Forscher im Interview Wie Verkehrslärm schleichend krank macht
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28. November 2023, 04:37 Uhr
Über 96.000 Einwohner von Sachsen-Anhalt sind von gesundheitsschädlichem Verkehrslärm betroffen. Eine hohe Lärmbelastung wirkt sich unter anderem auf das Herzkreislaufsystem, den Schlafrhythmus und die Konzentration aus, sagt Sozialmediziner Enno Swart im Interview. Er erklärt, warum Lärmbelastung ein soziales Problem ist und welche Maßnahmen es braucht.
- Lärm bedeutet für den Körper Stress und kann in vielen Bereichen die Gesundheit gefährden.
- Verkehrslärm ist ein soziales Problem, da er vor allem Menschen in Großstädten und dicht besiedelten Gegenden betrifft.
- Laut Swart sollte man Lärm lieber direkt an der Quelle verhindern, anstatt die Auswirkungen vermeiden zu wollen.
MDR SACHSEN-ANHALT: MDR Data hat sich angeschaut, wie viele Menschen in Sachsen-Anhalt Lärm durch Straßen- und Schienenverkehr ausgesetzt sind. Wann wird Verkehrslärm zum Problem für den Menschen?
Enno Swart, Professor für Sozialmedizin: Lärm ist eine sehr subjektive Angelegenheit. Ab welcher Grenze Lärm als Belastung des individuellen Wohlempfindens oder der Gesundheit empfunden wird, hängt unter anderem von der Tageszeit und der Art des Lärms ab. Freizeit- und Kinderlärm werden beispielsweise anders bewertet als grundsätzlich vermeidbarer Verkehrslärm. Akute oder chronische Lärmexposition kann sich schon bei 40 bis 45 Dezibel gesundheitlich auswirken.
An Lärm auf niedrigem oder mittlerem Level, der sich über den ganzen Tag gleichmäßig ausbreitet, kann man sich vielleicht gewöhnen. Gelegentlich und unregelmäßig auftretende Lärmspitzen werden dagegen oft als belastend empfunden. Es kann zum Beispiel den Schlaf stören, wenn jede halbe Stunde ein lauter Zug vorbei knattert.
Welche Effekte hat Lärm auf die Gesundheit?
Lärm macht nicht akut krank, sondern schleichend. Lärm wird als Stress wahrgenommen. Deshalb setzen bei einer gewissen Lärmbelastung Mechanismen ein, die man auch aus anderen Bereichen kennt, in denen Stress wahrgenommen und verarbeitet wird. Stress äußert sich zum einen durch Herz-Kreislauferkrankungen und die massive Störung des Schlafrhythmus. Aus der Frankfurter Lärmwirkungsstudie NORAH ist außerdem bekannt, dass Lernprozesse geschädigt werden. Kinder, die in ihrer Schule Lärm ausgesetzt sind, können sich zum Beispiel nicht so gut konzentrieren.
Man kann sich aber noch ganz viele andere Dinge vorstellen. Stress wirkt sich auf Resilienzfaktoren aus, also auf die Fähigkeit, mit externen Belastungen umzugehen, diese aktiv zu verarbeiten oder abzupuffern. Deshalb kann sich Lärm, auch wenn das im Einzelfall noch nicht immer mit starker Evidenz unterlegt ist, potenziell auf den gesamten Körper auswirken.
Wird Verkehrslärm in unserer Gesellschaft als das große Problem wahrgenommen, das es offensichtlich ist?
Verkehrslärm wird nach meiner persönlichen Wahrnehmung oft als unvermeidbarer Kollateralschaden der allseits gewünschten und geförderten Mobilität angesehen. Man hat dem Verkehrslärm deshalb lange nicht die Aufmerksamkeit geschenkt, die notwendig gewesen wäre. Dabei ist der Verkehr eine Lärmquelle, die sehr große Teile der Bevölkerung betrifft: Bewohner von Großstädten, Anwohner von Eisenbahnstrecken, Menschen, die in der Nähe von Großflughäfen leben.
Wie groß schätzen Sie das Problem in Sachsen-Anhalt ein?
