Landkreis Börde Der, der seinen Heimatort nicht verlassen will

16. Mai 2022, 19:01 Uhr

Der 27-jährige Bäckergeselle Nico wohnt und arbeitet schon sein Leben lang in Calvörde. Die Großstadt ist nichts für ihn. Für ihn lässt es sich im Dorf gemütlicher und entspannter leben. Dass er hier bleibt, ist für ihn deshalb völlig klar – auch, wenn der sogenannte Männerüberschuss in Calvörde recht deutlich ausfällt. Für den zweiten Teil eines Schwerpunkts zum Männerüberschuss auf dem Land hat MDR SACHSEN-ANHALT Nico besucht.

Das Fenster steht offen und die Vögel zwitschern draußen. In Nicos Wohnzimmer steht eine Palettencouch, riesige Palmen, die genauso groß sind wie er, sowie ein Aquarium mit seiner Schildkröte. In seiner ersten eigenen Wohnung wohnt er allein.

Nico will nicht weg

Nico ist 27 Jahre alt, ist in Calvörde aufgewachsen, lebt und arbeitet dort als Bäcker. Ein Leben in der Stadt kommt für ihn nicht in Frage. Seine Lehre hat er auch in Calvörde absolviert.

Er ist immer noch im gleichen Betrieb. "Durch meine zwei Praktika wollte ich Bäcker werden. Es hat mir Spaß gemacht", sagt er MDR SACHSEN-ANHALT. Zudem findet er, dass das Handwerk sonst ausstirbt, gerade auf dem Dorf. Die Lehre bei Großbäckern in der Stadt wollte er nicht antreten:

Das ist für mich kein Handwerk mehr – da bist du nur Anlagenführer und drückst Knöpfe.

Nico 27-jähriger Bäcker aus Calvörde

Er und seine Kollegen kneten alles mit der Hand selbst. Am liebsten macht er Hefeteigkuchen. "Der geht am besten", meint er. Bei den gängigen Sorten Bienenstich, Polter- und Zuckerkuchen variiert Nico oft. Mal gefüllt mit Créme und manchmal ganz klassisch. Nach zehn Jahren als Bäcker im Ort weiß er, dass die Calvörder ihren Apfelkuchen lieber ohne Streusel essen.

Kurze Wege im Ort

Von seiner Wohnung aus geht er fünf Minuten zur Backstube. Die kurzen Wege sind Nico wichtig. Auch zum Einkaufen im Ort nutzt er nur selten das Auto. "Wenn ich keine Lust habe, die Sachen durchs Dorf zu schleppen oder bei größeren Dingen, dann nehme ich das Auto", sagt der 27-Jährige.

Wann er das letzte Mal in der nächstgrößeren Stadt war, weiß er nicht mehr. Für ihn hat der Ort alles, was er braucht. "Wenn es noch einen China-Imbiss gäbe, wäre es perfekt!"

Schon das Kleinstadtleben ist nichts für ihn

Für seine Ausbildung musste er nach Dresden. "Es war schon cool, aber Stadt ist nicht meins." Das Miteinander im Dorf oder auf dem Land ist ihm wichtig. "Hier ist es gemütlicher, man kennt die Menschen und alle grüßen freundlich. Auch schon früher beim Einkaufen mit Oma." Im Ort kennt man sich untereinander. Die Anonymität in Großstädten meidet er. Er kann verstehen, dass vor allem Frauen in seinem Alter in der Stadt mehr Perspektive für die Karriere oder der Liebe sehen. Für ihn ist dieses Leben nichts.

Meine Großeltern sind auch schon hiergeblieben.

Nico Bäcker aus Calvörde

Ein Ort, der alles fürs Leben bereit hält

Bald will er umziehen – natürlich nur innerhalb des Ortes – in das Haus zu seinem Papa. "Meine Großeltern sind auch schon hiergeblieben." Dem Flecken Calvörde mangelt es nicht an Einkaufsmöglichkeiten. Ebenso gibt es Allgemein- und Zahnärzte, eine Tankstelle, ein Bistro, eine Friseurin sowie eine Poststation und natürlich eine Bäckerei. Die Kinder kommen im Kindergarten, in der Schule und im Hort unter. Alles was nötig ist, hält der Ort bereit. Erreichbar ist alles mit dem Fahrrad.

