Tierschutz in Wolmirstedt Wie sich ein Tierschutzverein in Wolmirstedt um Straßenkatzen kümmert

13. Februar 2023, 13:33 Uhr

Unterernährt, anfällig für Krankheiten und jede Menge Nachwuchs: Wo sich Straßenkatzen übermäßig vermehren, ist das Elend der Tiere groß. Das Leid zu lindern, daran arbeiten Tierheime und Tierschutzvereine. Sie fahren raus und bringen Straßenkatzen zum Tierarzt, um sie kastrieren zu lassen. Ein Blick in den Alltag im Tierheim Wolmirstedt.

Tom Gräbe
Bildrechte: MDR/Fabian Frenzel

Kurz nach halb zehn Uhr am Vormittag belädt Karin Schulz das Auto des Tierheims. Mit dabei hat sie Katzenfutter und eine Flasche. "Die kriegen jeden Tag warmes Wasser bei den Temperaturen." Zu einem Futterplatz für Straßenkatzen will die stellvertretende Tierheimleiterin rausfahren. Eingepackt hat sie auch große Kescher und einen Käfig – eine Lebend-Falle. Eine der Straßenkatzen soll heute zum Tierarzt, der wird sie kennzeichnen und kastrieren. Damit nicht noch mehr Streuner unterwegs sind. "Die Population der Katzen ist enorm. Da verschließen viele Leute die Augen vor. Aber das ist so", sagt Karin Schulz.

Die Population der Katzen ist enorm. Da verschließen viele Leute die Augen vor. Aber das ist so.

Karin Schulz Tierheim Wolmirstedt

Die Katzen sind ein Fall für den Tierschutz. Denn: Die Streuner sind keine Wildtiere. Sie sind Nachfahren von Hauskatzen. Sie können in der freien Natur nur bedingt überleben. Das Leben draußen macht die Tiere anfällig für Krankheiten. Das Nahrungsangebot ist vor allem jetzt, im Winter, knapp. Trotzdem vermehren sie sich.

Zwei Mal im Jahr kann eine Katze werfen. Das können dann fünf Kätzchen sein, oder auch acht Kätzchen, rechnet Anne-Kathrin Witzlack, Vorsitzende des Landesverbands praktizierender Tierärzte, vor. "Die Statistik sagt: von diesen 16 Kätzchen, die geboren werden, werden in einem Jahr später wieder sechs, acht weibliche Katzen und acht männliche Katzen geschlechtsreif, die dann wieder Nachkommen produzieren."

Zu viele Straßenkatzen können zum Problem werden

"Steigende Populationen von freilebenden Katzen können zu Problemen bezüglich des Tierschutzes, der menschlichen Gesundheit, der Gefahrenabwehr und der Auswirkungen auf Wildtiere (z.B. das Fangen von Singvögeln) führen." Das steht im Bericht eines wissenschaftlichen Projektes. Das Land hat die Auswirkungen von Kastrationen auf die Katzenpopulation untersuchen lassen. Wenn eine Katzenpopulation wächst, können sich Infektionskrankheiten verbreiten. Die Tiere tragen untereinander Rangkämpfe aus. Kater streifen umher, Unfälle können sich häufen.

An einem Futterplatz in Wolmirstedt

In Wolmirstedt steuert Karin Schulz einem Plattenbau an. Dahinter steht eine Hütte aus OSB-Platten, darauf ein Wellblech-Dach, drumherum ein paar Näpfe. Karin Schulz fährt hier häufig vorbei. Sie kümmert sich auch darum, dass die Katzen ärztlich versorgt werden. Eine der Katzen soll heute kastriert werden. Sie hat Hühner-Innereien dabei. Ein paar der Fleischsstückchen legt sie in den Käfig. Wenn sich eine Katze das Futter holt, schließt sich die Käfigtür. Soweit die Theorie.

Wie sich Städte um Straßenkatzen kümmern

Bernward Küper auf dem Marktpatz in Naumburg
Bernward Küper ist Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt. Bildrechte: picture alliance/Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Orte, an denen streunende Katzen leben, die dürfte es wohl in so ziemlich allen Städten geben. Irgendwo spiele das Thema in jeder Kommune eine Rolle, sagt Bernward Küper, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes Sachsen-Anhalt. Zuständig sei erst einmal das Ordnungsamt der jeweiligen Stadt. Es gebe eine Verordnung, die es grundsätzlich ermögliche, Straßenkatzen kastrieren zu lassen. Allerdings: Es dürfte den Städten selbst an fachkundigen Mitarbeitern fehlen. Diese Aufgabe übernehmen häufig Tierheime. Sie unterstützen die Ordnungsämter, indem sie zum Beispiel herrenlose Tiere aufnehmen. "Dort gibt es aber auch große Unterschiede hinsichtlich der Auskömmlichkeit der Finanzierung", so Küper. In vielen Städten kümmern sich die Tierheime und Tierschutzvereine auch darum, dass Straßenkatzen tierärztlich versorgt, aufgepäppelt oder kastriert werden.

Die Arbeit im Tierheim

Die Arbeit leisten oft Ehrenamtliche, wie Karin Schulz. Sie versucht, die Katzen anzulocken. Aus den Büschen schauen sie neugierig herüber. Die Tiere halten Abstand. Aber, es sind viele. Bunt gescheckte Promenadenmischungen. Viele mit ähnlicher Fellzeichnung: Schwarz, ocker, grau. Die Tiere sind nervös – und geschickt darin, das Futter aus dem Käfig zu angeln, ohne hineinzugehen. Die Tierschützerin braucht Geduld. Zeit, noch mal ins Tierheim zu fahren.

