Lärm an Straßen und Schienen Über 96.000 Menschen in Sachsen-Anhalt von gesundheitsschädlichem Verkehrslärm betroffen
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Von Katharina Forstmair, MDR SACHSEN-ANHALT
28. November 2023, 04:35 Uhr
Verkehrslärm löst im Körper Stress aus und kann deshalb krank machen. Vor allem in den Ballungsräumen Halle und Magdeburg ist die Lärmbelastung für viele Menschen gesundheitsschädlich. Eine Analyse zeigt, an welchen Orten es außerdem Probleme mit Lärm durch Straßen- und Schienenverkehr gibt – und wo sich Widerstand regt.
- Menschen in Halle und Magdeburg leiden am stärksten unter Verkehrslärm.
- Obwohl Sachsen-Anhalt im Deutschlandvergleich gut dasteht, ist Lärmbelastung auch zwischen Arendsee und Zeitz ein Problem.
- In Halle setzen sich Anwohner einer Hauptstraße gegen gesundheitsschädlichen Lärm ein.
Hotspots für Verkehrslärm sind Halle und Magdeburg
Für rund 96.200 Menschen in Sachsen-Anhalt kann Verkehrslärm schwere gesundheitliche Folgen haben. Nach statistischen Hochrechnungen bewirkt der Lärm durch Straßen- und Schienenverkehr bei schätzungsweise 76.000 Menschen starke Belästigung, bei knapp 24.500 eine starke Schlafstörung und bei rund 90 Menschen ein Versagen des Herzens. Das zeigt eine Datenerhebung nach EU-Richtlinie.
Was bedeutet "starke Belästigung"?
Hinter dem Begriff "starke Belästigung" steckt eine statistische Berechnung aus der Lärmwirkungsforschung. Sie soll zeigen, wie viele Menschen sich durch Lärmbelastung erheblich in ihrem Wohlbefinden gestört fühlen. Dabei werden Personengruppen mit erhöhter Empfindlichkeit berücksichtigt, wie Kinder, Kranke, ältere Menschen und Schwangere.
Wie sehr Menschen durch Verkehrslärm belastet sind, unterscheidet sich regional stark. Hotspots sind vor allem die Ballungszentren Halle und Magdeburg. In Halberstadt und Wittenberg müssen viele Menschen mit zu viel Lärm durch Straßenverkehr leben. In Landsberg und Naumburg sind laute Züge das Problem.
Was sind Hauptverkehrswege und Haupteisenbahnstrecken?
In Deutschland wird anhand von Lärmkarten ermittelt, wie viele Menschen einer bestimmten Menge von Verkehrslärm ausgesetzt sind. Grundlage dafür ist die Umgebungslärmrichtlinie der Europäischen Union. Teil der Erhebung sind Ballungsräume mit mehr als 100.000 Einwohnern, Hauptverkehrsstraßen mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 3 Millionen Kraftfahrzeugen pro Jahr, Haupteisenbahnstrecken mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 30.000 Zügen pro Jahr und Großflughäfen mit einem Verkehrsaufkommen von mehr als 50.000 Bewegungen pro Jahr.
Die Lärmbelästigung wird an vielbefahrenen Straßen und Zugstrecken gemessen. Verglichen mit der Einwohnerzahl leiden in der Gemeinde Harbke im Landkreis Börde am meisten Menschen unter dem Straßenverkehr: 20 Prozent der Einwohner sind hier zu hohem Lärm ausgesetzt. Denn ein Teil der Gemeinde liegt direkt an der Autobahn A2. Welche Straßen in den anderen Städten und Gemeinden der Grund für eine hohe Belastung ist, lässt sich den jeweiligen Lärmkarten entnehmen.
Lärm bedeutet Stress für den Körper
Enno Swart ist Professor für Sozialmedizin an der Universität Magdeburg. Im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT sagt er: "Lärm macht nicht akut krank, sondern schleichend." Verkehrslärm bewirke im menschlichen Körper Stress und habe unter anderem Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System, den Schlafrhythmus und die Konzentration.
Außerdem kann Verkehrslärm psychische Krankheiten auslösen, wie eine Studie des Umweltbundesamtes (UBA) belegt. Menschen, die einer hohen Belastung durch Verkehrslärm ausgesetzt sind, haben demnach ein höheres Risiko, an Depressionen und Angststörungen zu erkranken.
Das Bundesministerium für Umwelt schreibt: Diese Gesundheitsrisiken treten ab einer Dauerbelastung über etwa 65 Dezibel am Tag auf.
Wie wird gesundheitsschädlicher Verkehrslärm gemessen?
Die Lautstärke von Verkehrslärm wird in Dezibel (A) L DEN gemessen. Das (A) zeigt an, dass Messwerte dem menschlichen Hörempfinden angepasst werden. Beim L DEN (Tag-Abend-Nacht-Index) wird ein 24-Stunden-Wert für den Lärmpegel berechnet. Das Ruhebedürfnis eines Menschen bleibt nicht über 24 Stunden hinweg gleich. Deshalb gewichtet der L DIN den Tagzeitraum (6-18 Uhr), den Abendzeitraum (18-22 Uhr) und den Nachtzeitraum (22-6 Uhr) unterschiedlich.
Für Verkehrslärm gibt es unterschiedliche Grenzwerte. Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt, durch Straßenverkehr bedingte Lärmpegel auf weniger als 53 dB im Tagesmittel zu verringern, durch Schienenverkehrslärm bedingte Lärmpegel auf weniger als 54 dB. Das Umweltbundesamt setzt die Grenze für beide Lärmarten bei 60 dB.
