Kritik von GEW und Opposition Dieses neue Pflicht-Schulfach erwartet Sachsen-Anhalts Gymnasiasten ab 2026
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05. Februar 2025, 15:36 Uhr
In Sachsen-Anhalt soll ab 2026 an Gymnasien das neue Schulfach "Wirtschaft" eingeführt werden. Das Bildungsministerium will damit die wirtschaftlichen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler stärken. Vor allem angesichts des Lehrermangels kommt Kritik aus der Opposition und vom Berufsverband GEW an den Plänen.
- Das neue Pflichtfach soll in den Klassenstufen 7 und 8 unterrichtet werden.
- Pläne sind im Koalitionsvertrag der Landesregierung verankert.
- GEW sieht Druck aus der Wirtschaft als wahrscheinlichen Grund für den Vorstoß.
An Sachsen-Anhalts Gymnasien soll ab dem Schuljahr 2026/27 ein zusätzliches Pflichtfach eingeführt werden. Mit dem neuen Fach "Wirtschaft" will das Bildungsministerium eine breitere wirtschaftliche Grundbildung der Gymnasiasten sicherstellen und ökonomischen Kompetenzen mehr Raum geben. Konkret würden Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 7 und 8 in dem neuen Fach unterrichtet. Vorgesehen sei eine Unterrichtsstunde pro Woche, teilte eine Ministeriumssprecherin MDR SACHSEN-ANHALT mit.
Zu mehr Unterrichtsstunden sollen die Pläne dabei aber nicht führen. Stattdessen würden die Lehrpläne der Fächer Geographie und Sozialkunde um wirtschaftliche Inhalte verschlankt, die Stundenzahl in Geographie könne somit reduziert werden.
Neues Fach trotz Lehrermangels?
Wie das Bildungsministerium am Dienstag mitteilte, sind an den Gymnasien im Land derzeit 113 Lehrerstellen ausgeschrieben. Mindestens so viele Lehrkräfte fehlen also im Augenblick. Ob es demnach für das neue Fach überhaupt ausreichend Pädagogen an den Gymnasien gibt, beantwortete das Ministerium ausweichend.
Die Einführung werde "durch eine Fortbildungs-Offensive im Vorfeld begleitet, um die Lehrkräfte für diese Aufgabe entsprechend vorzubereiten", so die Sprecherin. Fachlich geeignet seien Lehrerinnen und Lehrer der Fächer Geographie, Sozialkunde und Wirtschaftslehre. Den aktuellen Stellenausschreibungen für den Schuldienst zufolge fehlen auch in genau diesen Fächern Lehrer – wenn auch weit weniger als etwa in Mathematik, Physik, Deutsch oder Englisch.
Pläne stehen im Koalitionsvertrag
Die Pläne gehen auf eine Vereinbarung der Regierungsparteien CDU, SPD und FDP im Koalitionsvertrag zurück. Dort allerdings ist noch die Rede von einem Pflichtfach "Wirtschaft, Demokratie und Recht", das die "Jugend von heute" auf ein "eigenständiges und selbstbestimmtes Leben und gesellschaftliche Teilhabe" vorbereiten soll.
Dass der Fokus nun offenbar ausschließlich auf den Bereich Wirtschaft gelegt wird, sei Ergebnis von "Umsetzungs-Erwägungen und -planungen vor dem Hintergrund der schul-fachlichen Möglichkeiten", heißt es aus dem Bildungsministerium dazu.
GEW: "Nicht zu viel Spezialwissen vermitteln"
Eva Gerth, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Sachsen-Anhalt (GEW), vermutet andere Hintergründe. "Ich denke, da ist Druck aus der Wirtschaft und den Industrie- und Handelskammern gekommen." Sie kenne selbst die Anwürfe aus der Wirtschaft, dass zum Beispiel Kinder keine Steuererklärung anfertigen, aber Goethe interpretieren könnten. Ein Vorwurf, den Gerth nicht gelten lässt. "Wir müssen sehen, dass wir bei der Allgemeinbildung bleiben und nicht zu viel Spezialwissen vermitteln." Zudem gebe es auch für Wirtschaft bereits Wahl-Kurse.
