Pandemiefolgen Psychische Belastung von Kindern in der Corona-Pandemie: Was Eltern wissen müssen
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01. Mai 2022, 18:54 Uhr
Die Corona-Zeit belastet einige Kinder mehr als andere. Nicht nur die Schutzmaßnahmen, auch die Unsicherheiten, die mit der Pandemie einhergehen, können sich auf die Psyche schlagen. Ein Kinder- und Jugendpsychologe erklärt, wie Eltern ihre Kinder weiterhin sicher durch die Pandemie bringen.
- Durch die Corona-Pandemie haben Depressionen bei Jugendlichen zugenommen.
- Wenn Kinder nicht mehr zur Schule gehen wollen, müssen Eltern hellhörig werden.
- Eltern sollten transparent mit ihren eigenen Sorgen und Nöten sein, aber dabei Lösungsvorschläge liefern.
Während der Pandemie sind für Kinder und Jugendliche die altbekannten Möglichkeiten zur Stressbewältigung weggefallen. Sport treiben, Freunde treffen, Ausgleich schaffen: Das war auf einmal nur noch begrenzt möglich. Im Frühling 2020 haben sich 70 Prozent der Kinder belastet und 40 Prozent kränker als zuvor gefühlt. Zu diesem Ergebnis kommt die COPSY-Studie des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf. Angst war zu diesem Zeitpunkt ein großer Faktor, dagegen ließen sich noch keine Befunde zu Depressionen machen. Das hat sich im Laufe der Pandemie allerdings verändert.
Im Herbst 2021 war die Lebensqualität und das psychische Wohlbefinden der Kinder besser als zu Beginn der Pandemie, aber schlechter als vor der Pandemie. Man geht davon aus, dass sich Schulöffnungen und die Möglichkeit, wieder Freizeitangebote wahrzunehmen, positiv ausgewirkt haben. Die Kinder beginnen zudem, sich an die Pandemiesituation zu gewöhnen. Die Lage ist durch Impfungen und Testmöglichkeiten nicht mehr so erschreckend wie noch 2020.
Kinder aus stabilen Verhältnissen werden Psychologen zufolge ohne große Einschränkungen durch die Pandemie kommen. Trotzdem geht es nicht allen Kindern und Jugendlichen gleich gut. Wann es Grund zur Sorge gibt und was Eltern tun können, erklärt Kinder- und Jugendpsychotherapeut Dr. Wolfgang Pilz aus Magdeburg im Interview.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Dr. Pilz, welche Veränderungen haben Sie seit der Pandemie bei den Kindern und Jugendlichen, die Ihre Praxis besuchen, wahrgenommen?
Dr. Wolfgang Pilz: Ich habe viel mehr Jugendliche in meiner Praxis, die an Depressionen leiden. Aus meiner Tätigkeit als Gutachter kann ich auch bestätigen, dass Essstörungen zugenommen haben. Und Kinder, die schon an psychischen Störungen gelitten haben, wurden durch die Pandemie noch einmal deutlich aus der Bahn geworfen. Dadurch brauchen sie längere Zeit Therapie und es entsteht ein Stau. Behandlungsplätze sind durch Fälle blockiert, die schon vorher krank waren und jetzt noch länger krank sind.
Der Klassiker 'Wie wars denn in der Schule?' ist ein Türschließer. Damit kommt man nicht weit.
Kinder gehen ganz unterschiedlich mit den Auswirkungen der Pandemie um. Was sind Anzeichen und Alarmsignale, auf die Eltern achten sollten?
