Der Osten Gernrode: Das ehemalige Ferienheim "Heckert" soll umgebaut werden
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21. April 2023, 19:10 Uhr
Ferienapartments, Sport- und Wellnessanlagen und ein Restaurant: All das soll auf dem Gelände des ehemaligen DDR-Ferienheims "Heckert" in Gernrode entstehen. Die Anwohner sind skeptisch, ob das umgesetzt wird. Momentan ist das Heckert stark verfallen und wird – zum Leidwesen der ehemaligen Mitarbeiter – vor allem als "Lost Place" genutzt.
- Das ehemalige Ferienheim "Heckert" in Gernrode im Harz ist mittlerweile stark verfallen und wird von vielen als "Lost-place" für Abenteuer genutzt.
- Nach jahrelangem Leerstand hat sich ein Käufer gefunden, der nun seine Pläne vorgestellt hat. Auf dem Gelände sollen Aparments, Sportanlagen und Restaurants entstehen.
- Viele Gernroder sind skeptisch, ob die Pläne auch wirklich umgesetzt werden. In der Vergangenheit haben sie große Enttäuschungen diesbezüglich erlebt.
Wer heute nach Gernrode im Harz kommt, kann es vom Ort aus nur noch erahnen: Das alte Heckert-Ferienheim. Und doch haben viele Besucher genau dieses Ziel. "Quasi jeden Tag, oder besser jede Nacht kommen Gäste, die laut Musik spielen, Feuer auf dem Dach machen oder wilde Partys feiern", berichtet die Anwohnerin Sigrid Stier.
Sie hat früher in dem DDR- Ferienheim gearbeitet und deshalb schmerzt es sie besonders, dass mittlerweile jedes Kabel herausgerissen und jede Wand besprüht ist. "Mit dem, wie es mal war, hat es nichts mehr zu tun. Es ist schlimm, richtig schlimm für mich", erzählt sie.
Heckert ist inzwischen als "Lost-Place" bekannt
In den vergangenen Jahren hat das alte Heckert-Heim eher online Karriere gemacht. Als Lost Place – ein vergessener Ort, den sich die Natur zurückholt. Auch bei einem MDR-Besuch an einem Spätnachmittag im März treffen wir zwei junge Leute, bepackt mit hochwertiger Kameraausrüstung.
"Mein Freund ist extra aus England rübergekommen. Wir wollen ein paar atmosphärische Fotos schießen. So eine tolle Location!" Viele Videos kursieren mittlerweile im Web von den lang geschwungenen Fluren, von Graffiti-Sessions oder den verrußten Kellergängen. Die Birken wachsen wahrscheinlich schon seit zehn Jahren auf den Balkonen, das hochwertige Fischgrätenparkett ist nur noch in Ansätzen vorhanden.
Auch Florian Hänsel aus Haldensleben hat sich die Videos angesehen. Er hat nach einer halbwegs legalen Location gesucht, um ein Musik-Video aufzunehmen. "Ich wollte so was Raues aus Beton, Stahl und Dreck. Und schon bei diesen Videoclips im Netz hatte ich mich in zwei, drei Stellen schockverliebt, da wollte ich unbedingt hin. Und als wir dann hier her kamen, war alles noch viel krasser, viel größer. Dieser Kontrast mit dem Licht und dem düsteren Bau hat was ziemlich geniales."
Viele Gernroder glauben nicht mehr an Neunutzung
Für die alten Gernroder ist das alte Heckert-Heim indes nur noch ein Schandfleck, eine Ruine. Der ehemalige Küchenleiter Erwin Lorch glaubt nicht an eine Auferstehung: "Es ist der Natur genommen worden und die Natur holt es sich ́s wieder. Das ist der Kreislauf und wird wohl auch so bleiben."
Neue Käufer mit umfassenden Plänen
Allerdings gibt es inzwischen handfeste Neuigkeiten. Das Heckert-Ferienheim hat endlich einen Käufer gefunden. Eine Berliner Investorengruppe (IBG) mit langjähriger Baukompetenz. Die haben das Projekt gesehen und sofort zugeschlagen. Über den Preis schweigt man sich allerdings aus. Bauherren-Vertreter Sascha Hellwig erzählt: "Wenn man hineinkommt, ist man erstmal erschlagen, weil die Substanz optisch einen schlechten Eindruck macht, physisch ist sie aber umso besser. Und bei uns kamen relativ schnell viele Ideen wie man das ganze revitalisieren und wiederbeleben könnte. Im Sinne der ganzen Region hier."
