Porträt Warum ein Klimaschützer für zivilen Ungehorsam ist – solange er gewaltfrei bleibt
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25. April 2023, 19:51 Uhr
Sie blockieren Straßen, besetzen Grundstücke oder beschmieren Häuser mit erdölähnlicher Farbe – die Protestformen der Demonstranten für einen besseren Klimaschutz sind vielfältig. Auch der 23-jährige Carl aus der Altmark protestiert regelmäßig für einen schärfere Schutz der Umwelt. Dafür greift er auch auf zivilen Ungehorsam zurück.
- Carl denkt jeden Tag ans Klima, denn den Aktivisten quält die Klima-Ungerechtigkeit.
- Ziviler Ungehorsam für mehr Klimaschutz ist für den 23-Jährigen ein adäquates Mittel.
- Im Ökodorf Sieben Linden in der Altmark werden junge Klimaschützer wie Carl unterstützt und in ihrem Aktivismus bestärkt.
Der 23-jährige Carl hängt in luftiger Höhe, um die Krone einer altehrwürdigen Eiche zu pflegen. Baumklettern macht zwar nur einen geringen Teil seiner Arbeit als Forstwirt aus, aber Carl hat großen Spaß daran. Darauf gekommen ist er im Hambacher Forst, wo er 2018 als Klimaaktivist in einem Baumhaus übernachten will und so aufs Klettern kommt. Ein anderer Aktivist zeigt ihm, wie er mit einfachen Knoten und Seilen einen Baum erklimmen kann.
Da habe ich dann die erste Nacht im Baum verbracht. Im Hintergrund hörte ich nachts die Bagger, dabei war ich in so einem schönen Wald. Seither hat es mich in die Bäume gezogen.
Erste Demo im Hambacher Forst
Carl beginnt bereits früh, im Alter von 13 Jahren, politisch aktiv zu werden. Erste Demonstrationen und der Punkrock mit seinen politischen Texten spielen dabei eine entscheidende Rolle. Doch erst die Erlebnisse im Hambacher Forst, also sein erster Kontakt mit der Klimagerechtigkeitsbewegung, veranlassen ihn, Klimaaktivist zu werden.
Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht über die Klimaerwärmung und ihre Folgen nachdenke, mich damit beschäftige.
Carl engagiert sich in zahlreichen Klima-Protestbewegungen, darunter "Fridays for Future" und Lützerath, wo Klimaaktivisten Anfang 2023 verhindern wollten, dass das gleichnamige Dorf an der Abbruchkante des Rheinischen Tagebaus abgerissen wird und es zu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei kommt.
Hambacher Forst Der Hambacher Forst zwischen Aachen und Köln in Nordrhein-Westfalen ist der Rest des Hambacher Waldes, der in den 1970er-Jahren rund 4100 Hektar umfasste. Seit der erste RWE-Bagger zwischen Aachen und Köln am 15. Oktober 1978 mit dem Braunkohleabbau begann, ist dieses Waldgebiet auf einen Rest von rund 200 Hektar geschrumpft. Seit 2012 besetzten Klimaaktivisten den Forst. 2018 wurde der Hambacher Forst bundesweit bekannt, als er durch einen der größten Polizeieinsätze der Geschichte Nordrhein-Westfalens geräumt wurde. Das Kohleausstiegsgesetz der Bundesregierung sieht den Erhalt des Hambacher Forst vor. Das heißt, das Waldgebiet bleibt bestehen.
Klima-Ungerechtigkeit macht Angst
Aktivist ist er, weil er die Klima-Ungerechtigkeit der Welt nicht erträgt. Aktionen, wie sich auf Straßen festkleben, seien für ihn daher absolut gerechtfertigt. "Wir blockieren Straßen und Menschen müssen mal zwei Stunden im Stau stehen. Aber im globalen Süden müssen die Menschen fliehen, weil sie durch die Klimaerwärmung ihre Lebensgrundlage verlieren. Menschen sind deshalb auf der Flucht und sterben."
Diese Ungerechtigkeit quält Carl und macht ihm Angst. Aber er sieht auch, dass das allein nicht reicht. "Wir gehen daher auch zu den Quellen des Übels, zu den großen Konzernen wie RWE oder VW. Aber um die 'normalen' Menschen da draußen für uns zu gewinnen und für das Thema Klimaerwärmung zu sensibilisieren, braucht es auch viele freche, fröhliche und kreative Aktionen." Momentan arbeitet Carl an einer bunten Aktionswoche und bereitet mit Gleichgesinnten ein großes Verkehrswende-Camp in der Autostadt Wolfsburg vor, das im Mai stattfinden soll.
Aktionen bei VW in Wolfsburg
Kreativ und bunt soll das Camp werden mit Vorträgen, Workshops, Konzerten und originellen Aktionen. "Gemeinsam mit den Wolfsburgern wollen wir Parkplätze und Straßen der Stadt zurückerobern und umnutzen. Geplant sind viele angemeldete, aber darüber hinaus auch unangemeldete Aktionen." Dazu gehören für Klimaschützer Carl natürlich auch solche, die den Verkehr behindern oder ganz zum Stillstand bringen. Ziel des Verkehrswende-Camps ist es, die Wolfsburger für ein paar Tage erleben zu lassen, wie sich eine Innenstadt ohne Autos anfühlt, eine Stadt in der man sich zu Fuß, mit dem Fahrrad oder ÖPNV bewegt.