Laut dem Bundesministerium für Umwelt besteht ab einer Dauerbelastung über etwa 65 dB(A) am Tag ein erhöhtes Gesundheitsrisiko. Ab dieser Schwelle können Änderungen in Stoffwechsel und Hormonhaushalt, Änderung der Gehirnstromaktivität, schlechter Schlaf und Stresssymptome wie Hormonausschüttung nachgewiesen werden. Langfristige Folgen davon können Bluthochdruck und Herzinfarkt sein.
Sachsen-Anhalt liegt unter dem bundesweiten Durchschnitt
Betrachtet man den Anteil der Betroffenen im Ländervergleich, liegt Sachsen-Anhalt sowohl beim Straßen- als auch beim Schienenverkehrslärm unter dem bundesweiten Durchschnitt. In Sachsen gibt es mehr Betroffene von Lärm an Straßen und knapp weniger Betroffene von Lärm an Schienen als im deutschlandweiten Vergleich. In Thüringen sind je hundert Einwohner besonders wenige Menschen von Schienen- und Straßenlärm betroffen.
Verkehrslärm ist vor allem in Großstädten und dicht besiedelten Gegenden ein Problem. Deshalb schneidet Sachsen-Anhalt im Vergleich relativ gut ab. Hierzulande gibt es weniger Straßen und Schienen, die überhaupt auf den Lärmkarten abgebildet werden und Stress für die Bevölkerung erzeugen.
Verkehr wird immer lauter
Trotzdem sei Verkehrslärm auch in Sachsen-Anhalt ein größer werdendes Problem, sagt Sozialmediziner Swart im Interview. Obwohl die Lärmquelle Verkehr große Teile der Bevölkerung betreffe, sei ihr lange nicht genug Aufmerksamkeit zugekommen: "Verkehrslärm wird nach meiner persönlichen Wahrnehmung oft als unvermeidbarer Kollateralschaden der allseits gewünschten und geförderten Mobilität angesehen", so der Experte.
In den Ballungsräumen Magdeburg und Halle leben hierzulande am meisten Menschen an lauten Straßen und Schienen. Einer von ihnen ist Falk Wiederhold. Er wohnt in Halle im Böllberger Weg, einer Straße, für die die Lärmkarte der Stadt teilweise Lautstärken von über 75 Dezibel gemittelt über den Tagesverlauf zeigt.
Anwohner starten Initiative gegen Verkehrslärm
Da in seiner Wohnung gute Schallschutzfenster verbaut sind und sein Schlafzimmer nicht direkt an der Straße liegt, ist der Verkehrslärm für ihn größtenteils erträglich. "Aber sobald die Fenster auf sind, ist das schon eine Form von Beeinträchtigung", findet er. Außerdem erklärt er, dass durch eine Baustelle auf der Spur stadteinwärts aktuell weniger Verkehr herrsche. "Wenn die Baustelle fertig ist, wird das wieder eine wesentlich höhere Dauerbelastung."
Durch ein Bauvorhaben der Stadt droht die Belastung durch Verkehrslärm im Böllberger Weg schlimmer zu werden. Denn: Die geplante Bebauung einer Freifläche sorgt für mehr Schall zwischen den Häusern. Wiederhold ist deshalb Teil einer Bürgerinitiative, die sich seit 2021 für eine Anpassung des Bebauungsplans einsetzt.
Was die Initiative seitdem erreicht hat: Ein elfstöckiges Hochhaus wurde aus dem Plan gestrichen, der geplante Supermarkt wird um mehr als die Hälfte kleiner, die Fassadenfront zum Böllberger Weg wird aufgelockert. Forderungen, die noch ausstehen, sind eine Tempo-30-Zone in einem Abschnitt des Böllberger Wegs und eine Zurücksetzung der geplanten Gebäude weiter weg von der Straße, um Schall zu reduzieren.
Noch ist die Freifläche im Böllberger Weg leer. Wann die Bebauung starten soll, sei den Anwohnern unklar, sagt Wiederhold.
Experte: Lärm besser direkt an der Quelle reduzieren
Die Bürger und Bürgerinnen wollen das Lärmproblem verhindern, bevor es überhaupt entsteht. Das deckt sich mit der Meinung des Sozialmediziners Enno Swart. Er meint: "Vorsorge ist besser als Heilen. Im Idealfall legt man die Quelle still, anstatt am Ende mit hohem Aufwand dort zu intervenieren, wo die Emissionen ihre Wirkung entfalten."
Vorsorge ist besser als Heilen.
Seiner Ansicht nach hilft die Lärmkartierung dabei, Entscheidungsträgern aufzuzeigen, wo die Hotspots des Verkehrslärms liegen, wie viele Menschen davon betroffen sind und was getan werden kann. "Wenn man darüber nichts weiß, kann man sich leicht zurücklehnen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, die unpopulär sind", so der Experte.
Bürger können sich an der Lärmschutzplanung beteiligen
Gemeinden, die von Lärm durch Straßen- und Zugverkehr betroffen sind, sind nicht nur zu den statistischen Berechnungen verpflichtet. Sie müssen zudem Lärmaktionspläne aufstellen. Darin sollen Lärmprobleme und Lärmauswirkungen geregelt und ruhige Gebiete vor einer Zunahme des Lärms geschützt werden.
Bürgerinnen und Bürger können sich an dieser Lärmaktionsplanung beteiligen. In der aktuell laufenden zweiten Phase kann zu den Entwürfen aus den Gemeinden und des Eisenbahnbundesamts (EBA) Stellung bezogen werden. Die subjektiven Wahrnehmungen und Meinungen fließen am Ende in die Planung ein.
Auf der Website des EBA ist das bis zum 2. Januar 2024 möglich. Wer sich an der Planung zum Lärm durch Straßenverkehr beteiligen will, kann das über die jeweilige Stadt oder Gemeinde tun.
MDR (Katharina Forstmair)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 27. November 2023 | 21:45 Uhr
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