Das hören die Stadtväter von Gernrode und Quedlinburg, unter dessen Verwaltung Gernrode mittlerweile steht, sehr gern. Schließlich haben sie den Verkauf durch eine wichtige Maßnahme befördert und den strengen Denkmalschutz vom Gebäude genommen. Mit seiner frühen Bauzeit zwischen 1952-1954 gehörte es zur DDR-Ferienheim-Architektur, die seit 1993 unter Schutz steht.
"Der Denkmalpfleger hat uns selbst vorgeschlagen, oben aufs Dach die Gastronomie zu bringen. Er hätte nichts dagegen und außerdem sei das doch ein toller Ausblick", freuen sich die neuen Bauherren über so viel Verständnis für eine touristische Vermarktung.
Umbau mit Apartments, Restaurant und Sportplätzen vorgesehen
"Heckert 2.0" heißt das umfangreiche und grundsätzliche Sanierungs-Projekt im Bauherrenjargon. Die größten Veränderungen wird es im Haupthaus geben. Wo einst der große Saal war, sollen Maisonette-Apartments im hochpreisigen Bereich entstehen. Die einst sehr kleinen Zimmer mit Toilette und Bad auf dem Flur werden zu ganz neuen Einheiten umgebaut. Die Kulturräume und Lounge-Bereiche bekommen eine neue Nutzung im Wellness- und Sport-Bereich.
Auch ein neues Gästehaus wollen die Bauherren errichten, vor allem für junge Pärchen. Genau an jener Stelle, an der einst das alte Bettenhaus stand, das es seit 1994 nicht mehr gibt. Gebaut zu Beginn der 1970er Jahre, als die Zahl der Urlaubsplätze im Schwange von Honeckers Machtantritt und seiner neuen Sozialpolitik ansteigen sollten. Allerdings war es ein Versuchsbau aus Gips, der alsbald seine Mängel bei Nässe offenbarte. Der Clou soll aber auf das Dach des Haupthauses kommen – eine große Dachterrasse mit Restaurantbetrieb.
"Der Westharz kann sich eine Scheibe von uns abschneiden"
Der Berater der Investoren, Michael Spillecke, schwärmt von den planerischen Ansätzen: "Vom Grundsatz her wird das hier das neue Highlight vom Ostharz. Besser geht’s nicht mehr. Da kann sich auch der Westharz eine Scheibe von abschneiden. Wir brauchen uns mit diesem Projekt nicht verstecken."
Wichtig ist den neuen Eigentümern, dass sie an die alten Traditionen anknüpfen. Bei ihren Rundgängen sind sie oft angesprochen worden von ehemaligen Gästen, aus der DDR, aber auch aus Bayern, Dänemark oder Polen. "Alle schwärmen vom alten Heckert-Ferienheim. Die können dann gern alle wiederkommen."
Sascha Hellwig möchte, dass für alle Preisklassen etwas dabei ist und nicht nur teure Luxusapartments entstehen. Deshalb haben sie auch das gesamte Gelände inklusive des verwilderten Berghangs am Kuhkopf gekauft. Da sollen bis einhundert Meter in den Wald hinein kleine Apartmenthäuschen stehen, jedes mit ein wenig Privatsphäre und vor allem preiswert. Insgesamt planen sie 600 Betten auf 50.000 Quadratmetern. Doppelt so viel wie einst zu DDR-Zeiten.
Umbau soll mehr Übernachtungsmöglichkeiten im Harz schaffen
"Das wird die Praline für den Ostharz", schwärmt mit ein bisschen Augenzwinkern Michael Spillecke. "Das Sahnehäubchen." Schließlich hätte doch die Umgebung viel zu bieten, wenn auch der Wald des Harzes ziemlich geschädigt ist.
Es gibt im Ort Gernrode die mehr als 1.000 Jahre alte Stiftskirche St. Cyriakus, Quedlinburg ist mit seinen schön sanierten Fachwerkbauten UNESCO-Welterbe-Stadt, wenige Kilometer entfernt kann man an der Teufelsmauer spazieren oder auf den Brocken wandern, den Hexentanzplatz besuchen.
Nur bei den Übernachtungen im Harz wird es schnell eng. Die Investoren kennen die Situation vor Ort ganz gut. Vor wenigen Jahren haben sie in Thale ein Feriendorf errichtet, das gut gebucht ist und das ebenfalls an das Konzept "Natur erleben!" im Harz anknüpft.
