Themenschwerpunkt Anwalt rät: Bringt den Hass im Netz zur Anzeige!

22. April 2020, 19:59 Uhr

Wer im Netz angefeindet wird, meldet das nicht zwangsläufig Polizei oder Staatsanwaltschaft. Im Gegenteil: Bei vielen Menschen ist die Hemmschwelle zu hoch, hat der Rechtsanwalt Andy Staudte festgestellt. Im zweiten Teil des Themenschwerpunkts zu Hass im Netz stellt MDR SACHSEN-ANHALT das Projekt "Fairsprechen" vor, das für Hass im Netz sensibilisieren will.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Es gibt gewiss bessere Zeitpunkte für ein Interview. Die Corona-Krise hat in Deutschland Mitte März zwar noch nicht volle Fahrt aufgenommen. Trotzdem gilt auch während des Interviews von MDR SACHSEN-ANHALT mit Anwalt Andy Staudte: Man winkt zur Begrüßung, statt sich die Hand zu reichen. Staudte empfängt in der Geschäftsstelle von fjp media in Magdeburg, dem Verband junger Medienmacher. Auf dem Tisch stehen frisch gebrühter Kaffee und Pfannkuchen. Thema dieses Gesprächs sollen Hass im Netz sein – und was Betroffene dagegen unternehmen können.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Staudte, wenn wir von Hass im Netz sprechen: Wen betrifft das? Gibt es spezielle Gruppen, die besonders angefeindet werden?

Andy Staudte: Aktuell betrifft dieser Hass nach meiner Beobachtung vor allem Frauen, die sich politisch engagieren. Das hat sich durchaus verschoben in den vergangenen Jahren. Wenn wir vier Jahre zurückschauen: Da waren es vor allem Migranten und Flüchtlinge, gegen die Hass und Hetze verbreitet worden sind. Die sind es immer noch, sind im Ranking aber auf den dritten Platz gerutscht.

Woran liegt es denn, dass vor allem politisch engagierte Frauen angefeindet werden?

Es hat viel mit der Unzufriedenheit über vermeintlich nicht eingehaltene Versprechen von Politik zu tun. Dazu kommt, dass Frauen historisch schon immer diskriminiert worden sind. Dadurch, dass aber die Politikverdrossenheit stärker geworden ist, verstärkt sich nach meiner Vermutung auch dieser Aspekt. Studien dazu gibt es nach meinem Wissen nicht.

Es sind ganz ganz wenige, die die Hater sind. Die anderen sind stille Mitleser. Die sind es, die man zur Gegenrede animieren muss. Es muss nur einer damit beginnen.

Die schwierigste aller Fragen klingt zunächst ganz einfach: Was sollten Betroffene denn tun, wenn sie auf Twitter und Co. angefeindet werden?

Es gibt unterschiedliche Strategien. Die einfachste ist: Ignorieren! Die schwierigste ist, sich Verbündete zu suchen, welche Counter Speech, Gegenrede also, leisten. Dazu kommen die juristischen Schritte: Das ist zwar der härtere Weg, aber man sollte diesen Hass anzeigen. Nur so bekommt die Staatsanwaltschaft Kenntnis. Ohne Kenntnis kann die Staatsanwaltschaft nichts tun. Ein ganz wichtiger vorbeugender Punkt ist der Datenschutz: Dass man also sein Profil relativ neutral hält und nicht alles preisgibt. Das ist vor allem für Privatpersonen wichtig.

Wer in der Öffentlichkeit steht, wird das schwer umsetzen können.

Das stimmt: Wenn ich den Schritt wage, in die Öffentlichkeit zu gehen und damit Informationen über mich preiszugeben, ist die andere Frage: Wie schütze ich mich davor? Wichtig ist dann, rigoros zu sein und sich nicht beeindrucken zu lassen. Weil: Wer in der Öffentlichkeit steht, kommt nicht drum herum, dass Daten preisgegeben werden. Das finden die Hater heraus. Schneller als man denkt.