Es ist auf jeden Fall ein Alarmzeichen, wenn das Kind sich an die Eltern wendet und sagt: "Ich brauche Hilfe". Das sollte man sehr ernst nehmen und nicht in Zweifel setzen, denn die meisten Kinder und Jugendliche halten lange hinterm Berg, bis sie sich äußern. Der erste Ansprechpartner sind zuerst die Gleichaltrigen. Ein prominentes Symptom ist auch das selbstverletzende Verhalten. Wenn das öfter als einmal im Vierteljahr auftritt, sollte dringend psychotherapeutische Hilfe gesucht werden. Ein Alarmzeichen ist auch, wenn der Schulbesuch nicht mehr gegeben ist. Natürlich gibt es mal Bauch- oder Kopfschmerzen, aber wenn ganze Wochenserien auftreten oder es immer gerade montags nicht geht, ist das ein Hinweis, dass das Kind psychische Probleme hat und Hilfe braucht. Eltern müssen auch nicht immer sofort zu einem niedergelassenen Psychotherapeuten gehen. Sie können auch Beratungsstellen aufsuchen oder sich an einen Lehrer oder Schulsozialarbeiter wenden. Wenn es ein Notfall ist, dann ist natürlich eine Klinik gefragt.
Was können Eltern tun, bevor sie psychologische Hilfe aufsuchen?
Die Kommunikation mit dem Kind ist ganz wichtig. Als Eltern muss man dafür manchmal auch Umwege suchen. Und der Klassiker "Wie wars denn in der Schule?" ist ein Türschließer. Damit kommt man nicht weit.
Kinder bekommen oft mehr mit, als man denkt. Wie viel kann man seinem Kind in der Pandemie zumuten? Sollte man offen über die eigenen Ängste sprechen oder doch versuchen, die eigenen Sorgen fernzuhalten?
Es ist sehr wichtig, dass Eltern im Zuge ihrer eigenen Sorgen sehr wohl transparent sind. Sie müssen aber eine schmale Gratwanderung begehen, damit das Kind nicht unter Druck gerät und den Eindruck hat, es müsste die Lösung für die Probleme der Eltern haben. Das ist die Problematik. Wenn ich über meine eigenen Sorgen mit den Kindern spreche, dann sollte ich auch sagen, was ich tun werde, um die Probleme zu lösen. Dann lernen Kinder daraus und merken, dass es normal ist, Sorgen und Nöte zu haben.
Die Schulschließungen haben Wissenslücken bei den Schülerinnen und Schülern hinterlassen. Verpassten Lernstoff aufholen zu müssen, erhöht den Leistungsdruck. Was kann Kindern und Jugendlichen helfen, mit den aktuellen Lernanforderungen umzugehen?
Wenn ich selbst überwiegend zufrieden bin, dann kann ich auch viel besser lernen. Dann gehen mir Lerninhalte, die ich bisher überhaupt nicht in den Kopf bekommen habe, doch rein. Manchmal muss man im Leben diese Grundlage legen und dann löst sich der Druck in Luft auf.
Inwieweit werden die Erlebnisse der Pandemie die zukünftige Entwicklung der Kinder beeinflussen?
Globale Ereignisse werden ganz anders verarbeitet als individuelle Katastrophen. Ein Kind, das sexuell oder körperlich missbraucht wurde, trägt ein stärkeres Leid mit sich als jemand, der unter der Pandemie gelitten hat. Jedes Kind kann verstehen, dass es ein globales Ereignis war, von dem alle betroffen waren. Es gibt trotzdem individuelle Ausprägungen, aber das sind Dinge, die man nicht miteinander vergleichen kann.
Eltern sollten sich nicht immer so viele Sorgen machen. Wenn sie weiterhin im Dialog mit ihren Kindern bleiben, können sie zuversichtlich sein.
Was können Eltern weiterhin tun, um ihre Kinder sicher durch die Pandemie zu bringen?
Kinder und Jugendliche waren nie so zufrieden mit ihren Eltern wie jetzt. Über dieses wunderbare Ergebnis der Shell-Studie dürfen sich die Eltern gern freuen. Mein Vaterherz hat da auch höhergeschlagen, weil ich mich an manche Gespräche mit meinen Kindern erinnert habe. Selbst wenn man voller Zweifel ist, bekommt man eigentlich ein positives Feedback von den Kindern. Eltern sollten sich nicht immer so viele Sorgen machen. Wenn sie weiterhin im Dialog mit ihren Kindern bleiben, können sie zuversichtlich sein.
MDR (Sarah-Maria Köpf)
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