Drehkreuz Sachsen-Anhalt Wie Lkw-Fahrer in Sachsen-Anhalt Rast machen (müssen)

14. August 2020, 18:03 Uhr

In Sachsen-Anhalt sind täglich tausende Lkw auf den Autobahnen unterwegs, Rastplätze am Abend oft hoffnungslos überfüllt. Es ist ein Problem, das wächst, obwohl es bekämpft wird. Warum die Not so schwer zu lindern ist und was das Leben am Straßenrand für die Fahrer heißt – ein Besuch.

Also, in Frankreich sei das besser. Auf jeden Fall mit den Duschen. Jan, ein polnischer Lkw-Fahrer, der es eilig hat, erklärt, Duschen seien in Frankreich an jedem zweiten Haltepunkt. Eine verlässliche Sache – und kostenlos. Gerade hat er am Trittbrett noch Wasser aus seinem Kanister laufen lassen und sich gewaschen, dann flugs ein T-Shirt übergeworfen und die wenigen Worte verloren, um jetzt schon wieder auf den Bock zu klettern. Die Toiletten hier? "Katastrophe!" Noch viereinhalb Stunden Weiterfahrt, erklärt er, und setzt seinen Laster in Gang. Er hat noch was vor sich, tritt aufs Gas und verlässt den Rastplatz Lorkberg, an der A2.

Lorkberg, das ist einer dieser kargen Orte ohne Pächter mit einer Landschaft aus flach gewachsenen Bäumen, metallenen Sitzgruppen, holzummantelten Mülleimern und einem Toilettenhäuschen aus rotem Klinker, das gegen den Wind zu riechen ist. Nachdem die Sonne bei 35 Grad vom Himmel niederbrannte, wird die Hitze erst jetzt, gegen 19 Uhr, langsam erträglicher. Zur Dämmerung sind hier Fahrzeuge aller möglichen Speditionen versammelt, die Kennzeichen aus Polen, der Ukraine, Estland, Litauen, aus den Niederlanden, der Slowakei oder Rumänien – ebenso direkt aus Sachsen-Anhalt, aus Burg, Haldensleben, aber auch aus Berlin. All die Fahrer hinter dem Steuer eint jeden Abend die gleiche Not: Die mit dem Parkplatz.

Als Fahrer Jan seine Parklücke hinterlässt, sie ist ganz regulär auf weiß umrandeter Fläche, ist das für den nächsten ein Geschenk – während bereits Lkw-Schnauze an Lkw-Schnauze steht. Daneben schon die zweite Reihe. Ränder an Ein- und Ausfahrten werden später noch besetzt. Die Autobahnpolizei kontrolliert, wie jeden Abend, auch auf diesem Abschnitt. Es ist seit Jahren dieses Bild, ein altes Problem, das wächst, obwohl es bekämpft wird. Doch die Politik kann der Entwicklung nur hinterherlaufen.

Ein Sprecher des Verkehrsministeriums Sachsen-Anhalts sagt, bei so viel Lkw-Verkehr, "so schnell kannst du gar keine Parkplätze bauen". In den vergangenen Jahren habe sich aber sehr wohl einiges getan, bescheinigt der ADAC. So gebe es Fortschritte an der A2, betont die Sprecherin, mehr Parkflächen seien entstanden, mehr Laternen aufgestellt worden. Autohöfe seien dazu gekommen, Fläche auch aus privater Hand.

So viele Lkw-Parkplätze gibt es an Sachsen-Anhalts Autobahnen

In Sachsen-Anhalt gibt es nach Angaben des Verkehrsministeriums 2.147 Lkw-Stellflächen an den Autobahnen im Land. Davon sind 54 unbewirtschaftete Rastanlagen, 13 bewirtschaftet (betrieben von "Tank & Rast"). Hinzuzuzählen sind die privat betriebenen Autohöfe mit etwa 1.200 Stellplätzen. Ein Stellplatz kostet den Angaben nach durchschnittlich rund 30.000 Euro.

Zuletzt hat das Land mehrere Bauprojekte für Lkw-Parkplätze realisiert,

  • 2018 rund 90 neue Lkw-Stellplätze an der A14 auf dem Rastplatz Sülzegrund.
  • 2019 rund 40 neue Stellplätze auf der Raststätte Osterfeld an der A9/Richtung Berlin, zwölf weitere in Lorkberg an der A2
  • 2020, also aktuell, baut das Land rund 40 neue Stellplätze auf der Raststätte Osterfeld an der A9/Richtung München, weitere Flächen am Rasthof Börde an der A2


Wenn die Rastanlage in Osterfeld fertig ist, werden für beide Fahrtrichtungen Lärmschutzwände installiert sein, die den Lkw-Fahrern mehr Ruhe für ihre Pausen bringen sollen.

