Ehemaliger Lost Place Verein restauriert Schloss in Helmsdorf

14. Januar 2025, 11:16 Uhr

Jahrelang ist das Schloss Henriette in Helmsdorf verwahrlost. In der Corona-Pandemie entwickelte es sich zu einem viel besuchten Lost Place. Dem will seit dem Jahr 2022 ein Verein entgegenwirken. Er möchte das Schloss renovieren und zu einem Kultur-Treff verwandeln. Eine große Aufgabe für die Mitglieder, die viel Schweiß und Zeit investieren und mit wenig Geld auskommen müssen.

"Erstmal einen Anfang finden hier." Anika Rockmann kniet auf dem Boden im Gartensaal von Schloss Henriette in Helmsdorf im Kreis Mansfeld-Südharz. Sie sucht eine Stelle, an der sie das alte und brüchige Linoleum vom Boden lösen kann. Der gesamte Bodenbelag soll raus, damit das Parkett darunter wieder sichtbar wird. "Das sind so ganz normale Samstage", lacht Rockmann und zerrt einen Packen altes Linoleum aus dem Zimmer.

Das war im Frühjahr 2024, als sich der Verein "Schloss Henriette-Helmsdorf" mal wieder zu einem Arbeitseinsatz getroffen hat. Sobald es nicht zu kalt ist, ruft die Vereinschefin zum Subbotnik, wie man im Osten zu sagen pflegt. Ein Schloss, das vor ihrem Engagement völlig vermüllt war, nur noch kaputte Fenster hatte, während der Pandemie ein beliebter und berüchtigter Lost Place war und wo die Nässe durchs Dach kroch. 30 Jahren lang hatte es leer gestanden. Ein Schloss, das der Verein um Anika Rockmann erst einmal entkernte und dem sie nun neues Leben einhauchen wollen.

Der Traum vom Kultur-Treff

Die 35 Vereinsmitglieder wollen das alte Gebäude in einen Kultur-Treff verwandeln. Seit zwei Jahren entmüllen, reparieren und restaurieren sie es in ihrer Freizeit. Eigentlich sind sie Beamte, Lehrerinnen, Handwerker oder pensionierte Pflegekräfte.

Vor allem der Leerstand hat dem alten Klassizismus-Bau zugesetzt. "Hindernisse? Niemals", Anika Rockmann lacht. "Wir sind alle optimistisch. Es ist halt ein Schloss. Und jeder macht das, was er am besten kann. Einer ist besonders gut in der Elektrik, der nächste ist besonders gut im Fenster einbauen." Das einzige Limit: Geld. Denn davon hat der Verein fast nichts. "Das Schloss gehört uns nicht. Aber für mich oder für unseren Verein ist das oberste Motto: Das Haus hat Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt. Das Schloss hat eine Zukunft verdient, gerade im Mansfelder Land."

Das Schloss gehört uns nicht. Aber für mich oder für unseren Verein ist das oberste Motto: Das Haus hat Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt. Das Schloss hat eine Zukunft verdient, gerade im Mansfelder Land.

Anika Rockmann, Vereinschefin "Schloss Henriette-Helmsdorf"

Engagement für das Schloss eines Unbekannten

Viel Engagement für ein Schloss, das dem Verein nicht gehört. Anfangs schien es gar keinen Besitzer zu geben. Anika Rockmann berichtet, dass das Gebäude in der Corona-Zeit ein viel besuchter Lost Place war. Bei Tag und Nacht seien Leute ins Gebäude eingestiegen. "Wir hatten wirklich Angst, dass das Schloss irgendwann brennt." Aus der Angst um "ihr" Schloss gründet sich 2022 der Verein "Schloss Henriette-Helmsdorf". Die Mitglieder sicherten das Gebäude und suchten nach dem Eigentümer.

