Podcast "Digital leben" Mobilität: Wie Schleberoda mit Elektro-Autos und App den ÖPNV verändern will
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09. Dezember 2022, 12:49 Uhr
Der Bus kommt zwei Mal am Tag. In den Schulferien sogar nur einmal. Der Ort Schleberoda im Burgenlandkreis ist ein typisches Beispiel, was der ÖPNV im ländlichen Raum derzeit leistet. Schleberoda hat 160 Einwohner, gehört zu Freyburg. Es gibt keinen Supermarkt, keinen Arzt, keinen Friseur. Aber dafür gibt es Menschen wie Christian Haase und Jörg Sichting. Sie wollen, dass Schleberoda ein europäisches Vorbild für Mobilität auf dem Land wird.
- Ehrenamtliche in Schleberoda schaffen gerade Elektro-Autos an, um ihr Dorf mobiler zu machen. Auch Dörfer im Ausland interessieren sich bereits für die Idee.
- Gefördert wird das Projekt mit EU-Geldern. In einer App sollen die Nutzer die Autos mieten und Fahrgemeinschaften bilden können.
- Das Projekt ist aber viel größer: Denn eine Ladesäule für die Autos muss auch gebaut werden.
Das Ziel von Christian Haase und Jörg Sichting klingt utopisch und fern: Sie wollen autonom fahrende Autos für den ÖPNV in Schleberoda. Technisch ist das allerdings keineswegs völlig abwegig: Selbstfahrende Fahrzeuge sind bereits unterwegs. Auch in Sachsen-Anhalt gab es bereits Testversuche mit Minibussen und selbstfahrenden Lastenfahrrädern.
Noch ein weiterer Grund für den Verein, auf selbstfahrende Autos zu setzen: "Wir werden immer älter, jeder hat ein, zwei Autos. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem man nicht mehr selbst fahren kann", sagt Christian Haase im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". So hat das Ziel der Schleberodaer auch eine soziale Komponente: Alte Menschen müssen ihre gewohnte Umgebung nicht verlassen, nur weil sie kein Auto mehr fahren können – sie können einfach ein selbst fahrendes Auto herbeirufen.
Weil komplett selbstfahrende Autos in Deutschland allerdings nicht zugelassen sind, machen sich Sichting und Haase mit ihrem Verein "Saale-Unstrut-Mobilität" anders auf den Weg: Sie kaufen zwei "normale" Elektroautos für den Ort. "Wir haben einen Kompakt-Pkw besorgt und die Ausschreibung für einen Siebensitzer läuft gerade", sagt Sichting. Damit soll der Betrieb gestartet werden – um herauszufinden, wie die Autos genutzt werden, wie sich das Angebot verbessern lässt, welche Strecken am häufigsten gefahren werden und ob das irgendwann auch selbstfahrende Autos übernehmen können. Das größte Problem derzeit allerdings: die Lieferschwierigkeiten der Automobilhersteller.
Genaue Kosten für Nutzer noch unklar
Fahren dürfen die Elektro-Autos dann alle Vereinsmitglieder – gegen Bezahlung. Wie genau die aussieht, ob es einen Monatsbeitrag, eine Tages-, Stunden- oder Kilometerpauschale geben wird, das ist noch nicht klar. "Aber wir hatten schon älterer Bewohner, die uns gesagt haben, wenn das Fahrzeug kommt, dann schaffen sie ihren privaten Pkw ab und sparen die Kosten dafür", sagt Haase. Und geht es nach den derzeitigen Planungen, können Vereinsmitglieder den Siebensitzer auch für längere Zeit nutzen, zum Beispiel für Urlaubsfahrten.
Noch günstiger soll es werden, wenn Menschen aus Schleberoda Wege gemeinsam erledigen: "Die Grundidee ist ja, dass man Fahrgemeinschaften bildet und zum Beispiel ältere Leute zum Arzt oder Kinder zum Sport mitnehmen kann", sagt Sichting im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". Denn auch einen Sportverein gibt es in dem kleinen Dorf nicht – alle Eltern fahren bislang ihre Kinder zu Vereinen nach Freyburg. On-Demand-Carsharing, Ride-Sharing oder Ride-Pooling– so könnten Fachleute vermutlich die Idee aus Schleberoda nennen.