Worum es dabei auch gesamtgesellschaftlich geht, das zeigt sich an diesem Montagabend im August schon auf einem 30-Kilometer-kurzen Abschnitt der A2: Auf den Rastplätzen manifestiert sich in konzentrierter Form, wie viele Laster eigentlich tagtäglich auf den Straßen unterwegs sind. An den Rastplätzen Börde, Lorkberg und Marienborn, überall: Lkw an Lkw längs, Lkw an Lkw quer. Eindringlich zeigt sich, wie sehr der Straßen-Güterverkehr in dieser Form, in dieser Masse, mittlerweile in die DNA des Verkehrsnetzes eingeschrieben ist – mit Folgen, ungelösten Problemen direkt am Straßenrand, dem Parkplatzmangel, gefährlichen Rückstaus, Müll.

Blickt man auf die Prognosen, wird nur noch deutlicher, dass bald jeder einzelne neue Parkplatz zählt. Das Bundesverkehrsministerium geht davon aus, dass der Lkw-Güterverkehr bis 2030 um rund 39 Prozent wachsen soll. Schon jetzt fehlen entlang der Autobahnen im Land, sei es an A9, A14, A38 oder A2, den Berechnungen zufolge rund 700 Lkw-Stellplätze – immer noch, obwohl das Land zuletzt regelmäßig baut.

Manchmal blanke Verzweiflung

Für manche Fahrer mündet das allabendlich in blanke Verzweiflung. "War mir jetzt egal, ob das hier richtig ist", sagt ein Fahrer, seinen Namen will er nicht nennen, knurrend aus dem Fenster seines Lasters. Er steht vor einer Tankstelle auf der Rastanlage Marienborn. Eine Stunde lang habe er gesucht, seit Hannover, sagt er. Umgerechnet sind das gut 100 Kilometer lang.

War mir jetzt egal, ob das hier richtig ist

Lkw-Fahrer an der A2

Wieder zehn Stunden gefahren, ärgert sich der Mann, schmales Gesicht, randlose Brille. Dazu muss man wissen: Seine Tagesleistung darf er laut Gesetz nur zwei Mal innerhalb einer Woche auf zehn Stunden erhöhen. Und bei dieser ovalen Fläche hier, auf der er steht, die kein Parkplatz zu sein scheint, ebenso wenig eine Straße, hat er, wie sechs andere Fahrer auch, mögliche Bedenken nun über Bord geworfen. Der Rest der Anlage, mehrere Parkreihen vor der Gedenkstätte Deutsche Teilung, sind da längst voll.

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Do 13.08.2020 17:42Uhr 00:34 min

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Das Problem beginnt meist schon am späten Nachmittag, gegen vier, fünf Uhr. So beschreiben es Fahrer an der A2, ganz egal, woher sie kommen. Selbst da, wo die frühere Zollabfertigung beim Transit zwischen DDR und BRD eine Riesenbrache hinterlassen hat, bleibt nichts frei. Wo der Eiserne Vorhang war, ist ein Meer parkender Lkw zu sehen, blitzen die Autodächer in der Abendsonne. Es ist wie eine Nahaufnahme des Handelsverkehrs, der sich kreuz und quer durch Europa bewegt.

Und der in Deutschland, anders als zum Beispiel in der Schweiz, ganz massiv über die Straße führt. Mehr Ladung auf die Schiene umzumünzen, würde aber helfen. Das sagen Experten, selbst die Bundesregierung. Doch in Deutschland kommt das nicht voran. Das Statistische Bundesamt hat ermittelt, dass rund 72 Prozent aller geleisteten Tonnenkilometer im Güterverkehr in Deutschland auf Straßentransporte entfallen.

Das beschäftigt auch Steffen Kauert, der, wenn es um Autobahnen geht, der oberste Straßenbau-Planer im Land ist. Er glaubt nicht, dass sich diese Entwicklung in absehbarer Zeit ändern wird, schon weil der Onlinehandel – in Corona-Zeiten noch mehr – so wichtig geworden sei. Ihm ist bewusst, dass Platz für die Fahrer an allen Ecken und Enden fehlt – wobei er findet, bei der Sauberkeit hätten sie es auch selbst in der Hand. Wo das Land die Reinigungsfirmen täglich zu den Toiletten schicke, sehe es wenig später wie vorher aus. Um bautechnisch dranzubleiben, verfolge das Land seit Jahren die Strategie, bestehende Rastplätze umzuorganisieren – um bei gleicher Grundfläche mehr Stellplätze rauszuholen. Ein Komplettneubau dagegen hänge an langwierigen Genehmigungsverfahren.

Angst vor Ladungsdieben

Für den Rastplatz Lorkberg heißt das, zwölf 40-Tonner können seit kurzem zusätzlich parken, auch wenn das kaum aufzufallen scheint. Jeder konkrete Auftrag beim Fahrer drängt, sei es die Tour nach Nordrhein-Westfalen, Holland oder nur drei Stunden weiter bis ins kleine niedersächsische Schüttorf – das ist Dareks nächstes Ziel. Darek und sein Mitfahrer sind an diesem Abend ebenfalls hier untergekommen. Sie haben einen Alu-Grill aufgestellt, so einen kleinen für unterwegs, es brutzeln Würstchen und Fleischpatties. Gern ist Darek hier nicht, mal abgesehen von Hygiene und Versorgung: Er findet es gefährlich. Ein Kollege sei schon mal ausgeraubt worden, Geld, Telefon, alles weg.