Eine Mann in blauem Hemd, der einen kleinen Teller in der Hand hält und eine Frau in einem dunklen Kleid mit weißem Muster sind im Gespräch.
Schlossbesitzer Albrecht Münch und Vereinschefin Anika Rockmann im Gespräch. Bildrechte: MDR/Katja Herr

Der Rechtsanwalt Albrecht Münch aus Frankfurt am Main hatte das Schloss in den 1990er Jahren von der Treuhand zurückgekauft. Einst war es im Besitz seiner Familie gewesen, der von Krosigk. Die waren nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet worden. Im Sommer 2024 dann haben die Vereinsmitglieder den neuen Eigentümer erstmals zu Gesicht bekommen. Vorher hatte es nur Kontakt per Telefon und Mail gegeben. Der Besuch ist ein wichtiger Moment für den Verein, denn für alles brauchen sie sein Okay und sein Geld.

Eigentümer froh über Vereins-Engagement

Bei seinem Besuch erzählt Albrecht Münch, warum er das Schloss viele Jahre vernachlässigt hat. Gleich nach dem Kauf 1997 hat er sehr viel Geld in das Schloss investiert und eine neue Heizung einbauen lassen. "Aber leider, weil das Haus natürlich leer stand, ist dann über die Zeit alles gestohlen worden. Und dann waren zunächst mal meine Mittel auch aufgebraucht und ich habe nicht gewusst, wie ich das weiterbetreiben soll." In seinen Augen sei der Verein die Rettung für das Haus gewesen. Das Vertrauen des Eigentümers in ihren kleinen Verein schätzt Anika Rockmann. Sie ist froh, dass er wieder in das Schloss investiert, indem er seinen Anteil bei Fördermitteln dazugibt. "Denn letztendlich ist es ja immer noch ein halber Lost Place, das darf man nicht vergessen."

Das Schloss Henriette Es wurde für Wilhelm Ernst Friedrich von Kerssenbrock und Louise Ernestine Henriette von Bülow, Namensgeberin des Schlosses, erbaut. Ende der 1870er Jahre ging das Schloss in den Besitz der Familie von Krosigk über. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Familie enteignet. Zu DDR-Zeiten befand sich im Schloss ein Pflegeheim. Ab 1994 stand das Gebäude leer. Heute gehört es Albrecht Münch, einem Nachfahren der von Krosigks.

Verein hat noch viel Arbeit vor sich

Nach zwei Jahren und vielen hundert freiwilligen Arbeitsstunden sind Schutt und Müll aus dem Schloss verschwunden. Doch es gibt noch viel zu tun. "Ich sage immer, es ist ein Fass ohne Boden momentan. Wasser haben wir nur im Keller. Die ganze Elektrik ist noch aus tiefster DDR-Zeit. Im Winter kann man nicht heizen", sagt Vereinsmitglied Edgar Piz. Die Liste lässt sich fortführen: vom Dach ist nur ein Drittel saniert, die Parkanlagen sind verwildert und die Fenster müssen dringend erneuert werden.

Ich sage immer, es ist ein Fass ohne Boden momentan. Wasser haben wir nur im Keller. Die ganze Elektrik ist noch aus tiefster DDR-Zeit. Im Winter kann man nicht heizen.

Vereinsmitglied Edgar Piz

Auch von der einst prunkvollen Einrichtung ist quasi alles verschwunden. Vereinsmitglied Dagmar Höpfner hat im Schloss gearbeitet, als es zu DDR-Zeiten ein Pflegeheim war. Wenn sie durch das Gebäude geht, erinnert sie sich noch daran, wo geschnitzte Truhen und Schränke standen, wo Ölgemälde hingen oder wie das prunkvolle Geschirr und Kristall in den Spiegel-Vitrinen aufgestellt war. "Alles weg, schade", sagt sie. Doch ab und an tauchen Teile des alten Inventars wieder auf.