Viele seiner Freunde sind nicht weggegangen und wohnen in Calvörde. Oft sind es die männlichen Freunde, die den Ort nicht verlassen haben oder für die Ausbildung nicht in die Stadt gezogen sind. Aus seinem Abschlussjahrgang haben nur eine Handvoll Schüler die Umgebung verlassen.

Probiers' mal mit Gewohnheit

Nicos Lieblingsort ist die Schleuse am Spornsteg an der Ohre. Dort stehen Holzbänke zum Verweilen. "Da ist es ruhig und so viele Plätze für ältere Jugendliche gibt es ja nicht", sagt Nico. Auf dem Weg in seinen Garten trifft er Freunde auf dem Marktplatz. Gemeinsam wird noch schnell eine Zigarette geraucht. Die nächsten Bekannten halten schon mit dem Auto an und begrüßen die Runde.

Nebenan steht ein blauer Fischverkaufswagen mit einem Schwertfisch darauf. Seit über 15 Jahren der Gleiche. Er gehört schon zum Bild des Ortes. Der Kirchturm am Markt sei schon etwas besonders, so Nico. "Der ist schon der größte hier in der Gegend." Mit gut 50 Metern ist die St.-Georgs-Kirche schon jahrhundertelang das Wahrzeichen Calvördes.

Keine zehn Minuten dauert der Fußmarsch zum Garten. Nico hat sich vor vier Jahren einen Kleingarten geholt. "Hallo, Nico!" schreit ein kleiner Junge quer durch den Nachbarsgarten. Dieser besucht den Bäcker oft, um Trampolin zu springen. Auch alle anderen Nachbarn begrüßen Nico. Man kennt sich. Im Garten angekommen, wird sich auf die Holzbänke gesetzt, die rund um die Feuerstelle stehen. "Der Garten ist eine Gemeinschaftssache“, erklärt er, "er ist hier für alle da." Mit "alle" meint er seine Freunde, die sich mit ihm gemeinsam um den Garten kümmern und Zeit doch verbringen.

Zum Bergfest werden Karten gespielt

"Mittwochs haben wir eine Kartenrunde einberufen. Dann kommen alle nochmal raus. Es ist wie bei alten Männern." Das Bergfest wird mit dem Spiel Knack gefeiert. "Letztens wurde auch mal gekniffelt." Ansonsten sitzen die Freunde meist samstags zusammen. Der Garten daneben gehört einem Freund aus Calvörde, der gerade noch in Magdeburg wohnt. "Der will auch wieder zurückkommen."

Nico reflektiert, dass es auch in seinem Freundeskreis mehr junge Männer gibt als junge Frauen. Laut MDR-Recherchen kommen in Calvörde statistisch gesehen 124 Männer im Alter von 20 bis 39 Jahren auf 100 Frauen im gleichen Alter.

Die Familie in der Nähe und Freunde im Garten

In dem kleinen schlauchartigen Garten befindet sich hinten ein grünes Trampolin. "Das haben wir alle zusammen besorgt. Richtig cool." Überall grünt es. An der Seite wurde schon ordentlich viel Holz angesammelt, um für den Winter gewappnet zu sein. Unter der Woche kommt Nico zum Gießen vorbei. Johannisbeer- und Stachelbeersträuche wurden angepflanzt, sind aber noch ganz klein.

"Am wichtigsten ist der Rhododendron von meiner Mama", betont Nico. Dieser wurde von ihm mit Backsteinen abgegrenzt, damit die kleine Pflanze beim Rasenmähen nicht verletzt wird. Die Nähe zur Familie ist für den 27-Jährigen sehr von Bedeutung. Das ist ein großer Punkt, warum er den Ort nicht verlassen möchte.

Auf dem Weg zurück schließt Nico das schwarze Tor, welches ihm bis zu den Knien geht. Über den Marktplatz geht er zu seiner Wohnung. Jetzt wird sich noch einmal ausgeruht, bevor er zwischen 21 und 22 Uhr in die Backstube kommt und die Brote, Brötchen und Kuchen für den nächsten Tag vorbereitet. Nico liebt das Leben auf dem Dorf und wird es nie für ein anderes eintauschen wollen.

MDR (Saskia Lohöfer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. Mai 2022 | 07:00 Uhr

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