Stadt, Land, Flucht Aufwachsen zwischen Großstadt und Ökodorf
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24. März 2018, 15:32 Uhr
Irgendwo im Nirgendwo in der Altmark liegt das Ökodorf Sieben Linden. Während viele Menschen aus der strukturschwachen Region in Städte abwandern, bietet Sieben Linden einen Rückzugsort für diejenigen, die dem Großstadttrubel überdrüssig geworden sind. Der 20-jährige Gero hat seine Jugend sowohl in Berlin, als auch im Ökodorf verbracht und steht vor der Entscheidung: Großstadtleben oder Landidylle? Im Rahmen des Projekts "Studenten schreiben" hat sich Robin Jüngling mit ihm getroffen.
Im Altmarkkreis Salzwedel, in der Gemeinde Beetzendorf, liegt das Ökodorf Sieben Linden. 1997 gegründet, haben sich zurzeit mehr als 100 Erwachsene mit ungefähr 40 Kindern niedergelassen, um gemeinschaftlich zu leben. Sie alle teilen dieselbe Vision: "Im Mittelpunkt unseres Tun und Denkens steht die Verantwortung für die Welt, in der wir leben."
Bis zu 300 Menschen sollen es irgendwann einmal sein. Das Dorf besteht aus vielen Häusern und Bauwagen, in denen die Menschen schlafen und wohnen. Gegessen wird in Gemeinschaftsräumen. Das Ziel besteht darin, sich irgendwann selbstversorgen zu können und die Idee des nachhaltigen Lebens nach außen zu tragen.
Gero ist einer von ihnen. Im Jahr 2005, er war acht Jahre alt, wurde er gemeinsam mit seiner Mutter Teil der Öko-Gemeinschaft. Der Wunsch der Mutter, in einer Gemeinschaft zu leben, existierte bereits davor, es fehlte aber an attraktiven Alternativen rund um Berlin. Als Geros Mutter die Suche auf das weitere Umfeld ausdehnte, stieß sie auf Sieben Linden. Das Konzept überzeugte und so bauten sie dort ihr eigenes Haus.
Kleine Gemeinschaft oder große Welt?
Heute ist Gero 20 Jahre alt und steht nun vor einigen richtungsweisenden Entscheidungen. Er gehört zur ersten Generation des Dorfes, die nun vor der Entscheidung steht, wo ihre Zukunft stattfinden soll: in der kleinen Ökogemeinde oder außerhalb der Gemeinschaft in der großen Welt.
Gero kennt beides. Er ist sowohl im Ökodorf, als auch in der Metropole Berlin aufgewachsen und weiß von beiden Extremen die Vorteile zu schätzen. Oft liegen diese nah beieinander. Die Ruhe des Dorfes und die Natur schaffen Abwechslung zum Trubel Berlins. Doch immer wieder wird ihm langweilig und es treibt ihn in die Großstadt. In Berlin genieße er dann die Anonymität und das Eintauchen und Treiben in Menschenmassen. Doch gleichzeitig vermisse er dort schnell bekannte Gesichter und das gemeinschaftliche Leben des Dorfes.
"Manchmal fühlt man sich wie im Zoo"
Allerdings stimmt Gero nicht mit allen Richtlinien Sieben Lindens überein. Vor allem im Punkt Gästepolitik. Um die Vision nach außen zu tragen, herrscht im Dorf ein reger Gästebetrieb. Rund 1.000 Gäste besuchen das Ökodorf jedes Jahr. Dieser Aspekt stört ihn, wenn er sich von der hektischen Stadt erholen will.
Manchmal fühlt man sich ein bisschen wie im Zoo, wenn hier ständig Menschen durchs Dorf laufen, die man nicht kennt.
Wo man als Kind besser aufwächst, darauf könne er sich nicht festlegen. Sowohl die Stadt, als auch das Landleben haben für ihn Vor- und Nachteile. Seit 2002 gibt es in Sieben Linden auch einen Waldkindergarten, in dem schon im frühesten Kindesalter die Verbundenheit zur Natur und das Hinführen zu einer nachhaltigen Lebensweise gelehrt werden soll.
"Ich glaube Sieben Linden oder gerade Gemeinschaften sind ein sehr guter Platz dafür, Kinder aufwachsen zu lassen, weil sie hier sehr viele Freiheiten haben.” Er könne sich gut vorstellen, sollte er selbst Kinder haben, diese in einer Gemeinschaft aufzuziehen. Doch auch in der Großstadt gebe es dafür schöne Ecken, so Gero.
Technikhürde: Zwischen Handyverbot und Game-Design
Er selbst sehe seine Zukunft eher in der Großstadt. Hier gebe es mehr Möglichkeiten seine Zukunft zu gestalten, wo doch bereits banale Dinge wie Kinobesuche in Sieben Linden mit einem immensen Fahr- und Zeitaufwand verbunden sind. Ein Plan für die nächsten Jahre steht auch schon: Gero will in die Game-Entwicklung gehen, um eigene Welten zu erschaffen. Dieser technische Einschlag passt weniger zum Ökodorf, in dem nicht einmal Mobiltelefone erlaubt sind und man nicht mit dem Auto reinfahren darf. Außerdem hat das Dorf nur einen gemeinsamen Internetanschluss. Sprich: Kein W-LAN. "Wenn man hier Filme gucken oder am Computer spielen will, dann entwickelt man einen besonderen Schlafrhythmus. Meistens macht man das eher in der Nacht zwischen zwölf und sechs Uhr."
Diese Hürden hat er in Berlin nicht, weshalb es ihn mittlerweile öfter und länger in die Großstadt zieht. "Wenn ich mir einen Ort aussuchen müsste, an dem ich jetzt bleiben müsste, würde ich erst mal Berlin nehmen. Aber nach einer gewissen Zeit ist es wieder anstrengend in der Stadt zu sein." Vor allem der Lärm störe ihn.
Es ist dann schön wieder hier in die Gemeinschaft zu kommen und mehr Ruhe zu haben. Es ist auf jeden Fall schön beides zu haben.
Der Blick über den Tellerrand
Gerade die Jugendlichen, die in Sieben Linden geboren sind und ihre gesamte Jugend in der Gemeinschaft verbracht haben, schauen über den Tellerrand und verlassen Sieben Linden – zumindest zeitweise. "Wenn man sein ganzes Leben so aufwächst, dann glaube ich nicht, dass man das komplett über den Haufen wirft, da bleibt auf jeden Fall was", erklärt Gero.
Trotzdem sei auch er immer seltener in der Altmark. Dem Dorf komplett den Rücken zukehren, möchte er nicht. Er will Sieben Linden als Rückzugsort erhalten. Zumindest vom Game-Design kann er hier gut abschalten, der Hausanschluss und die technische Ausstattung in Sieben Linden reichen für seine zukünftige Arbeit sicherlich nicht aus.
Über den Autor: Robin Jüngling studiert nach seinem Fernsehjournalismus-Studium in Berlin jetzt Multimedia und Autorschaft in Halle. Er hat bereits mehrjährige Erfahrung in verschiedenen Fernsehredaktionen und als freier Journalist sammeln können. Nun möchte er auch weitere Journalismus-Bereiche jenseits des Fernsehens kennenlernen.
Quelle: MDR/cw