Gernröder haben Sorge, dass es wieder nichts wird
Lange haben sich die neuen Eigentümer über ihre Pläne ausgeschwiegen. "Nun, wir wollten erst die uneingeschränkte Befürwortung durch den Stadtrat haben, ehe wir an die Öffentlichkeit gehen", entschuldigt sich Sascha Hellwig. Allerdings hat diese Haltung die Gerüchteküche unter den Gernroder Bürgern tüchtig angeheizt. Sie sind "gebrannte Kinder", die nicht mehr alles glauben, berichtet Regina Simon, die ehemalige Bar- und Restaurantleiterin des Heckert-Heimes.
"Die Jahre nach der Wende waren die schlimmsten. Wir sind mit Investoren so oft verarscht worden. Die wollten nur die Fördergelder und haben uns Arbeitsplätze versprochen. Was im Heckert-Heim nach der Schließung alles entstehen sollte – eine Finanzfachhochschule, eine Krebsklinik, ein Kurzentrum. Da warten wir heute noch drauf."
Große Enttäuschung über gescheiterte Versuche
Am Ende ist das alles nichts geworden, die Bewerber sind abgesprungen oder untergetaucht. In der Krebsklinik sollten 4.000 Arbeitsplätze geschaffen, das Kurzentrum von einem Förderverein zur Erforschung der holistischen Reha betrieben werden. Die Stadtväter von Gernrode lernen mit jedem Scharlatan dazu. Und entscheiden sich gegen den Verkauf an dubiose Interessenten.
Detlef Kunze saß damals im Stadtrat und erinnert sich schmerzlich: "Mich hat damals unwahrscheinlich persönlich berührt, dass da auf einer Investoren- Veranstaltung ein schon seit einiger Zeit Arbeitsloser aufgesprungen ist und sagte: "Ich bin bereit, ich komme sofort morgen." Da dachte ich: "Moment, Moment, geht's erstmal ruhig an. Doch es wurde gar nichts ruhig angegangen. Das war für uns eine kalte Dusche, als es plötzlich hieß: Nein, die haben sich zurückgezogen. Gründe wurden dann nicht genannt. Das sind so Enttäuschungspunkte, die die Menschen hier nicht so schnell vergessen."
Mit der Schließung ging alles den Bach runter
Regina Simon ist auch nach dreißig Jahren noch sauer. "Wir Mitarbeiter haben oben im Heckert mit einer kleinen Gruppe zusammengesessen. Wir wollten das Heim selbst übernehmen. Zu dem Zeitpunkt war das noch ein volles Haus. Sicherlich wäre niemand damit reich geworden, aber wir hätten das Haus offengehalten und vielleicht auch ein bisschen die Infrastruktur von Gernrode damit gerettet. Denn nach dem Ende ist alles den Bach runtergegangen, alle Restaurants, alle Geschäfte. Der letzte Bäcker hat gerade geschlossen. Hier ist nichts mehr."
Damals sind sie mit einer kleinen Abordnung zum Bürgermeister gegangen, wollten ihn vom Eigenbetrieb mit einer GmbH überzeugen. Aber im Rathaus setzte man auf neue, windige Investoren aus dem Westen.
Ehemalige Mitarbeiter bleiben skeptisch
So gibt es bis heute zwei Fraktionen in Gernrode: die Optimisten und die Pessimisten. Am Heckert scheiden sich die Geister. Detlef Kunze, ein paar Jahre Bürgermeister von Gernrode, gehört zu den Optimisten. "Wissen Sie, im Harz geht es ja durch unsere Berge grundsätzlich bergauf", lacht er.
Kunze führt uns zu den drei alten FDGB-Ferienheimen, die Gernrode zu DDR-Zeiten hatte. Das Heckert ist verkauft, das Stubenberg-Hotel hat gerade den Besitzer gewechselt und soll auch saniert werden. Und das ehemalige Ferienheim "Freundschaft" ist zwar abgebrannt, aber die Fläche wird heute wieder bewirtschaftet.
Ganz so rosig sehen es die Ehemaligen vom Heckert-Heim nicht. " Ich bin sehr skeptisch, sehr. Im Moment wohne ich hinter der größten Müllkippe von Gernrode. Von den neuen Besitzern habe ich noch nicht viel gesehen. Wenn ich wen treffe, sind es Jugendliche in Tarnanzügen und mit Gewehren, die ihre Kriegsspiele spielen", empört sich Sigrid Stier. Auch Regina Simon ist eher zurückhaltend. "Ja, der Glaube ist groß. Aber mal sehen, was kommt. Und ob wir das noch erleben!"
MDR (Katja Herr, Leonard Schubert)
Dieses Thema im Programm: Der Osten – Entdecke, wo du lebst | 25. April 2023 | 21:00 Uhr
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