Auch vor Ladungsdieben hat Darek Angst. Ein Fahrer will so etwas nicht erleben, nicht persönlich, mitten in der Nacht auf einem dunklen Rastplatz, ebenso wenig als Verantwortlicher für seine Ware. Doch Darek musste hier halten, der Tacho war unerbittlich, die erlaubte Lenkzeit vorbei, Pause, Nachtruhe. Das macht er klar. Dann sind die Würstchen fertig. Abendbrot. Sie steigen wieder ein, wie fast alle hier in ihren Kabinen sitzen – oder schlafen.

Dass sie das auf überfüllten Rastplätzen tun müssen, habe auch mit "Just-in-time" zu tun, sagt einer, der für die Initiative "Faire Mobilität" ständig mit Fahrern in Kontakt ist: Michael Wahl. "Lkw und Parkplätze sind die neuen Lager. Sobald die Ware beim Hersteller ankommt, wird sie weiterverarbeitet. So funktioniert Logistik heute", erklärt Wahl. Mit anderen Worten: Was Unternehmen durch "Just-in-time" an Lagerfläche bei sich sparen, weil sie Ware lieber punktgenau zum Fertigungsprozess ranholen, spiegelt demnach auch die Lage an den Autobahnen.

Lkw und Parkplätze sind die neuen Lager. Sobald die Ware beim Hersteller ankommt, wird sie weiterverarbeitet. So funktioniert Logistik heute.

Michael Wahl, DGB-Projekt "Faire Mobilität"

Die gute Nachricht ist: Es gibt Speditionen und Fabriken, da können viele Fahrer wenigstens duschen, wenn sie vom Be- und Entladen verschwitzt sind. Die schlechte: Die Sars-CoV-2-Pandemie hat das kompliziert gemacht. Zumindest zeitweise ließen viele Firmen die Fahrer nicht mehr ins Haus, als Eindämmungsmaßnahme zum Schutz der eigenen Mitarbeiter, wie viele berichten. Mancherorts gibt es jetzt mobile Duschen. Sanifair entschied sich, wenigstens drei Monate für alle frei zugänglich zu sein. Es gab auch Tankstellen und Autohöfe an der A2, die zogen es durch und ließen ihre Duschen offen.

Duschen – "3,50 Euro bitte!"

Inzwischen habe sich aber alles an den Autobahnen weitgehend normalisiert, sagt der Fahrer, der an diesem Abend in Marienborn Unterschlupf fand. Wer da entlang fährt, stellt fest, meist kann man für drei, vier Euro duschen – wobei er als inländischer Fahrer sagt, das sei teuer. Die Geldfrage spielt bei vielem rein: Ob ein Riesenparkplatz, wie er bei Vockerode von einem Investor angedacht ist, die Situation für die Fahrer verbessern würde? Nur, wenn der unentgeltlich wäre, sagt der Mann.

Neben Lohndumping ist der Faktor X, wie viel die Fahrer für ihr Leben unterwegs an Spesen erhalten. Nach allem, was man auf der Straße hört und zur Branche liest, fallen sie sehr unterschiedlich aus. Gerade auch für viele Fahrer aus Mittel- und Osteuropa ist das abends zur Parkplatzsuche ein Problem, weiI sie finanziell offenbar kaum eine Wahl haben: In Lorkberg etwa steht auch der Ukrainer Ruslan, 35, mit seinem Truck.

Er sagt, einen Autohof könne er sich nicht leisten. Autohöfe kosten Standmiete, bieten Komfort, sind geschützter, daher beliebt. Doch Ruslan sagt, sein Chef zahle das nicht. Also suche er nach kostenlosen Plätzen. Mit Lorkberg aber sei er zufrieden. Der Tankstellen-Parkplatz eine Abfahrt weiter wäre ihm heute Abend zwar lieber gewesen, sagt er, da hätte er sich wenigstens noch einen Kaffee holen können. Doch wagte er wohl nicht, weiterzufahren. Man kann nie wissen, wo der nächste Platz frei ist.

Über die Autorin Mandy Ganske-Zapf arbeitet seit März 2014 als freie Mitarbeiterin bei MDR SACHSEN-ANHALT. Sie schreibt vor allem Nachrichten für die Online-Redaktion und ist ab und an im Radio zu hören. Darüber hinaus schreibt sie Texte und Reportagen für Medien in Deutschland und Österreich, entweder zu Themen aus Sachsen-Anhalt oder aber aus Russland. Nach Sachsen-Anhalt gekommen ist sie 2008, anschließend hat sie mehrere Jahre als Redakteurin für die Volksstimme im schönen Landkreis Börde gearbeitet. In ihrer Wahlheimat Magdeburg ist sie am liebsten an Seen und am Elbufer unterwegs und mag Ausflüge ins Saale-Unstrut-Gebiet und in die Weiten der Altmark.

Dieses Thema im Programm:

14. August 2020 | 06:30 Uhr – Magdeburg Regional
17. August 2020 | 05:00 Uhr – Nachrichten

Quelle: MDR/mg

Dieses Thema im Programm: 14. August 2020 | 06:30 Uhr

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