Ökobilanz Warum konventionelle Landwirte in Sachsen-Anhalt auf mehr Nachhaltigkeit setzen
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14. Mai 2023, 17:20 Uhr
Bis zum Jahr 2030 sollen nach dem Willen der Bundesregierung knapp ein Drittel der Ackerflächen in Deutschland ökologisch bewirtschaftet werden. Konventionelle Landwirte in Sachsen-Anhalt fühlen sich benachteiligt und wollen zeigen, dass auch sie nachhaltig arbeiten. Helfen soll ihnen dabei ein Nachhaltigkeitszertifikat.
- Für mehr Nachhaltigkeit im Ackerbau will die Bundesregierung den Anteil der Öko-Landwirtschaft bis 2030 auf 30 Prozent erhöhen.
- Konventionelle Bauern wie Christian Münchhoff aus Derenburg wollen zeigen, dass auch sie nachhaltig wirtschaften. Das Zertifikat eines Prüfinstituts könnte ihnen dabei helfen.
- Experten in Halle sagen, Nachhaltigkeit lasse sich sowohl in der konventionellen als auch in der ökologischen Landwirtschaft erreichen.
Wenn Christian Münchhoff seine Äcker düngt, vertraut er auf Hilfe aus dem All. Satellitenbilder zeigen dem Landwirt aus dem Blankenburger Ortsteil Derenburg, wo auf den Feldern die Pflanzen wie gut wachsen. An seinen Traktoren hat der 38-jährige Bauer zudem Stickstoffsensoren angebracht. So kann er auf den Quadratmeter genau bestimmen, wie viel Pflanzenschutz- und Düngemittel er an welcher Stelle ausbringen muss.
Dank solcher digitaler Technologien habe sich der Verbrauch von Pflanzenschutz- und Düngemitteln im Vergleich zu den 1990er-Jahren um mindestens ein Drittel reduziert, schätzt der Bauer, dessen Hof mit rund 1.000 Hektar Ackerfläche zu den größeren Landwirtschaftsbetrieben in Sachsen-Anhalt gehört. Dadurch wird die Natur weniger belastet und Münchhoff spart Kosten für die immer teurer werdenden Düngemittel.
Umstieg auf Öko? "Keine Option"
Etwa 90 Prozent der Felder in Sachsen-Anhalt werden nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums konventionell bewirtschaftet, auch die von Christian Münchhoff, auf denen vor allem Weizen, Roggen, Raps, Erbsen und Sonnenblumen wachsen. Die Bundesregierung will, dass sich der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Landwirtschaftsflächen bis 2030 bundesweit auf 30 Prozent erhöht.
Für Christian Münchhoff ist ein Umstieg allerdings keine Option. "Für uns stand das nie zur Diskussion", sagt er. Schließlich seien Öko-Betriebe deutlich weniger ertragreich. Angesichts des steigenden Nahrungsmittelbedarfs auf der Welt müsse man sich daher "stark hinterfragen, ob man hier auf so einem Hochertragsstandort, wie wir ihn in Sachsen-Anhalt haben, als Bio-Landwirt nur die Hälfte ernten möchte."
Stattdessen bemühen sich Münchhoff und seine Mitarbeitenden trotz konventioneller Methoden darum, möglichst nachhaltig zu wirtschaften. "Wir denken nicht von Jahr zu Jahr, sondern von Generation zu Generation", sagt Münchhoff. "Wir wollen unsere Böden nicht auslaugen. Wir wollen so arbeiten, dass auch kommende Generationen noch von diesen Feldern leben können."
Zertifikat soll Klarheit bringen
Umso mehr ärgert ihn der bisweilen schlechte Ruf seiner Branche. "Viele Landwirte werden als Umweltverschmutzer dargestellt, was etwa die Nitratbelastung im Boden oder zu viel Phosphor auf den Feldern angeht", sagt Münchhoff.
Ein Imageproblem vor allem konventioneller Landwirtschaftsbetriebe hat auch der Bauernbund Sachsen-Anhalt erkannt. Er hat deshalb ein unabhängiges Prüfinstitut damit beauftragt, zu testen, wie nachhaltig Bauernhöfe im Land arbeiten. "Wir wollen herausfinden, wie nachhaltig die Betriebe wirtschaften, unabhängig von der Bewirtschaftungsform", sagt Martin Dippe, der Präsident des Bauernbundes Sachsen-Anhalt.