Von Volkswagen zur Verkehrswende Die Initiative Verkehrswendestadt, in der sich Carl stark engagiert, hat ihren Sitz im Projekthaus Amsel44 in Wolfsburg und möchte den VW-Konzern umbauen. Carls Vision: "Wir streben eine Vergesellschaftung des Konzerns an und wollen ihn so umstrukturieren, dass er keine Autos mehr, sondern Straßenbahnen, Busse oder Fahrräder produziert für die breite Bevölkerung." Der Stammsitz von VW soll sich, so das Ziel der Aktivisten, von der Autostadt zur Verkehrswendestadt transformieren.
Im März 2023 verließ bereits die erste Straßenbahn das VW-Werk – eine politische Aktion, die ebenfalls von Aktivisten und Aktivistinnen aus Wolfsburg ausging. Dafür stoppten sie einen Autozug, der Autos aus dem Werk in Wolfsburg auf die DB-Gleise befördert. In einer Überraschungsaktion hielten sie den Zug auf einer Brücke über dem Mittellandkanal an, kletterten auf den Zug und verkleideten den Autozug mit einem riesigen Banner als Straßenbahn. Der Zug bot ein symbolträchtiges Bild: VW soll im Wolfsburger Stammwerk künftig keine Autos mehr produzieren, sondern öffentliche Verkehrsmittel – allem voran Straßenbahnen. Von dieser Aktion ist Carl sehr begeistert und überzeugt, dass sie Menschen für das Thema Verkehrswende und Klimaschutz begeistert.
Klimaschutz als Lebensaufgabe
In Sieben Linden im Altmarkkreis Salzwedel ist Carl Teil des Waldteams. Er kümmert sich um sinnvollen Waldumbau, weg von Monokulturen, zurück zum natürlichen Wald. Dafür pflanzt er viele Bäume und achtet darauf, dass der richtige junge Baum auch den für ihn am besten geeigneten Standort bekommt. Carl wohnt im Ökodorf zusammen mit einer WG im kleinsten Bauwagen des Dorfes.
Er kleidet sich nur in gebrauchten Klamotten, lebt bewusst bescheiden, teilt sein Hab und Gut, um auch damit das Klima zu schützen. Die Gemeinschaft mit Gleichgesinnten ist ihm wichtig. Deshalb fühlt sich der große, junge Mann im altmärkischen Ökodorf verstanden und aufgehoben. In Sieben Linden erholen sich Klimaaktivisten wie er nach den teilweise für sie anstrengenden Protest-Aktionen, nachdem sie tagelang in Baumhäusern ausgeharrt haben, nach langen Sitzblockade, oder als Opfer von Polizeigewalt.
Leben im Ökodorf in der Altmark
Carl wohnt seit 2019 sogar dauerhaft im Sieben Linden. Dirk Jakobsen ist Geschäftsführer des hiesigen Ausbildungsbetriebes. Er erklärt, warum die Ökodörfler junge Klimaaktivisten wie Carl aufpäppeln, unterstützen und in ihrem Aktivismus bestärken.
"Wenn man immer alle Regeln einhält, kann das auch zu einem Problem werden. Gesellschaften brauchen zivilen Ungehorsam, um voranzukommen", sagt Jakobsen. Er argumentiert, erst durch Gruppen wie "Fridays for Future", "Extinction Rebellion" oder auch "Letzte Generation" sei das Bewusstsein für Klimaveränderung in der Bevölkerung deutlich gestiegen.
Ist ziviler Ungehorsam erlaubt?
Ziviler Ungehorsam ist im deutschen Recht weder eine Ordnungswidrigkeit noch ein Straftatbestand. Er äußert sich als moralisch oder politisch motivierter Widerstand, durch den Gesetze, Verordnungen oder Verfügungen bewusst, aber gewaltfrei verletzt werden.
Ein Beispiel: Sitzblockaden sind ein häufig angewandtes Mittel zivilen Ungehorsams. Sitzblockaden können eine Nötigung i.S.v. § 240 StGB darstellen und somit eine Straftat sein. Das bedeutet, der zivile Ungehorsam ist als solches zwar nicht strafbar, jedoch möglicherweise die konkreten Rechtsverletzungen, die dadurch begangen werden.
Aktivist: Ziviler Ungehorsam als legitimes Mittel
Auch für Carl ist ziviler Ungehorsam ein völlig legitimes Mittel. Angst vor Auseinandersetzung mit dem Gesetzesgeber hat er nicht. Wenn die Aktion für ihn in sich sinnvoll ist, sei sie für Carl auch gerechtfertigt, selbst wenn sie gegen geltendes Recht verstoße.
Momentan ist es vom Recht geschützt, unseren Planeten auszubeuten. Für mich ist das nicht logisch und deswegen übertrete ich Gesetze, um die Ausbeutung zu verhindern, um mich da querzustellen.
Allerdings hat sein Aktivismus auch Grenzen. Ziviler Ungehorsam als Mittel zum Zweck für Klimaschutz und Klimagerechtigkeit, das geht für Carl nur in Ordnung, solange er gewaltfrei bleibt.
MDR (Carina Emig)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 25. April 2023 | 19:00 Uhr
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