"Verbrenn, du elendiger Hund!" Was macht Hass im Netz mit Fußballprofis?
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24. April 2020, 18:33 Uhr
Fußballfans frönen in den sozialen Netzwerken ihrer Pöbelkultur. Immer häufiger werden Grenzen überschritten. Gut bezahlte Profisportler müssen das aushalten, heißt es oft. Doch der Hass im Netz trifft auch sie meist härter, als sie zugeben. Der letzte Teil des Themenschwerpunkts von MDR SACHSEN-ANHALT.
Ein kurzer Blick auf das Smartphone – und schon sah Sören Bertram, wie sein Gesicht in Flammen stand. Ein Anhänger des Halleschen FC hatte eine Autogrammkarte des Fußballprofis angezündet. Tausende Male wurde das Video davon auf verschiedenen Instagram-Seiten angesehen. "Verbrenn, du elendiger Hund!", sagte der Mann im Hintergrund. "Verpiss dich!" Was Bertram getan hatte? Ein Tor geschossen und gejubelt.
Längst hat sich der Stammtisch verlagert. Aus der Kneipe um die Ecke ist das Internet geworden. Für manche zumindest. In den sozialen Netzwerken frönen Fußballfans der ihrer Sportart seit Jahrzehnten eigenen Pöbelkultur. Doch in der Anonymität sinken Hemmschwellen. Hasskommentare häufen sich. Wie gehen Profisportler damit um?
Wenn Grenzen überschritten werden
"Du Verräter, du Fotze – solche Beleidigungen musste ich ein halbes Jahr lang lesen", sagt Sören Bertram. Seit seinem Wechsel im Sommer vergangenen Jahres zum 1. FC Magdeburg erreichten ihn fast täglich Nachrichten der übelsten Sorte. Sie kamen von Fans des Halleschen FC. Denn für den Drittligisten hatte Bertram von 2013 bis 2016 gespielt.
Drei Jahre nach seinem Abschied aus Halle schloss er sich dem Rivalen aus Magdeburg an. "Ich kann den Unmut der Fans verstehen", sagt der 28-Jährige deshalb sogar. Er wusste, dass ein Shitstorm anstand.
Da wurde meine Familie, meine Mutter aufs Übelste beleidigt. Natürlich hat mich das getroffen. Das war schon krass.
Auf zahlreiche Nachrichten antwortete Bertram. Er versuchte, seine Beweggründe zu erklären. Aber: "Manche haben einfach Grenzen überschritten. Da wurde meine Familie, meine Mutter aufs Übelste beleidigt. Es ist einfach nur peinlich und beschämend, wenn Leute so etwas im Netz machen. Natürlich hat mich das getroffen. Das war schon krass."
Die Wahrnehmung der Fans
Sven Zorn ist einer der Betreiber der Instagramseite "chemiehalle.de" – auch dort wurde das Video geteilt. "Das wurde uns zugeschickt und es hat zur damaligen Situation gepasst", erklärt er.
Bertram sei von den HFC-Fans früher "vergöttert und verehrt" worden. Schon sein Wechsel habe für Unmut gesorgt. "Als er dann auch noch vor unserer Kurve das Tor gegen uns bejubelt hat, war das wie ein Stich ins Herz", sagt Zorn. "Das hat das Fass zum Überlaufen gebracht."
Wir hätten gar nicht gedacht, dass Sören das überhaupt sieht oder dass es ihn überhaupt interessiert.
Aber wurde mit dem Video nicht eindeutig eine Grenze überschritten? "Natürlich ist das provokativ", sagt Zorn. "Solange es aber bei so etwas Symbolischem bleibt, gehört das zu einer Rivalität dazu. Eine gewisse Grenze darf aber nicht überschritten werden." Wo die liegt, das sehen Sportler und Fans nicht nur in diesem Fall offensichtlich oft anders.
"Wir hätten gar nicht gedacht, dass Sören das überhaupt sieht oder dass es ihn überhaupt interessiert", sagt Zorn. "Er hätte sich einfach bei uns melden können, dann hätten wir das Video sofort rausgenommen – und das würden wir auch immer noch tun." Bertram meldete das Video mehrfach über die entsprechende Funktion bei Instagram. Genau wie mehrere seiner Freunde. Reagiert hat die Plattform bis heute nicht.
Sportspychologe: "Da wird oft gut geschauspielert"
Hasskommentare im Netz erzeugen oft Ignoranz. Zumindest reagieren viele Profi-Sportler darauf angesprochen mit dem stereotypen Satz: "Ist mir egal, was da im Internet geschrieben wird." Manche noch mit dem Nachsatz: "Das lese ich gar nicht mehr." Das stimmt in den meisten Fällen nicht, glaubt Matthias Herzog. "Es gibt vielleicht zehn Prozent im Fußballgeschäft, die das wirklich gar nicht lesen", sagt der Sportpsychologe. "Bei dieser Behauptung wird oft gut geschauspielert."
