Podcast "Digital leben" Maler Tilo Baumgärtel: "Kunst kann Reparaturwerkstatt unserer Wahrnehmung sein"
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13. November 2022, 11:03 Uhr
Mit nur einigen Stichworten kann jeder mit Methoden der künstlichen Intelligenz Bilder erschaffen. Ohne Pinsel oder Stift. Was dabei herauskommt, ist spannend. Aber ist es auch Kunst? MDR SACHSENANHALT spricht mit dem Künstler Tilo Baumgärtel, der an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle Malerei lehrt.
MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Baumgärtel, bevor wir darüber reden, was digitale Technologien mit Ihrer Art der Kunst machen: Wie würden Sie Ihre Malerei beschreiben?
Tilo Baumgärtel: Meine Malerei ist so eine Art zweidimensionales Diorama. Es gibt ein Oben und Unten. Es gibt die physikalischen Regeln der Schwerkraft. Und es gibt Fantasie, Mikro-Handlungen und Kausalitätsketten. Ich versuche, eine Stimmung zu erzeugen, die so wirkt, als wäre ein einzelnes Bild ein Screenshot aus einem Spielfilm, der nicht produziert wurde.
Wie viel Handwerk müssen Künstler wie Sie oder Ihre Studierenden beherrschen?
Es ist wie in der Sprache: Je größer der Wortschatz ist, desto genauer können wir uns mitteilen. Eine gewisse Eloquenz macht dann auch in der Vermittlung Spaß. Aber es gibt natürlich auch eine ganz sparsame Variante, wo man nicht so viel können muss und eine einfache Form gefunden hat, sich mitzuteilen.
Und wie erkenne ich als Laie, ob ein Bild Kunst ist?
Man erkennt nicht, ob es Kunst ist, sondern eher, ob es einen emotionalen Ausschlag gibt. Bei Kunst, die in riesigen Kontexten gezeigt wird, überlege ich oft, ob ich sie mitnehmen würde, wenn sie irgendwo an einer Straßenecke stehen würde. Oder ob ich mir wünsche, dass sie schon bei mir Zuhause ist, weil sie mir dringend positive Energie mitteilen will.
Inwieweit haben digitale Technologien Ihre Kunst verändert?
Ich bin ja "digital immigrant", weil ich vor den 1980er-Jahren geboren wurde. Im Gegensatz zu "digital natives" weiß ich, dass es einen Zustand gab, wo ich in die Bibliothek gehen musste, wenn ich zum Beispiel nicht wusste, wie ein Mähdrescher aussieht.
Wenn ich jetzt in der Klasse bin, zücken dafür alle ihre Smartphones.
Das ist ein großer Fortschritt. Aber es ist auch ein bisschen schade für unsere Imaginationskraft, für das bildgebende Verfahren in unseren eigenen Köpfen. Denn es lässt sich so vieles nachschauen. Und dabei entsteht die Frage, wie subjektiv ist das und wie viel davon reproduziert ich malerisch.
Mittlerweile entstehen Bilder mit Hilfe von KI-Methoden. Ist das in Ihren Augen Kunst? Und wer ist dann der Künstler: der Programmierer, die Software oder derjenige, der der Software die Stichworte gibt?
Damit habe ich mich noch nicht viel beschäftigt. Ich kann mir vorstellen, dass aus der Zusammenarbeit einer künstlichen Intelligenz und dem menschlichen Gehirn etwas entsteht. Aber es ist gut, wenn der Computer nicht die Endstufe bei den Entscheidungen hat. Es geht ja in der Kunst nicht darum, ein verblüffendes Ergebnis zu erhalten, sondern auch um die Befreiung des eigenen Geistes und Erkenntnisgewinn. Wenn man das alles abgibt, gibt man auch Verantwortung ab. Die ist aber wichtig für die subjektive Wahrnehmung der Welt.
Wir haben der Open-AI-Plattform "Dall-E" gesagt, sie soll Bilder in der Art und Weise erschaffen, die die Strömung "Neue Leipziger Schule" imitiert, der manche auch Ihre Kunst zuordnen. Ist der KI das gelungen?
