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Wenn Unternehmen Tricks zur Steuervermeidung anwenden, entgehen dem Staat hohe Steuereinnahmen. (Symbolbild) Bildrechte: colourbox.com

Steueroasen in Sachsen-Anhalt "Dem Staat entgeht ein beträchtliches Steueraufkommen"

10. April 2022, 17:53 Uhr

Lützen im Burgenlandkreis hat den niedrigsten Gewerbesteuersatz in Sachsen-Anhalt und einen der niedrigsten in Deutschland. Im Interview erklärt Sebastian Eichfelder, Professor für Steuerlehre an der Universität in Magdeburg, wie Unternehmen von inländischen Steueroasen profitieren und wann solche Steuertricksereien illegal sind.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Professor Eichfelder, was verspricht sich der Gesetzgeber davon, dass Städte und Gemeinden in Deutschland selbst bestimmen dürfen, welchen Gewerbesteuersatz sie erheben?

Sebastian Eichfelder: Letztlich geht es dabei um gemeindliche Autonomie. Gemeinden sollen Einfluss nehmen können auf die Wirtschaftspolitik und auf ihre eigenen Einnahmen. Dazu gehört, dass die Gemeinden eigene Steuerhebesätze festlegen können. Damit können die Gemeinden beeinflussen, wie attraktiv sie als Wirtschaftsstandort sind.

Zur Person

Sebastian Eichfelder ist seit 2013 Professor für Betriebswirtschaftliche Steuerlehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Er lehrt und forscht unter anderem zu Steuerrecht, Steuerwirkung und Steuerplanung.

Gibt es dabei gesetzliche Vorgaben?

Tatsächlich konnten Gemeinden bis 2004 komplett gewerbesteuerfrei sein. Inzwischen gibt es einen Mindesthebesatz von 200 Prozent. Aus den Hebesätzen ergibt sich der genaue Steuersatz, in dem man den Hebesatz mit einer Messzahl von 3,5 multipliziert. Bei einem Hebesatz von beispielsweise 400 Prozent rechnet man also 3,5 mal 4, das ergibt dann einen Gewerbesteuersatz von 14 Prozent.

Wie können sich Unternehmen die unterschiedlichen Gewerbesteuersätze innerhalb Deutschlands zunutze machen?

Nehmen wir das Beispiel eines Chemieunternehmens. Wenn die Stadt, in der das Unternehmen sein Werk hat, den Gewerbesteuerhebesatz anheben würde, könnte das Unternehmen nicht ohne Weiteres das Werk verlegen. Das Unternehmen könnte aber versuchen, Gewinne zu verlagern von Hochsteuergemeinden in Niedrigsteuergemeinden. Das senkt die Einnahmen in den Hochsteuergemeinden und erhöht die Einnahmen in den Niedrigsteuergemeinden und insgesamt ergibt es einen Gesamtvorteil, der beim Unternehmen bleibt. Für die Niedrigsteuergemeinden lohnt sich das auch, weil sie daraus Steuereinnahmen generieren und weil Folgeeinnahmen entstehen, etwa durch die Vermietung von Büroflächen. Solche Gewinnverlagerungen sind viel leichter und kostengünstiger zu bewerkstelligen, als ganze Standorte zu verlagern. Und das ist das, was Unternehmen regelmäßig machen. Dem Staat insgesamt entgeht dadurch ein beträchtliches Steueraufkommen.

Ist das möglicherweise der Grund, warum die Deutsche Bank Tochterunternehmen in Lützen angesiedelt hat?

Das ist in meinen Augen ein Paradebeispiel für aggressive Steuervermeidung. Der Zweck dieser Unternehmen ist reine Steuergestaltung. Wenn ich mir zum Beispiel die Bilanzen der DB Industrial Holdings GmbH angucke, funktioniert deren Geschäftsmodell so, dass die Tochtergesellschaft ein Darlehen an ihre eigene Muttergesellschaft vergibt. Die Muttergesellschaft muss dann an die Tochtergesellschaft Zinsen zahlen. Diese Zinsen sind Betriebsausgaben für die Muttergesellschaft und gleichzeitig Betriebseinnahmen für die Tochtergesellschaft. Bei der Muttergesellschaft, also der Deutschen Bank, sind diese Ausgaben abzugsfähig. Und der Gewerbesteuerhebesatz in Frankfurt ist fast doppelt so hoch wie der in Lützen. So spart die Deutsche Bank mit jedem Euro, den sie als Zinsen nach Lützen zahlt, Steuern. Ich würde schätzen, dass man im Laufe der Jahre dadurch auf Steuerersparnisse im hohen zweistelligen Millionenbereich kommt.*

* Ein Sprecher der Deutschen Bank schreibt auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, der Geschäftszweck der DB Industrial Holdings GmbH und der DB Industrial Holdings Beteiligungs GmbH & Co. KG in Lützen sei "im Wesentlichen das Halten von Industriebeteiligungen." In der Benefit Trust GmbH würde die Deutsche Bank einen Teil ihrer Altersvorsorgeverpflichtungen für ihre Mitarbeitenden verwalten.

Welche Voraussetzungen müssen an dem Standort erfüllt sein, an dem ein Unternehmen seine Gewerbesteuern zahlt?

Entscheidend ist, dass man an dem Standort einen Gewerbebetrieb unterhält und die Betriebsstätte an dem Standort ist. Als Betriebsstätte definiert das Gesetz jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit eines Unternehmens dient, insbesondere eine Stätte der Geschäftsleitung, eine Zweigniederlassung oder Geschäftsstellen. Das heißt, ich kann solche Steuergestaltung rechtlich konform machen, in dem ich Betriebe in Tochtergesellschaften verlagere, die in Niedrigsteuergemeinden sitzen. Was ich dazu brauche, ist aber eine feste Geschäftseinrichtung, also etwa Büroräume. Und dann müssen da auch wirtschaftliche Aktivitäten stattfinden, die dazu geeignet sind, dass der Gewinn dahinfließt. An der Stätte der Geschäftsleitung muss also schon jemand sitzen, der tatsächlich Entscheidungen trifft. Das kann nicht irgendein Computer sein. Ein Briefkastenschild alleine ist kein steuerrechtlich konformer Standort.

Warum haben die Finanzbehörden bislang wenig gegen mögliche Scheinansiedlungen von Unternehmen unternommen?

Das grundsätzliche Problem ist, dass die Finanzbehörden den Ländern zugeordnet sind und dementsprechend unterschiedliche Interessen haben. Jedes Land möchte ja seine Steuereinnahmen vermehren. Wenn also zum Beispiel der Stadt Frankfurt in Hessen Steuereinnahmen entgehen, aber dafür eine Gemeinde in Sachsen-Anhalt mehr Steuern kassiert, dann ist das aus Perspektive der Finanzbehörden in Sachsen-Anhalt nicht unbedingt ein riesiges Problem. Da muss man sich die Frage stellen, wie effektiv der deutsche Rechtsstaat an diesen Stellen funktioniert und ob da immer genau hingeschaut wird. Oder wird vielleicht öfter mal ein Auge zugedrückt, weil es den eigenen Interessen nicht undienlich ist? Möglicherweise bräuchte es eigene Bundesbehörden oder stärkere Anreize in den Landesbehörden, damit solche Angelegenheiten stärker geprüft werden.

Die Fragen stellte Lucas Riemer.

MDR (Lucas Riemer)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 11. April 2022 | 19:00 Uhr

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