Dort leben Streuner, herrenlose Katzen, Fundtiere. Sie warten darauf, dass sich vielleicht ein neues Zuhause findet. Neuzugänge werden entwurmt und entfloht. Dann kommen die Katzen 14 Tage in eine Quarantäne – um sicher zu gehen, dass sie nicht krankt sind. Anschließend werden sie kastriert, geimpft und gechippt. All das managen Karin Schulz und ihre Kollegen hier im Tierheim.

Die Rentnerin arbeitet hier – freiwillig. "Was soll ich sagen? Ich habe das Herz am falschen Fleck. Es schlägt für die Tiere, nicht für die Menschen", stellt sie fest. Von Hause aus war sie Steuerfachangestellte, sagt sie. "Aber Zahlen möchte ich nicht mehr sehen." Mittlerweile ist sie Mitte 70. Und viel fürs Tierheim unterwegs.

Tierschützer überaltern

Dass Menschen im Rentenalter in Tierheimen anpacken, letztlich die öffentliche Aufgabe des Tierschutzes mit übernehmen, das ist nicht ungewöhnlich. "Es kommt zu wenig an Jugend nach. Die uns auch ablösen sollen und wollen. Wir wollen ja unser Wissen weitergeben, aber auch mal ein bisschen ruhiger gehen", sagt Rudolf Giersch, Vorstandsvorsitzender des Landesverbands des Deutschen Tierschutzbundes.

"Da gibt es Damen, die wirklich jeden Tag von morgens bis abends und das ganze Jahr über am Tuckern sind, am Machen." Der Tierschutzbund sieht dringend Handlungsbedarf. Es brauche einen Anteil an festangestellten, damit die Arbeit abgesichert ist, stellt Rudolf Giersch fest: "Aber, wenn alles nur auf dem Ehrenamt beruhen soll, da ist irgendwann Feierabend."

Wenn alles nur auf dem Ehrenamt beruhen soll, da ist irgendwann Feierabend.

Rudolf Giersch Deutscher Tierschutzbund

Zurück am Futterplatz

Eine Katze sitzt im Käfig. Karin Schulz legt routiniert eine Decke über die Falle. Das beruhigt das Tier, sagt sie. Für den Kater geht es jetzt zum Tierarzt. Tierschutzvereine, wie auch das Tierheim in Wolmirstedt, arbeiten mit Tierarztpraxen zusammen.

Für die Tierärzte ist die Arbeit mit den halbwilden Patienten aufwändig. "Es sind viel höhere Anforderungen, auch den Arbeitsschutz betreffend, weil diese Katzen sich nicht anfassen lassen", sagt die Tierarztverbandsvorsitzende Anne-Kathrin Witzlack. "Sie würden doch auch kratzen oder beißen." Es besteht Verletzungsgefahr – für die Mitarbeiter des Tierschutzvereins und für die Ärzte und Mitarbeiter in der Praxis. Der Kater, den Karin Schulz in die Tierarztpraxis gebracht hat, wird vorsichtig in einen anderen Käfig bugsiert. Unter Narkose gesetzt. Routine.

Rund 260 Katzen hat das Tierheim in Wolmirstedt kastrieren lassen, allein im vergangenen Jahr. Möglich wurde das auch mit Geldern des Landes. 2022 standen landesweit etwas mehr als 120.000 Euro zur Kastration und Kennzeichnung freilebender, herrenloser Katzen zur Verfügung. Trotzdem sind die Tierschutzvereine auf Spenden angewiesen.

Die Rechtslage ist komplizert

Die Rechtslage für die Katzenkastrationen ist mitunter kompliziert. Wenn Mitarbeitende von Tierheimen irrtümlich Hauskatzen einfangen, dann kann das Probleme nach sich ziehen. "Da hatten wir schon vielfach ganz, ganz böse Gerichtsverfahren und Ähnliches", sagt Rudolf Giersch. "Das sind die Probleme, die muss man uns eigentlich von der Politik ganz, ganz schnell lösen." Eine Kastrationspflicht generell, würde ganz dringend benötigt, sagt der Landesvorsitzende des Tierschutzbundes mit Blick auf die Straßenkatzen.

Kastrationspflicht für Freigänger-Katzen?

Beim Verband praktizierender Tierärzte sieht man die Frage nach einer Kastrationspflicht differenziert. Die Frage sei pauschal nicht zu beantworten, sagt Anne-Kathrin Witzlack. Das sei ein sehr weitgreifender Einschnitt. Der Verband sieht Probleme mit streunenden Katzen nicht flächendeckend, sondern in lokal begrenzten Bereichen.

Der Kater in der Tierarztpraxis liegt inzwischen in Narkose. Das Tier bekommt einen Chip. Der Eingriff, die Kastration selbst, ist in wenigen Minuten erledigt.

Karin Schulz nimmt die Katze gleich wieder mit. Ihre Arbeit: die endet nicht. "So lange die Menschen so unvernünftig sind, ihre Katzen nicht kastrieren lassen", sagt sie. Letztlich geht es darum, das Leid der Tiere zu lindern. Karin Schulz und ihre Kollegen werden den Streuner nach der Operation pflegen. Vielleicht findet sich ein neues Zuhause für ihn...

MDR (Tom Gräbe) | Erstmals veröffentlicht am 11.02.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. Februar 2023 | 19:00 Uhr

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