Nein. Objektiv und inhaltlich ist es das nicht. Ich weiß, dass das möglich und auch irgendwie verrückt ist. Die KI malt das ja nicht, sondern fakt den Pinselstrich. Aber mich interessiert ja auch die Anwesenheit, die Ausstrahlung und Aura des Bildes an der Wand. Ich will es mit meinen Augen anfassen, Kontakt haben und es kann auch ruhig noch nach Terpentin oder Leinöl riechen.
Wir haben der KI auch gesagt, sie soll ein Bild erschaffen und dabei Sie imitieren. (Das letzte Bild in der Galerie.)
(lacht) Ja, okay. Das ist fast neue Sachlichkeit. Aber ich fühle mich nicht interpretiert, nein.
Mit einem solchen Werkzeug kann jemand, der nicht malen kann, ein Bild erschaffen und es sich zu Hause hinhängen. Ist das dann Kunst und er oder sie Künstler?
Die Frage ist, ob das eine Rolle spielt, wenn man sich ein Bild zu Hause hinhängt. Ich unterscheide bei den Bildern, die ich mir zu Hause hinhänge, nicht zwischen Kunst und wer ist der Künstler.
Wer das Handwerk Malen nicht beherrscht, aber eine tolle Idee hat, der könnte die doch mit Hilfe der KI endlich umsetzen.
Die Idee gibt man doch ab. Oder? Man kann eine Idee für ein Bild eigentlich nicht in einem kurzen Satz skizzieren. Klar kann man sagen, male jetzt eine Person, die etwas sagt. Aber das ist noch nicht die Idee. Ich weiß nicht, ob es Spaß macht, etwas zu haben, was einfach so in ein paar Sekunden entstanden ist. Ich hätte den Anspruch, die KI an die Wand zu reden, sodass sie irgendwann nicht mehr kann und sagt: "Bin ich am Ende." (lacht)
Was machen solche Beispiele mit Ihnen als Künstler?
Das sieht für mich aus wie Grundkurs Malerei. Ich nehme das zur Kenntnis und ich kann mir ungefähr vorstellen, wie so ein Programm funktioniert. Aber ich bin auch sehr interessiert daran. Nur brauche ich auch das Analoge, sonst wird es mir zu digital.
Ich müsste quasi eine Schippe Dreck in den Computer werfen, um das Gefühl zu haben, der arbeitet mit mir zusammen.
Dann kann ich meine Welt darin aufbauen. Dioramen sind ja der Vorgänger von Virtual Reality und es begeistert mich, wenn ich mit 3D-Programmen eine visuell begehbare Parallelwelt aufbauen kann, die mit malerisch-zeichnerischen Mittel erstellt wird und die ich wie eine Puppenstube einrichten kann.
Hat sich durch die digitale Welt eigentlich die Malerei an sich verändert?
Da habe ich nur den Überblick über meine direkte Umgebung. Die Wahrnehmung der Welt hat sich verändert, durch das ständige Informiert-Sein. Ich bin mir sicher, die Bilder haben irgendwie ihre Unschuld verloren. Wenn ich mir heute Filmeffekte aus den 70er-Jahren anschaue, bin ich gerührt, was mich damals aus den Latschen gehauen hat. Jetzt sind wir den stärksten Tobak gewöhnt. Und das bleibt auch in der bildenden Kunst nicht spurlos. Als Rezipienten ist unsere Reizschwelle relativ hoch. In der Kunst könnte man versuchen, das entweder zu unterbieten oder zu überbieten.
Kunst kann also bremsen und uns bewusst vom Schnellen, Bunten weglocken? Oder muss Kunst an solchen Stellen gar ein Korrektiv sein?
Das kann schon sein, dass Kunst diese Aufgabe übernehmen könnte und so eine Art Reparaturwerkstatt für die Wahrnehmung wird. Eine Reparaturwerkstatt für Symbole.
MDR (Marcel Roth)
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