Trügerische Rekordeinnahmen Hohe Gewerbesteuer-Einnahmen in den Kommunen: Nicht alle jubeln
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25. Dezember 2022, 13:06 Uhr
Ausgerechnet in Pandemiezeiten verzeichnen die Kommunen im Land Rekordeinnahmen bei der Gewerbesteuer. Das Statistische Landesamt spricht für die ersten drei Quartale von einem Plus von 38 Prozent – landesweit 230 Millionen mehr als 2021. Viele Unternehmen scheinen besser durch die Krise gekommen zu sein, als erwartet. Aber nicht alle. Und auch in den Kommunen hält sich der Jubel über das Steuerplus in Grenzen.
- In vielen Kommunen waren die Einnahmen durch Gewerbesteuern zuletzt unerwartet hoch. Auch in Stendal.
- Zahlreiche Unternehmen sind überraschend gut durch die Corona-Zeit gekommen – aber nicht alle.
- Die gestiegenen Einnahmen sorgen nicht überall für Jubelstürme. Und viele Unternehmen sorgen sich angesichts etlicher Krisen um ihre Zukunft.
In diesem Jahr wird Stendal bei den Gewerbesteuern bei mehr 17 Millionen Euro landen – ein Rekordwert in Nachwendezeiten. Der stellvertretende Oberbürgermeister Axel Kleefeldt (CDU) ist selbst erstaunt, dass gerade in Pandemiezeiten die Steuereinnahmen aus den Unternehmensabgaben weiter gestiegen sind. "Corona hat im Gewerbebereich oder beim Handwerk nicht die dramatischen Folgen gehabt, die man so erwartet hätte", sagt er.
Axel Kleefeldt vermutet, dass sich die Ausgaben bei den Bürgern teilweise einfach nur verschoben haben. "Man war ja Zuhause und konnte gar kein Geld ausgegeben. Deswegen hat der eine oder andere bestimmt später eine Investition getätigt, die sonst nicht getätigt worden wäre. Das sind entsprechende Effekte, die da eine Rolle spielen."
Stendal: Plötzlich Spielraum für Investitionen
Vor fünf Jahren hat Stendal noch ein Drittel weniger Gewerbesteuer eingenommen. Über die Jahre konnte die Stadt einen riesigen Schuldenberg von mehr als 30 Millionen Euro auch mit Hilfe des Gewerbes auf heute nur noch drei Millionen Euro abbauen. Das schafft Spielraum für Investitionen. Gerade erst wurde eine neue Schule für fast acht Millionen Euro eröffnet.
Es sollen zwei Kindergartenneubauten folgen. "Das sind Projekte, die wir mit unserer Finanzkraft auch stemmen können. Es hapert mehr an personellen Ressourcen als an der Frage, ob man das finanzieren kann oder nicht", sagt Kleefeldt.
Rekordeinnahmen in den kreisfreien Städten
Stendal ist keine Ausnahme, was die sprudelnden Gewerbesteuern angeht. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes Sachsen-Anhalt werden Dreiviertel der Kommunen 2022 höhere Einnahmen im Bereich Gewerbesteuer haben. Magdeburg kratzt an 125 Millionen Euro – 13 Millionen mehr als im Vorjahr. Und die Großansiedlung Intel kommt noch. In Halle geht man dieses Jahr von 113 Millionen aus, 2018 – vor der Pandemie – lagen die Einnahmen bei 67,5 Millionen Euro.
So viele Gewerbesteuern nehmen Sachsen-Anhalts Kommunen ein
Die drei kreisfreien Städte des Landes (Magdeburg, Halle, Dessau-Roßlau) erzielten in den ersten neun Monaten 2022 die höchsten Gewerbesteuereinzahlungen seit zehn Jahren: zusammen 214 Million Euro (+ 52 Millionen Euro).
Die kreisangehörigen Gemeinden verbuchten bis zum 30. September 2022 fast so viel Gewerbesteuer wie im gesamten Vorjahr: zusammen 615 Millionen Euro. Die höchsten Gewerbesteuereinzahlungen verbuchte die Stadt Leuna mit 39 Millionen Euro, Lutherstadt Wittenberg hat mit 24 Millionen Euro den zweithöchsten Wert, gefolgt von der Stadt Bitterfeld-Wolfen mit 23 Millionen Euro.
26 Prozent bzw. 55 kreisangehörige Gemeinden meldeten bis zum 30. September 2022 weniger Gewerbesteuer als in den ersten drei Quartalen des Vorjahres. Barleben verzeichnete bis zum 30. September 2022 den höchsten Rückgang: sechs Millionen Euro weniger (2021: 21 Millionen Euro gesamt).
Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt
Auch im kleinen Osterburg im Landkreis Stendal sind die Zuwächse enorm. "In den vergangenen zehn Jahren hat sich das immer weiter nach oben entwickelt", sagt Bürgermeister Nico Schulz (Freie Wähler). Seine Kommune mit ihren knapp 9.500 Einwohnern erwartet dieses Jahr Gewerbesteuern in Höhe von fast 7,4 Millionen Euro. Vor vier Jahren war es nur knapp die Hälfte.
Das führt alles nicht dazu, dass wir jetzt mit goldenen Löffeln essen können.
Ein Grund, warum in diesem Jahr vielerorts die Rekorde purzeln, sei sicherlich, dass Unternehmen während der Corona-Zeit die Möglichkeit vom Finanzamt eingeräumt bekommen haben, ihre Steuern zu stunden, vermutet Schulz. "Viele haben jetzt nachgezahlt." Genau weiß er es auch nicht. "Wir bekommen die Angaben über die Summen vom Finanzamt, alles andere unterliegt dem Steuergeheimnis", so der Bürgermeister.
20 Prozent der Betriebe im Gastgewerbe mussten aufgeben
"Viele Gastgewerbe haben die Steuer ausgesetzt", bestätigt Michael Schmidt, der Präsident des Hotel- und Gaststättenverbandes DEHOGA in Sachsen-Anhalt. Das Gastgewerbe habe in der Pandemie stark gelitten. Bundesweit hätten 20 Prozent der Betriebe aufgeben müssen, die Zahl gelte auch in etwa für Sachsen-Anhalt, sagt der Betreiber des Gasthauses "Zur Henne" in Naumburg.
Allerdings müsse man auch differenzieren. Ab Sommer 2020 hätten viele Unternehmen auch vom starken Inlandstourismus profitiert. Andererseits hätte es in der Corona-Zeit eine Verschiebung hin zu Lieferservice und auch Imbissen gegeben. "Da sind dann die Zahlen für die Gewerbesteuer insgesamt für unseren Bereich gar nicht so gravierend eingebrochen, auch wenn einzelne Betriebe sehr gelitten haben."
Beim Handelsverband Sachsen-Anhalt sieht es ähnlich aus. Viele Geschäfte hätten durch lange Schließzeiten während der Lockdowns stark gelitten, das bleibe auch angesichts der hohen Steuerzahlen ein Fakt, wie Geschäftsführer Knut Bernsen mitteilt. Überdurchschnittlich viele Unternehmen mussten aufgeben, sie sind oftmals "still und ohne Insolvenzverfahren vom Markt verschwunden". Andere Branchen, die nicht mit zeitweiligen Schließungen konfrontiert waren, konnten weiterarbeiten – und mussten entsprechend auch Steuern zahlen.
IHK: "Unsicherheiten belasten Unternehmen"
Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Magdeburg bestätigt eine "stabile Entwicklung" auch, wenn die wirtschaftliche Gesamtsituation im Kammerbezirk "sehr heterogen" sei. "Es gibt nach wie vor Unternehmen, welche trotz der massiven Energiepreise und der anhaltend hohen Inflation, volle Auftragsbücher haben und die gestiegenen Kosten an ihre Kunden weitergeben können", sagt Juliane Wolf, die Geschäftsführerin Industrie und Infrastruktur bei der IHK. Nach vorläufigen Zahlen sei die Wirtschaft 1. Halbjahr um 4,5 Prozent gewachsen.
Allerdings: Die Prognosen sind laut IHK sehr getrübt. "Es ist vor allem die Unsicherheit der Unternehmen, wie sich die Energiekrise, die Material- und Rohstoffverfügbarkeiten, die Inflation und der Arbeitskräftemangel weiter entwickeln werden", sagt Juliane Wolf.
Steuerplus sorgt nicht überall für Euphorie
Auch Osterburgs Bürgermeister Nico Schulz ist nicht übermäßig euphorisch angesichts der hohen Steuereinnahmen in diesem Jahr. Und das hat einen besonderen Grund: "Die Landeszuweisungen und auch die Kreisumlage, die wir zu zahlen haben, bemessen sich an unserem Steueraufkommen", sagt Schulz. Dabei werden die Zahlen von vor zwei Jahren zugrunde gelegt. "Wenn wir jetzt hohe Steuereinnahmen haben, macht sich das in zwei Jahren entsprechend negativ bemerkbar."
Er rechnet vor: 2021 habe Osterburg eine Million Euro Schlüsselzuweisung mehr bekommen, von der Summe sind dann aber 800.000 Euro in die Kreisumlage geflossen, so dass am Ende nur 200.000 Euro bei der Stadt hängengeblieben sind. "Das führt alles nicht dazu, dass wir jetzt mit goldenen Löffeln essen können", sagt er mit einem Augenzwinkern.
MDR (Bernd-Volker Brahms, Oliver Leiste)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Dezember 2022 | 17:00 Uhr