Nachwuchsprobleme beim deutschen Sport Wie viel Leistung soll in den Kindersport?
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15. September 2023, 16:26 Uhr
Für den deutschen Leistungssport ist der Nachwuchssport eine Herausforderung. Das liegt zum einen an fehlendem Geld für Trainerinnen und Trainer. Aber auch an der Frage, wie viel Wettkampf gut ist, um Nachwuchs zum Sport zu motivieren, scheiden sich die Geister.
- Bei einer Teilreform haben die jährlich an Schulen stattfindenden Bundesjugendspiele kürzlich etwas von ihrem Wettbewerbscharakter verloren.
- Eine ähnliche Entwicklung ist im Kinderfußball abzusehen.
- Auch das fehlende Geld sorgt im Leistungssport für Trainermangel und Probleme.
Der Kinderzehnkampf in Gommern ist ein Event für die ganze Familie. Über 200 teilnehmende Kinder sorgen schon vormittags für ein buntes Treiben auf dem Sportplatz. Im Vordergrund steht der Spaß, aber auch der Wettbewerb soll nicht zu kurz kommen. Das ist vor allem ein Anliegen des Sportlehrers und Organisators Steffen Hartwig: "Jede Niederlage ist immer auch die Konsequenz, etwas anders und besser zu machen. Dafür ist auch der Kinderzehnkampf da."
Jede Niederlage ist immer auch die Konsequenz, etwas anders und besser zu machen.
Die deutsche Leichtathletik braucht Nachwuchs. Die teilnehmenden Kinder sollen beim Zehnkampf also für den Sport begeistert werden – und das möglichst nachhaltig.
Weniger Wettkampfcharakter bei Bundesjugendspielen
Interesse an Sport können Kinder auch an der Schule entdecken. Alljährlich sind die Schulen verpflichtet, die Bundesjugendspiele durchzuführen. Durch eine Teilreform haben diese kürzlich etwas von ihren Wettkampfcharakter verloren. So soll die Sportveranstaltung für die Klassen eins bis vier einfacher und spielerischer gestaltet werden.
Etwa, indem in diesen Klassenstufen bei Weitsprung und Weitwurf nicht mehr genau gemessen wird. Stattdessen wird zum Beispiel die Sprunggrube in verschiedene Zonen eingeteilt, die unterschiedlich viele Punkte bringen. Das soll laut der Deutschen Sportjugend vor allem den Ablauf beschleunigen, weil Wartezeiten für die Messungen wegfallen. Beispielsweise der Sprint wird aber weiterhin auf die Sekunde genau gestoppt. Außerdem gibt es nach wie vor für alle Kinder ihren Leistungen entsprechende Urkunden.
Positiv bewertet die Entwicklung eine Mutter, die ihr Kind zum Zehnkampf in Gommern begleitet hat. Sie sagte MDR SACHSEN-ANHALT, Leistungsdruck halte sie im Kindersport für fehl am Platz.
Kritik an der Reform
Für Sportlehrer Steffen Hartwig ist die Reform der Bundesjugendspiele ein Schritt in die falsche Richtung: "Kinder möchten sich immer vergleichen. Und um international zu bestehen, muss man vergleichbare Werte haben." Auch ein Vater, der beim Kinderzehnkampf in Gommern seine Tochter unterstützt und in der DDR selbst Sportler war, äußert sich kritisch zu der Bundesjugendspiel-Reform: "Kinder brauchen einen Anreiz, dass sich die Leistung, das Training lohnt."
Kinder möchten sich immer vergleichen. Und um international zu bestehen, muss man vergleichbare Werte haben
Ähnlich äußert sich die ehemalige Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler. Drechsler selbst war schon zu DDR-Zeiten Spitzensportlerin, in einem System, in dem der Leistungssport eine wichtige politische Rolle hatte und stark gefördert wurde. Sie findet es besonders in unserer Leistungsgesellschaft wichtig, "den Leistungsgedanken am Leben zu halten". Am vergangenen Wochenende besuchte sie das Familiensportfest des Magdeburger Olympiastützpunktes und sagt dort im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT: "Kinder wollen nicht verhätschelt werden."
Landessportbund ordnet ein
Ein Sprecher des Landessportbundes sagte MDR SACHSEN-ANHALT zur der Teilreform der Bundesjugendspiele: "Durch die geplanten Änderungen werden die Bundesjugendspiele ja nicht abgeschafft. Hier wird lediglich der Wettkampf als ein wesentliches Element erst ab der 5. Klassenstufe angeboten und nicht mehr wie bisher ab der 3. Klassenstufe."
Welchen Einfluss das auf eine spätere leistungssportliche Entwicklung habe, sei aktuell nicht einzuschätzen. Für viel wichtiger hält der Landessportbund allerdings, dass Kinder an den Schulen im Rahmen von qualifiziertem Sportunterricht und der Bundesjugendspiele überhaupt an Sport herangeführt werden.
Insgesamt, schreibt der Landessportbund, seien Wettkämpfe für Kinder und Jugendliche wichtig, weil der Vergleich untereinander auch im Sport einen bedeutsamen Aspekt in der Entwicklung der Kinder darstelle.
Fußball: Ligabetrieb soll "Festivals" weichen
Ähnliche Diskussionen gibt es aktuell auch im Kinderfußball in Deutschland. Der Deutsche Fußballbund strebt eine Reform an, die seit Wochen für Diskussionen sorgt. Tabellen und Ergebnisse sollen abgeschafft werden und der Ligabetrieb soll sogenannten Festivals weichen. Außerdem will der DFB sogenannte neue Spielformen einführen. Das Konzept: Zwei gegen zwei oder drei gegen drei auf vier Mini-Tore. Dadurch soll sich die Zahl der Ballkontakte erhöhen und so die individuellen Fähigkeiten verbessern.
Ähnlich wie bei den Bundesjugendspielen zeigt sich also auch beim Fußball eine Entwicklung, bei der das sportliche Wetteifern in den Hintergrund rückt. Der Fokus liegt eher auf dem Miteinander und Chancengleichheit für alle.
Es fehlen Trainer
Neben dieser Entwicklung gibt es jedoch auch andere Umstände, die dem Leistungssport Probleme bereiten. Ganz vorn auf der Liste: das fehlende Geld. Trainerinnen und Trainer bekommen in Deutschland ohnehin deutlich weniger Geld als in anderen Sportnationen. Zusätzlich hat die Bundesregierung entschieden, die Sportförderung ausgerechnet im Olympiajahr 2024 deutlich einzudämmen. Diese Geldknappheit kann sich auch auf den Sport auswirken.
Wenn es in der Breite nicht stimmt, haben wir auch oben ein Problem!
Denn ausgebildete Trainer würden zu attraktiven Bedingungen ins Ausland wechseln und neue Trainer würden kaum noch ausgebildet. Dabei seien gerade Trainer für den Nachwuchs so wichtig. "Es ist ja wie man auch herangeführt wird an den Sport, und da haben wir eine Menge Defizite", bewertet die ehemalige Leistungssportlerin Heike Drechsler. Sie appelliert: "Wenn es in der Breite nicht stimmt, haben wir auch oben ein Problem!"
MDR (Charlotte Reuter, Alisa Sonntag)
Dieses Thema im Programm: MDR S-ANHALT | 11. September 2023 | 19:00 Uhr