Der Experte: Das ist Andy Staudte

Andy Staudte ist von Beruf Rechtsanwalt. Seine Fachgebiete sind Verkehrs-, Medizin- und Arbeitsrecht. Staudte arbeitet außerdem als Mediator. Der 32-Jährige ist seit Oktober 2019 beim Verband junger Medienmacher fjp media in Magdeburg beschäftigt. Dort ist er für das Projekt "Fairsprechen" zuständig, das Betroffene von Hass im Netz beraten und die Gesellschaft sensibilisieren will. Bevor Staudte sich um das Projekt kümmerte, arbeitete er unter anderem bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Im Zweitjob arbeitet Staudte in seiner eigenen Rechtsanwaltskanzlei in Magdeburg.

Mit dem Thema Hass im Netz beschäftigt Staudte sich schon seit Jahren. Bei fjp media hat er begonnen, weil er sich in einem sozialen Projekt gegen den Hass engagieren will.

Andy Staudte nippt an seiner Kaffeetasse. Auf dem Tisch hat der Rechtsanwalt einen Stapel Flyer verteilt. Sie werben für das Projekt "Fairsprechen", für das Staudte arbeitet. Das Projekt gibt es seit zwei Jahren. Auf der Rückseite des Flyers steht: "Erste Hilfe bei Hate Speech. Gegenreden. Melden. Blockieren. Rat holen."

Lassen Sie uns über das Projekt "Fairsprechen" reden, das Sie bei fjp media betreuen. Auf ihrer Website steht, dass sie informieren, beraten und stärken wollen, wenn es um Hass im Netz geht. Das bedeutet: Sie helfen auch denen, die mit Hass im Netz konfrontiert sind?

Wir bieten das an, erleben aber, dass die Hemmschwelle von Betroffenen hoch ist. Sie melden sich deshalb kaum. Der Grundgedanke, dass man sowieso nichts machen könne, ist noch zu stark verbreitet. Wir leisten hier wichtige Aufbauarbeit.

Wie können Sie Betroffenen denn helfen?

Wenn jemand kommt und unsere Hilfe wünscht, eruieren wir zunächst den entsprechenden Post. Wir sehen uns an, was strafbar ist und was nicht. Dann helfen wir beim Erstatten der Anzeige. Um diese zum Erfolg zu bringen, braucht es Formalitäten. Einen Screenshot zum Beispiel. Viele wissen das nicht.

Sie haben vorhin dafür geworben, Hass im Netz rigoros zur Anzeige zu bringen. Bringt das überhaupt etwas?

In Nordrhein-Westfalen liegt die Erfolgsquote nach meinen Erkenntnissen inzwischen bei etwa 50 Prozent. Vor einiger Zeit wurden noch 80 Prozent der Verfahren eingestellt, jetzt sind es deutlich weniger geworden. Dort ist es ein Lernprozess gewesen. Und das ist er auch insgesamt. Dazu kommt: Jeder weiß, dass ein Leugnen des Holocausts strafbar ist oder das Zeigen von rechtsradikalen Symbolen. Schwieriger wird es beim Straftatbestand der Volksverhetzung. Dort kommt es auf den Kontext an, das ist hochkompliziert. Viele Fälle sind selbst unter Juristen umstritten.

Dennoch: Nordrhein-Westfalen ist Ihrer Meinung nach ein Vorbild?

Dort hat man zumindest erste Schritte unternommen. Ob das der beste Weg ist, weiß ich nicht. Aber: Das Land hat spezialisierte Staatsanwälte eingestellt, die sich den ganzen Tag ausschließlich mit Cybercrime beschäftigen und einen kurzen Draht zu den Redaktionen haben, wo viele Hasskommentare auflaufen.

Andy Staudte ist der Auffassung, dass die Zusammenarbeit von Redaktionen und Strafverfolgungsbehörden beim Thema Hass im Netz ausgebaut werden muss. So, wie das in NRW gehandhabt wird. Dort haben Redaktionen die Gelegenheit, mit zwei Klicks Kommentare, die sie für strafbar halten, an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln. Anschließend gibt es eine Eingangsbestätigung. Das sei so einfach wie eben möglich, sagt Staudte – und spricht sich dafür aus, solche Initiativen flächendeckend anzubieten. Er sagt aber auch: Die beste Organisation oder gar eine Meldepflicht nützen nichts, wenn in Staatsanwaltschaften und bei der Polizei das Personal fehlt.