Dagmar Höpfner vom Verein Schloss Henriette mit den wiedergefundenen Gemälden vom Schloss. Diese lagern heute im Kreisarchiv Sangerhausen.
Vieles der alten Einrichtung ist verschwunden. Hin und wieder tauchen allerdings Teile des alten Inventars wieder auf. Wie etwa zehn Gemälde, die im Kreisarchiv Sangerhausen entdeckt wurden. Die zeigt Vereinsmitglied Dagmar Höpfner. Bildrechte: Katja Herr

Wie zum Beispiel zehn Gemälde, die im Kreisarchiv in Sangerhausen entdeckt worden sind. Oder ein handbemalter Teller der berühmten Kerßenbrockschen Tellersammlung. Die war einst im Tellersaal des Schlosses untergebracht und ist heute in der Malzscheune in Eisleben ausgestellt. Der Teller stand eines Tages einfach vor der Tür von Anika Rockmann. Der Verein will noch mehr der alten Schätze ausfindig machen und am liebsten im Schloss ausstellen. Und die Chancen dafür stehen gar nicht schlecht, denn der kleine Verein ist in der Region geachtet und anerkannt und die Leute wissen, dass ihr Vertrauen nicht enttäuscht werden wird.

Schätze und Leben kehren ins Schloss zurück

Ein Schatz, der bereits in das Schloss zurückgekehrt ist, ist das bunte Bleiglasfenster, das einst den Gartensaal schmückte. "Ein historischer Moment. Das Bleiglasfenster kehrt zurück", freut sich Anika Rockmann im September vergangenen Jahres, als sie das historische Fenster im Transporter sieht. Als das Oberlicht, das nur noch zur Hälfte existiert, ausgeladen wird und vor dem Schloss das erste Mal Sonnenlicht fängt, hat Anika Rockmann plötzlich Tränen in den Augen. "Ah, ist das schön. Ich kann gar nichts sagen." Es ist das erste Original, das an das Schloss zurückkehrt.

Die Geschichte rund um das Bleiglasfenster erzählt Anika Rockmann auch bei Führungen durch das Schloss. So auch Ende Mai 2024 einer Gruppe interessierter Architekten aus Halle. Beim Aufräumen im Schlosspark habe sie plötzlich einen Scherbenhaufen aus dem Boden ragen sehen. Anika Rockmann erinnert sich noch immer an den Moment, wo sie völlig aus dem Häuschen rief: ich habe einen Schatz gefunden. "Und dann haben wir das alles auf weißen Bettlaken ausgebreitet und haben wie die Archäologen die kleinsten Scherben zusammengepuzzelt", erzählt sie den Gästen. Dank einer Sponsorin konnte das Bleiglasfenster dann sogar restauriert werden.

Man sieht einen Raum in einem alten Schloss der mit etlichen alten Möbeln und anderem Müll vollgestellt ist.
Viele Räume im Schloss sind zugemüllt. Bildrechte: MDR/Katja Herr

Unermüdliche Arbeit

Führungen, Foto-Touren oder Spenden sind die wenigen Gelegenheiten für den Verein, selbst Geld einzunehmen. Die Arbeiten am Schloss sind alle freiwillig und ohne Bezahlung, Material und Fremdaufträge werden hauptsächlich vom Eigentümer und über Fördermittel gedeckt.

Anika Rockmann und ihr Verein arbeiten unermüdlich daran, dass Schloss Henriette ein Zentrum für Heimatgeschichte und Kultur wird. Das gebe ihr Kraft. Genügend Pläne für 2025 gibt es schon: Glühweinabende, ein Fach-Vortrag über die Kerssenbrocksche Tellersammlung oder die Wiederholung des Biker-Treffens sind schon drei Termine, die fest im Kalender stehen. Und wenn an kalten Winterabenden die Radiatoren auf vollen Touren laufen und ein paar Leute aus dem Ort in der Säulenhalle ihr Tanzbein schwingen, weiß Anika Rockmann, dass sich schon jetzt jede staubige und verschwitzte Stunde hier oben auf dem Schloss gelohnt hat.

Den kompletten Film "Henriettes Erben - Das Sanssouci des Mansfelder Landes" aus der MDR-Reihe "Der Osten - Entdecke wo du lebst" sehen sie ab Dienstag, 14.01. 10 Uhr, in der ARD Mediathek oder im MDR-Fernsehen am 25.01. um 12:30 Uhr.

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MDR (Katja Herr, Katharina Michel, Sebastian Gall)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Der Osten - Entdecke wo du lebst | 14. Januar 2025 | 10:00 Uhr

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