Für die GEW-Vorsitzende erschließen sich die Pläne nicht, da die Inhalte aus ihrer Sicht bereits in den Lehrplänen anderer Fächer steckten. Und: "Ich weiß nicht, warum wir über neue Fächer reden müssen, wenn uns Lehrkräfte fehlen." Gerth kritisiert zudem eine mangelnde Beteiligung der Fachverbände. "Wir sind nur ziemlich allgemein vorinformiert worden über das Vorhaben. Wir müssen daher jetzt die Inhalte des Lehrplans abwarten."
Linke: "Haben andere Probleme im Bildungssystem"
Nicht mitgenommen beim Thema fühlt sich auch Thomas Lippmann, bildungspolitischer Sprecher der Linken-Fraktion im Landtag. "Darüber ist im Bildungsausschuss noch nicht geredet worden. Solche Sachen werden vom Ministerium einfach auf den Weg gebracht." Auch Lippmann will wirtschaftlichen Einfluss hinter dem Vorstoß erkennen. Die Wirtschaft glaube, sie bekomme auf diese Weise mehr Abiturienten zu sich. "Ich denke aber nicht, dass diese eine Wochenstunde die Berufs- und Studien-Wahl der jungen Menschen beeinflussen kann. Wir haben außerdem andere Probleme im Bildungssystem."
AfD: "Mathematische Kompetenzen wichtiger"
In der AfD-Fraktion stoßen die Pläne ebenfalls auf Ablehnung. "Was bringt ein neues Schulfach Wirtschaft, wenn die für jedes Wirtschafts-Verständnis unerlässliche mathematische Kompetenz kaum noch vorhanden ist?", so der bildungspolitische Sprecher Hans-Thomas Tillschneider auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Anstatt sich neue Schulfächer auszudenken, solle die Landesregierung dafür sorgen, dass Schüler wieder besser lesen, schreiben und rechnen könnten. Stattdessen wolle man mit einer scheinbaren Vielfalt des Unterrichts-Angebots über "den Verfall des Leistungsniveaus" hinwegtäuschen. Das sei "peinlich".
Grüne: "Nicht per se der richtige Schritt"
Mit den Grünen zeigt sich auch die dritte Oppositionspartei im Landtag skeptisch. Zwar müsse sich Schule auch in Zeiten des Lehrermangels weiterentwickeln. "Doch ein Pflichtfach Wirtschaft ist nicht per se der richtige Schritt, wenn wir Schülerinnen und Schüler auf ein selbstbestimmtes Leben in einer modernen Gesellschaft vorbereiten wollen", so die bildungspolitische Sprecherin Susan Sziborra-Seidlitz. Die Frage sei, ob das neue Fach den jungen Menschen diene oder vor allem den Interessen von Wirtschaftsverbänden. Es brauche eine Bildungspolitik, die nicht nur wirtschaftliche Grundlagen, sondern vor allem digitale Kompetenzen, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Demokratie-Bildung sowie soziale und gesundheitliche Kompetenzen berücksichtige.
Anhörungsverfahren auch im Landtag steht noch bevor
Laut Bildungsministerium schafft das Landesinstitut für Schulqualität und Lehrerbildung derzeit die konzeptionellen Grundlagen für das neue Fach, dann würden die konkreten Inhalte durch eine Lehrplankommission erarbeitet. Und wiederum danach sei noch ein gesetzliches Anhörungsverfahren vorgesehen, an dem auch der Landtag beteiligt werde.
Wirtschaftliches Wissen steht an den Gymnasien im Land aber auch jetzt schon auf dem Lehrplan. Nicht nur innerhalb der Fächer Geographie und Sozialkunde. Ab der Klasse 9 bis zum Abitur können sich Schülerinnen und Schüler überdies für das Wahlpflichtfach "Wirtschaftslehre" entscheiden.
Das künftig vorgelagerte Pflichtfach Wirtschaft soll laut Bildungsministerium auch die Nachfrage nach Wirtschaftslehre in den höheren Klassen steigern. Wegen des künftig verbindlichen Lernstoffs in den Klassen 7 und 8 entstünden außerdem Freiräume, um im Fach Wirtschaftslehre weiterführende Inhalte zu vermitteln.
MDR (Daniel Salpius)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 05. Februar 2025 | 07:00 Uhr
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