"Konventionelle Landwirtschaft kann genauso nachhaltig sein wie ökologische", ist Dippe überzeugt. Betriebe, die ein positives Nachhaltigkeitszertifikat vorweisen können, sollten daher künftig gesetzliche Erleichterungen etwa bei der Düngemittelverordnung zugesprochen bekommen, fordert der Bauernbund-Präsident.
Bislang haben sich allerdings nur wenige Betriebe freiwillig einem Nachhaltigkeitstest unterzogen. Einer davon ist der von Christian Münchhoff. Zahlreiche Daten seines Derenburger Bauernhofes wurden dazu von dem Prüfinstitut analysiert: Von Lohn und Arbeitszeit der Mitarbeitenden über Gewinnmarge und Eigenkapitalquote bis hin zur Stickstoff- und Phosphorbilanz.
Nur, weil man konventionell wirtschaftet, heißt das nicht, dass man nicht nachhaltig ist.
Das Ergebnis: Sowohl in der Gesamtnote als auch in den drei Unterkategorien Ökologie, Ökonomie und Soziales erreichte Münchhoffs Betrieb die zweithöchste von vier Bewertungen. Für Christian Münchhoff kommt die gute Bewertung nicht überraschend: "Wir sind weit über den gesetzlich geforderten Mindestanforderungen", sagt der Landwirt. "Nur, weil man konventionell wirtschaftet, heißt das nicht, dass man nicht nachhaltig ist."
Nachhaltigkeit ökologisch und konventionell möglich
Auf andere Landwirtschaftsbetriebe übertragen lassen sich die Ergebnisse von Münchhoffs Hof zwar nicht. Doch auch der Direktor des Instituts für Agrar- und Ernährungswissenschaften der Martin-Luther-Universität in Halle, Hermann Swalve, ist davon überzeugt, dass konventionelle Landwirtschaft nachhaltig sein kann. "Nachhaltige Landwirtschaft ist immer dann gegeben, wenn ich Ressourcen für die Zukunft spare. Das kann ich sowohl ökologisch als auch konventionell machen", sagt er.
Das Dilemma der Vergleichbarkeit beschreibt der Professor an einem Beispiel: "Das Spritzen gegen Unkraut, wie es im konventionellen Ackerbau üblich ist, vereinfacht die Bewirtschaftung der Ackerflächen und spart Bearbeitungsgänge. Wenn ich einmal spritze und im gleichen Arbeitsgang säe, dann habe ich Ressourcen gespart, weil ich nur einmal fahren muss und weniger Diesel verbrauche. Aber ich habe eben Spritzmittel verwendet. Der ökologische Landwirt, der das Unkraut mechanisch entfernen will, braucht dagegen viel mehr Arbeitsgänge und viel mehr Treibstoff."
Ob ökologische oder konventionelle Landwirtschaft nachhaltiger arbeite, lasse sich daher nie pauschal sagen, so Swalve. Was man allerdings sagen könne: Die Landwirtschaft sei in Deutschland heute insgesamt deutlich nachhaltiger als in vielen anderen Ländern. Verbraucherinnen und Verbrauchern, die nachhaltig produzierte Lebensmittel konsumieren möchten, rät Swalve daher, vor allem regionale Produkte zu kaufen.
Digitalisierung soll mehr Nachhaltigkeit bringen
"Wir müssen künftig viel mehr digitale Möglichkeiten nutzen, etwa in den Bereichen Smart Farming und Precision Farming, um nachhaltiger zu werden", sagt Bauernbund-Präsident Martin Dippe. "Das Motto 'Es war schon immer so und wird auch immer so bleiben' wird uns nicht helfen, wir müssen als Branche vorangehen."
Einer, der bereits vorangeht, ist Bauer Christian Münchhoff. Er ist überzeugt, dass sich der Trend zu mehr Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft fortsetzen wird. Denn je mehr jüngere Landwirte die Höfe übernehmen, desto nachhaltiger werde auch die Produktion, glaubt Münchhoff, der seinen Hof selbst vor knapp zehn Jahren von seinem Vater übernommen hat.
"Der Generationswechsel bringt meist mehr Offenheit für neue Technologien mit sich", sagt Münchhoff. Auch seinen eigenen Betrieb sieht er nicht am Ende der Möglichkeiten. Die Ergebnisse des Nachhaltigkeitstests will er deshalb genau analysieren – um zu erkennen, an welchen Stellschrauben er noch drehen kann.
MDR (Lucas Riemer, Georg Hölting)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 14. Mai 2023 | 19:00 Uhr
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