Selbstheilungskraft eines solchen naturnahen Waldes ist sehr hoch. Wir müssen da also gar nicht groß aufforsten.

Solch ein Umbau der Wälder dauert allerdings Jahrzehnte. Bleibt uns überhaupt noch so viel Zeit?

Wir brauchen eine Kombination aus kurzfristigen, technischen Maßnahmen und einem langfristigen Waldumbau, um die Wälder gegen Brände zu schützen. Es gibt genügend Beispiele in der Praxis, die zeigen, dass schon innerhalb von 15 Jahren ein Waldumbau und eine deutliche Anreicherung mit Laubbaumarten möglich ist, selbst auf sandigen Böden, wie sie in vielen Teilen Ostdeutschlands vorherrschen. Das bedarf allerdings hochmotivierter und qualifizierter Förster, die wir in der Fläche überhaupt nicht mehr haben. Eine Forstreform jagt die andere, die Reviere werden immer größer, und gleichzeitig sollen die Förster die Flächen immer intensiver in Richtung resilienter Wälder bewirtschaften. Das ist natürlich in der Personaldünne, die draußen vorherrscht, schwierig.

Dazu kommt: Es ist manchmal eine konfliktbeladene Situation, denn mit dem Waldumbau muss ich auch das Jagdsystem ansprechen, weil Waldbau und Jagd Hand in Hand arbeiten müssen. Das ist ein sehr emotionales Thema, bei dem oft verschiedene Welten aufeinanderprallen. Manch ein Förster zieht sich da irgendwann frustriert zurück. Dann dauert so ein Umbau tatsächlich 50 Jahre. Es wäre aber mit der richtigen Motivation und politischen Unterstützung in einem Zeitraum von 15 Jahren möglich, erste positive Ergebnisse zu sehen.

Welche kurzfristig umsetzbaren Maßnahmen können helfen, die Waldbrandgefahr einzudämmen?

In der Diskussion geht es oft um Wegebau, Wasserentnahmestellen und Kameras, die automatisch Waldbrände erkennen. Das sind aber in Wirklichkeit keine präventiven Maßnahmen, sondern Einsatzvorbereitung, damit die Feuerwehr im Ernstfall schneller handeln kann. Bei Prävention geht es darum, die Faktoren zu beeinflussen, die Feuerausbreitung begünstigen. Wetter und Topografie können wir nicht beeinflussen, aber die verfügbare Biomasse, also das verfügbare Brennmaterial. Wenn ich 20 bis 30 Meter rechts und links der Waldwege Schutzzonen ausweise, dort die Brandlast reduziere, also mulche und mähe und Bäume entferne, habe ich im Wald sehr viele Pufferzonen, in denen selbst ein heißer Waldbrand keine Nahrung mehr findet. Dann kommt er als relativ harmloses Feuer an dem Weg an.

Wenn ich jeden fünften oder zehnten Waldweg mit so einer Pufferzone versehe, dann weiß auch die Feuerwehr im Einsatzfall, wo das Feuer in die Knie geht und sie sicher und effektiv arbeiten kann. Im Moment schicken wir die Einsatzkräfte eher in unvorbereitete Landschaften. Das ist so, als würden sie in ein brennendes Einkaufszentrum einrücken, das keine Fluchtwege, keine Feuerschutztüren und keine Sprinkleranlage hat.

Was erwarten Sie, wie sich die Waldbrandgefahr in Deutschland künftig entwickeln wird?

Es wird normaler werden, dass wir Brände erleben, und es wird auch normaler werden, dass wir selbst Brände legen, um dem Wildfeuer zuvorzukommen. Andere Länder machen das bereits. Damit präventive Maßnahmen bezahlt werden, brauchen wir Umweltbildung, Bewusstseinsbildung und politische Rahmenbedingungen. Dieses Bewusstsein müssen wir erzeugen und wir müssen uns Mühe geben, die Feuerwehren nicht alleine zu lassen. Weltweit sehen wir, dass es nicht funktioniert, nur in Feuerbekämpfung zu investieren. Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen. Denn Deutschland ist dicht besiedelt, bei uns reichen bereits verhältnismäßig kleine Brände, um große Schäden und Konsequenzen zu verursachen. Darauf müssen wir uns besser einstellen.

Die Fragen stellte Lucas Riemer.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 10. Juli 2022 | 19:00 Uhr

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