Mit "Fairsprechen" wollen Sie die Gesellschaft sensibilisieren und Betroffene stärken, aber eben auch beraten. Wen denn?

Journalisten zum Beispiel. Die klassischen Multiplikatoren also. Sie müssen wissen, wie sie Themen auf den Facebook- oder Twitter-Kanälen der Redaktion zu moderieren haben. Sie müssen die Richtlinien kennen und die ethische Aufgabe von Journalismus nicht außer Acht lassen.

In der Journalisten-Ausbildung werden Hass im Netz und der Umgang mit Hatern zu wenig thematisiert. Es wird nicht ausreichend für das Thema sensibilisiert.

Das klingt, als hätten Sie einen Vorschlag an alle Redaktionen?

Die Personalquote im Bereich Social Media ist noch zu oft zu gering. Auch in der Journalisten-Ausbildung wird zu wenig für das Thema sensibilisiert. Viele stecken dann in einer Überforderungssituation: Sie sehen sich jeden Tag einer Flut an Kommentaren ausgesetzt und fragen, was sie tun können, um das abzubauen. Wir bieten deshalb Workshops an, die diese Fragen beantworten. Bei vielen Journalisten herrscht die Mentalität, das gehöre zum Job dazu. Das wollen wir aufbrechen und zeigen: Es gehört nicht dazu. Niemand muss sich beleidigen lassen.

All der Hass, der bei Redaktionen oder Politikern landet, kommt allerdings von Privatleuten. Ziel muss es doch sein, dass diese Leute ihren Hass gar nicht erst verbreiten?

Wir müssen die Leute einfangen, die an der Schwelle sind. Die also nach ihrem 40-Stunden-Job nach Hause kommen und gefrustet sind. Das sind die Menschen, die wir noch einfangen können. Ihnen müssen wir aufzeigen, dass es Strafen gibt, dass ihr Verhalten sie teuer zu stehen kommen kann und dass es echte Menschen betrifft, keine virtuellen Figuren. Die Profi-Hater, die ihre IP-Adresse tarnen, wird man schwer bekommen.

Grundsätzlich fehlt vielen das Unrechtsbewusstsein, teilweise sogar vor Gericht. Sie sagen dann, das sei doch nur Facebook. Sie müssen wir fragen: Würden Sie das jemandem ins Gesicht sagen? Nein?! Dann dürfen Sie es auch nicht bei Facebook schreiben. Das hat viel mit fehlender Medienbildung zu tun.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?

Dass Projekte und Initiativen längerfristig gefördert werden. Das Thema ist so groß und komplex, dass wir eine Förderpraxis brauchen, die die Zukunft der Angestellten absichert. Außerdem hoffe ich, dass sich mehr Menschen intensiv mit Hass im Netz und Gegenstrategien befassen, auch unter Juristen. Es gibt einiges zu tun.

Luca Deutschländer
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Luca Deutschländer arbeitet seit Januar 2016 bei MDR SACHSEN-ANHALT – in der Online-Redaktion und im Hörfunk. Seine Schwerpunkte sind Themen aus Politik und Gesellschaft. Bevor er zu MDR SACHSEN-ANHALT kam, hat der gebürtige Hesse bei der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeine in Kassel gearbeitet. Während des Journalistik-Studiums in Magdeburg Praktika bei dpa, Hessischem Rundfunk, Süddeutsche.de und dem Kindermagazin "Dein Spiegel". Seine Lieblingsorte in Sachsen-Anhalt sind das Schleinufer in Magdeburg und der Saaleradweg – besonders rund um Naumburg. In seiner Freizeit steht er mit Leidenschaft auf der Theaterbühne.

Quelle: MDR/ld

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 20. März 2020 | 13:40 Uhr

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