Sachsen-Anhalt ist ja ein stark ländlich geprägtes Bundesland. Es gibt, abgesehen von Halle/Leipzig keine großen Verkehrsflughäfen, wenig stark befahrene zentrale Eisenbahnlinien und die A2 ist teilweise schon mit Lärmschutz ausgestattet. Deshalb denke ich, dass im Vergleich zu anderen Bundesländern, wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, die Stadtstaaten oder Hessen mit dem Frankfurter Flughafen, das Expositionsniveau hier insgesamt unterdurchschnittlich ist.
Am lautesten ist es in Großstädten und dicht besiedelten Gegenden. Welche Menschen sind also typischerweise von einer hohen Belastung betroffen und gesundheitlich besonders gefährdet? Ist Lärm ein soziales Problem?
Es ist bekannt, dass sozial benachteiligte Menschengruppen tendenziell überdurchschnittlich von Lärmexposition betroffen sind. Einfach weil lärmgeschütztes Wohnen teuer ist. Nicht jeder kann sich sein Häuschen im Grünen oder seine ruhige Wohnung in einer Vorstadtsiedlung leisten. Manche haben nicht die Möglichkeit, aus ihrer stark lärmbelasteten Wohnung an einer Einfallstraße wegzuziehen. In der Sozialmedizin weiß man, dass benachteiligte Bevölkerungsgruppen leider von vielen potenziell gesundheitsschädlichen Faktoren betroffen sind. Das trifft auch für Lärm zu, der vielfach als Verstärker anderer gesundheitlicher Risiken wirkt.
Welche Maßnahmen wirken am besten gegen Verkehrslärm?
Es ist immer besser, die Quelle auszuschalten oder abzuschwächen. Man kann den Individualverkehr auf der Straße reduzieren, indem man zum Beispiel öffentlichen Nahverkehr fördert und dadurch die Straßen entlastet. Oder durch die zunehmende Elektromobilität. Und man kann sich fragen: Welche Menge an Fluglärm ist vermeidbar?
Wenn man den Lärm nicht an der Quelle reduzieren kann, muss man dort ansetzen, wo der Lärm seine Auswirkungen zeigt: indem man zum Beispiel Lärmschutzwände baut, den Einbau von Fenstern fördert, die den Lärm weitestgehend fernhalten, oder indem man Umgehungsstraßen baut, anstatt die Bundesstraßen direkt durch die Stadt zu führen. Das muss man im Einzelfall betrachten.
Aber, wie gesagt: Vorsorge ist besser als Heilen. Im Idealfall legt man die Quelle still, anstatt am Ende mit hohem Aufwand dort zu intervenieren, wo die Emissionen ihre Wirkung entfalten.
In der Analyse von MDR Data liegen nur Daten aus 2022 vor. Wir haben keinen zeitlichen Vergleich, weil sich seit der letzten Erhebung 2017 einiges an der Methodik verändert hat. Wird unsere Welt, bezogen auf Verkehrslärm, immer lauter? Und wie können Daten helfen?
Meine Wahrnehmung ist, dass die Lärmexposition eher zugenommen hat. Zumindest bis Corona, da hat sich der individuelle berufsbedingte Verkehr etwas reduziert. Aber ich glaube nicht, dass das so stark ins Gewicht fällt. Es gibt immer mehr Verkehr auf der Straße und auch der Flugverkehr hat zugenommen. Ich würde sagen, dass die Lärmbelastung jedenfalls nicht niedriger ist als noch vor drei oder fünf Jahren, trotz Corona. Das ist weiterhin ein sehr wichtiges und bevölkerungssweites Problem.
Es geht vor allem darum, dass die Politik, dass Entscheidungsträger erkennen, wo es eine große Lärmexposition gibt, wie viele Menschen dieser Exposition ausgesetzt sind und was getan werden kann. Wenn man darüber nichts weiß, kann man sich leicht zurücklehnen, anstatt Maßnahmen zu ergreifen, die unpopulär sind.
Das Interview führte Katharina Forstmair.
MDR (Katharina Forstmair)
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 27. November 2023 | 21:45 Uhr