Warum? "Weil das Ziel ist, den Kommentierenden zu zeigen: Es macht keinen Sinn. Ihr erreicht mich gar nicht. Die Leute sollen die Lust an Hasskommentaren verlieren." Ignoranz kann da helfen. Doch: "Dadurch kann die Situation auch verstärkt werden, weil andere Leute das lesen und es sich noch mehr verteilt, wenn es unwidersprochen bleibt", sagt Herzog. "Außerdem ist das ja alles andere als der Ausdruck von Fannähe, wenn man auf Kommentare nicht reagiert."
Die Situation rund um Hass im Netz hat sich auch im Sport in den vergangenen Jahren extrem verschlimmert.
Der Idealfall wäre also: Profifußballer kümmern sich um ihre Kommentarspalten auf Social Media, gehen auf kritische Kommentare ein und löschen oder verbergen Hasskommentare. Nur ist das eben nicht ihr Job – und gerade in unteren Ligen kann sich nicht jeder Fußballer einen Social-Media-Mitarbeiter leisten. Was bei einigen allerdings nötig wäre, denn: "Die Situation rund um Hass im Netz hat sich auch im Sport in den vergangenen Jahren extrem verschlimmert", sagt Matthias Herzog.
Der Umgang mit Hass im Netz
Der 44-Jährige berät als Motivationstrainer und Sportpsychologe sowohl Vereine als auch Sportler. Auch beim 1. FC Magdeburg war Herzog vor einigen Jahren zu Gast. "Ihre Social-Media-Kanäle sind für die Fußballer Fluch und Segen zugleich", sagt er. "Zum einen brauchen sie das in der heutigen Zeit, für manche ist es auch ein Nebenverdienst." Doch auf der anderen Seite stehen eben die Hasskommentare und die Frage: Wie gehe ich als Profi damit um?
"Solche Kommentare gehen oft ins Persönliche. Aber trotzdem gilt: Du darfst dir das nicht zu sehr zu Herzen nehmen", sagt Herzog. Aber: "Profifußballer sind auch nur Menschen, oft junge Menschen. Und Hasskommentare lösen auch bei ihnen Emotionen hervor. Das ist aber auch eine Chance. Denn die große Kunst ist es, diese hohe negative Energie in hohe positive Energie umzuwandeln."
In Gesprächen mit Sportlern richtet der Psychologe den Blick deshalb auf andere, positive Kommentare, die meist in der Überzahl sind. Oder auf die Meinungen des Trainers oder der Mitspieler. Denn diese hätten weit mehr Gewicht. Das müsse den "Gehassten" klar sein. Herzog sagt jedenfalls: "Es ist extrem wichtig, sich damit auseinanderzusetzen." Das sei besser als Ignoranz.
"Ich lese mir sowas nie durch"
Trotzdem setzt Ismail Atalan auf Ignoranz. Der 40-Jährige übernahm Ende Februar das Traineramt beim Halleschen FC. Im Internet folgten im Anschluss, auch auf der Facebook-Seite von MDR SACHSEN-ANHALT, rassistische Anfeindungen gegen ihn. Als Fünfjähriger kam Atalan als kurdischer Flüchtling nach Deutschland.
"Ich wehre mich dagegen, mir darüber Gedanken zu machen", sagte der Fußballlehrer kürzlich im HFC-Podcast "Badkurvenversteher". Und weiter: "Ich lese mir sowas nie durch und werde es auch in Zukunft nicht machen. Solange ein Mensch mich nicht kennt und nur etwas bewertet, was er nicht mit eigenen Augen gehört oder mit eigenen Ohren gesehen hat, beschäftige ich mich damit nicht. Wenn sie ein Problem haben, sollen sie zu mir kommen und mir das ins Gesicht sagen."
Auch auf der Instagram- und Facebookseite von "chemiehalle.de" gab es nach der Verpflichtung Atalans rassistische Kommentare. "Diese Leute haben wir gnadenlos von unseren Seiten gekickt", sagt Betreiber Sven Zorn. "Rassismus hat bei uns nichts zu suchen." Da sei eine Grenze überschritten.
Für Sören Bertram ist jedenfalls klar: "Die Leute sagen immer, dass Fußballprofis sowas abkönnen müssen, die verdienen ja genug Geld und so weiter. Aber ganz ehrlich: Solchen Hass hat kein Mensch verdient."
"Was im Internet abgeht, ist unter der Gürtellinie"
Grenzüberschreitungen hat auch Martin Geissler in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet. Er arbeitet zwar nicht im Fußballgeschäft, sondern ist Geschäftsführer beim Mitteldeutschen Basketball Club. Doch Sportarten spielen bei Hass im Netz ohnehin keine Rolle, meint er.
"Die Beleidigung von allen, die zum Sport gehören, ist ein großes Problem. Das ist nicht nur auf Fußball und nicht nur auf Rassismus zu begrenzen", sagt Geissler. "Was da im Internet teilweise abgeht, ist unter der Gürtellinie. Jeder, der im Sport tätig ist, ist schon einmal Opfer davon geworden, dass über ihn irgendetwas geschrieben wurde, oft auch im Mantel der Anonymität. Das ist schlimm und kann dazu beitragen, dass Menschen psychisch krank werden."
Über den Autor
Daniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.
Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.
Quelle: MDR/dg
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