Wernigerode Naturliebhaber pflanzt Bäume auf eigene Faust
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11. März 2025, 19:17 Uhr
Der Frühling in der letzten Woche hat unserer Natur doch einen gewaltigen Schub verpasst. Und gerade jetzt sind die Bedingungen günstig, kleine und junge Bäumchen zu pflanzen, die der Harz dringend braucht. In Wernigerode gibt es einen echten Naturliebhaber, der die großen Pflanzaktionen gar nicht abwarten kann, sondern auf eigene Faust loszieht.
Andreas Tille radelt an den Skisprungschanzen im Zwölfmorgental bei Wernigerode (Landkreis Harz) vorbei, raus aus der Stadt, immer bergauf. Durchtrainiert wie er ist, hat er mit ziemlich strammem Tritt und einer 18-Gang-Schaltung den Kaiserturm auf dem Armeleuteberg vor Augen. Auch der Stadtwald Wernigerode hat durch Dürre und Borkenkäfer gewaltig Federn lassen müssen und erlaubt somit früher ungeahnte Sichtachsen. "Zur Orientierung sind die wirklich toll", meint der gebürtige Hallenser kaum aus der Puste, der mit seiner Familie seit fast 30 Jahren Wernigerode seine Heimat nennt.
Verschwundener Wald als Motivation
Der verschwundene Wald sei seine Motivation, regelmäßig hier hochzufahren. Denn im Rucksack hat er Setzlinge kleiner Eiben-, Linden-, Eschen- und Ahornbäumchen verstaut. Den kahlen Armeleuteberg möchte er wieder reich machen, reich an heimischen Bäumen. Nachdem er sein Rad am Wegesrand abgestellt hat, streift er durchs Brombeerdickicht ganz zielgerichtet an einen Baumstumpf und beginnt, mit einer kleinen Schaufel ein Loch zu graben. Ganz behutsam setzt er den Wurzelballen einer kleinen Linde hinein, drückt ihn mit reichlich Erde an und gibt dem Setzling einen ordentlichen Schluck aus seiner Wasserflasche.
"Um die Mittagssonne spendet der Baumstumpf der kleinen Linde Schatten", unterstreicht Tille seine Pflanzmethode. Und er liefere dem jungen Bäumchen in den ersten Jahren in freier Natur wertvollen Humus. Nachdem er den neuen Stammplatz fotografiert und die exakten GPS-Daten erfasst hat, verbarrikadiert er den Boden rund um die Linde mit starkem Geäst, denn "auf der Suche nach Pilzen haben wühlende Wildschweine schon mehrfach meine Bäumchen einfach wieder ausgegraben", bedauert Tille. "Das will ich den Schweinen verderben. Die sollen 20 Jahre warten, bis der Baum Früchte trägt. Und dann können sie fressen."
Andreas Tille zwinkert der kleinen Linde zu und stapft ein paar Meter weiter durchs Gestrüpp Richtung Kaiserturm. Er kniet sich wieder an einem Baumstumpf nieder und zieht diesmal eine junge Eibe aus seinem Rucksack. "Heute habe ich 20 Bäumchen zum Auswildern dabei", die er kurz zuvor zu Hause im Garten ausgegraben habe. Dabei hilft ihm seine Frau Katrin und spricht von unzähligen "Keimlingen, die bei uns im Garten aufgehen." Sie kämen von den großen Bäumen, die die Tilles selber hier hätten. "Oder Samen aus Nachbargärten, die dann der Wind zuträgt", fügt Katrin Tille hinzu.
Tilles Garten in Wernigerode ist eine wahre Bäumling-Kinderstube. Aufgeräumt – und doch wild. "Kleine Sprösslinge unserer Linde sind selten", erzählt Katrin Tille. Da müsse man auch ganz genau hinschauen. Den nur zehn Zentimeter hohen Trieb der nun ausgewilderten Linde habe sie erst gestern entdeckt. Da gehe es bei den Eiben offensichtlich lebhafter zu. Zu Füßen der männlichen und weiblichen Elternbäume wimmelt es nur so von Nachwuchs. Hunderte sind nur fingerhoch, dazwischen stehen sie wie Orgelpfeifen bis zur Kniehöhe. "Da habe ich genug für die nächsten Jahre", schmunzelt Andreas Tille, dem das Auswildern sichtlich Spaß macht.
Absprache mit Förster
Solange es sich um heimische Arten handelt, dürfe Andreas Tille Bäumchen aus seinem Garten auswildern, sagt Michael Selmikat. Der Leiter der Wernigeröder Stadtforst spricht von einer sogenannten Wildling-Werbung: "Die Bäume sind in Wernigerode beziehungsweise im Stadtwald heimisch. Also dürfen die Sämlinge in Absprache mit dem zuständigen Förster an anderer Stelle im Wald wieder ausgebracht werden."
Früher, so Andreas Tille, habe er die Sämlinge kleiner Bäumchen einfach auf den Garten-Kompost geworfen. Bis zum Sinneswandel vor einigen Jahren mit der Frage: "Warum soll ich kleine Bäume umbringen, die woanders gebraucht werden?" Seither packt er seinen gelben Fahrradrucksack sehr regelmäßig und ist ganz wild aufs Auswildern. Meist setzt er im Frühling und im Herbst 'seine Nachkommen' aus. Für die sucht er sich paradoxerweise ungünstige Pflanzorte an trockenen und windigen Hängen, an denen es "die Bäume besonders schwer haben", aus den Kinderschuhen herauszuwachsen. Für den Erfolg setzt Tille auf seine Erfahrung, mit der er seine Pflanztechnik permanent verfeinert.
Warum soll ich kleine Bäume umbringen, die woanders gebraucht werden?
Inzwischen spricht er von Tausenden, die Kraft seiner Hände eine Chance in freier Natur bekommen hätten. Anhand seiner akribischen Dokumentation visualisiert er auf einer digitalen Karte seine Setzlinge. "So weiß ich auch, wo ich noch nicht war. Und ich kann später nachschauen, ob und wie sie sich entwickelt haben."
Sein persönliches Engagement für die Natur verknüpft der studierte Physiker ganz pragmatisch mit seiner beruflichen Philosophie. Als Entwickler freier Software "gebe ich etwas der Allgemeinschaft. Und analog habe ich in meinem Garten die freie Ressource Bäume. Die nehme ich also und gebe sie an die Allgemeinheit in der Hoffnung, dass etwas Gutes damit passiert."
Dabei sei ihm durchaus bewusst, dass seine Auswilderungen nur ein winziger Tropfen auf den heißen Stein seien. "Aber ich sage mir immer, wenn ich es nicht probiere, dann werde ich nie wissen, ob ich Erfolg habe", erklärt Andreas Tille mit Blick auf Kolumbus, der auch "losgefahren ist, ohne zu wissen, was ihn erwartet."
Katrin und Andreas Tille gehen inzwischen mit anderen, sehr aufmerksamen Augen durch den Wald. Dabei wünschen sie sich, die Früchte des ein oder anderen erwachsenen Baumes noch erleben zu dürfen. Und Andreas ergänzt in Bezug auf seine selbst gesetzten Bäume: "Ich kann den Wald nicht retten. Ich kann die Welt nicht retten. Aber ich kann mir ein gutes Gefühl verschaffen. Oder den Leuten, die daran vorbeigehen. Das ist mir auch wichtig."
MDR (Swen Wudtke, Mario Köhne)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 12. März 2025 | 14:40 Uhr
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