Viele praktische und technische Herausforderungen
Wer ein Elektro-Auto fährt, muss es auch laden können. Dazu lassen die Schleberodaer gerade eine Ladesäule installieren. "Der Versorger hat erst einmal geprüft, ob an der Leitung ins Dorf überhaupt so viel Strom zur Verfügung steht. Wir sprechen ja von 50 Kilovolt", sagt Sichting. Für die Zukunft ist sogar angedacht, dass an der Ladesäule jeder sein Auto laden kann. Ein Infrastrukturproblem wird also gleich mit gelöst.
Zwischenzeitlich gab es auch ein Ringen mit der Bürokratie in Stadt, Landkreis und Land. Angeschafft werden die Autos letztendlich von der Stadt Freyburg, die die nächsten drei Jahre auch Eigentümerin der App und der Fahrzeuge ist, der Verein übernimmt die komplette Organisation. Finanziert hat das Vorhaben das "Netzwerk Stadt-Land" beim Wirtschaftsministerium Sachsen-Anhalt.
Aber wenn die Schleberodaer mit ihren Autos Fahrgemeinschaften bilden sollen, stellen sich weitere praktische Fragen: Trauen Eltern ihren Kindern anderen Dorfbewohnern an? Will wirklich jeder bei jedem mitfahren? Es geht um Vertrauen – aber auch darum, gültige Führerscheine vorzuweisen.
An all diesen Fragen arbeiten die Schleberodaer schon seit mehreren Jahren und haben einen Verein gegründet. Der besteht derzeit zwar nur aus den sechs Leuten des Vorstands. "Aber wir möchten noch warten, bis wir unseren Mitgliedern sagen können, was das Carsharing wirklich kostet", sagt Haase.
Neues Konzept auch für App
Außerdem ist die App noch nicht fertig, über die Buchung, die Vermittlung einer Fahrgemeinschaft und die Bezahlung abgewickelt werden soll. Das soll im März nächsten Jahres so weit sein. Bereits jetzt gibt es einen ersten Prototypen der App. Programmiert hat ihn Felix Langer von Nexcube aus Hinsdorf im Landkreis Anhalt-Bitterfeld.
Der kniffligste Teil an der App ist es, die Menschen für gemeinsame Fahrten zusammenzubringen, sagt Felix Langer: "Man muss auch bei den Parametern schauen: Welcher Umweg ist zum Beispiel für jemanden tragbar, ohne dass er das Gefühl hat, er ist Taxifahrer?"
Beim Programmieren hat Langer bei Null angefangen: "Wir bauen das Konzept, dass sich die Dorfbewohner mitgebracht haben. Es gibt zwar Carsharing-Apps, aber noch nicht für den ländlichen Raum." Manche Dörfer nutzen auch bereits eigene Carsharing-Autos, aber da müsse man sich vorher mitunter beim Bürgermeister anmelden. Langer sagt auch, es gäbe Apps, die Fahrgemeinschaften bilden, aber nur mit dem eigenen Auto. Auch Nutzer ohne Führerschein einzubinden, ist ungewöhnlich. "Alles zusammen ist das hier ein komplett neuer Ansatz", sagt Programmierer Langer.
Jeder Nutzer könne beim Buchen entscheiden, ob es eine öffentliche oder eine private Fahrt sei. "Es gibt ja auch Situationen, wo man keinen Beifahrer haben möchte", sagt Felix Langer im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Digital leben". In Langers Heimatort Hinsdorf wohnen etwa 500 Menschen – auch dort könnte das Konzept aus Schleberoda infrage kommen. "Ich glaube, ich würde es sogar machen. Mich reizt es schon, mal ein Elektrofahrzeug zu fahren. Und bei den Benzinpreisen ist auch die Preisfrage des Ganzen nicht uninteressant."
Schleberoda will beweisen: Andere Mobilität ist möglich
Genau das wollen die Einwohner von Schleberoda beweisen. Dass ihre Idee auch in anderen ländlichen Regionen funktioniert. Ländliche Regionen aus Finnland und Spanien hätten sich das Konzept bereits erklären lassen und Interesse gezeigt.
Zuhause müssen wohl noch einige Skeptiker überzeugt werden. "Das macht man nicht mit drei Sätzen. Man muss seinen Worten auch Taten folgen lassen. Und wenn jetzt Elektrosäule steht und das erste Fahrzeug da ist, lassen sich sicherlich mehr Skeptiker überzeugen."
Hinweis der Redaktion: Auch ein MDR-Mitarbeiter wohnt in Schleberoda und engagiert sich in dem Verein; an der Entstehung des Podcasts und des Artikels war er nicht beteiligt. Er hat lediglich den Kontakt zu den Interviewten hergestellt.
MDR (Marcel Roth)
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