Fragen und Antworten "Du outest dich bei jeder Person" – Der Alltag transgeschlechtlicher Menschen in Halle
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28. März 2020, 17:27 Uhr
Bei Geburt wird ein Geschlecht zugeordnet – und das bestimmt eine Rolle im Leben. Für einige passt aber diese Zuordnung nicht. Deswegen müssen sie gegen Vorurteile und Diskriminierung kämpfen. Für MDR Sachsen-Anhalt hat sich Denise Stell mit Menschen in Halle getroffen, die täglich den gesellschaftlichen Widerstand erfahren, weil sie nicht im zugewiesenen Geschlecht leben. Ein Gastbeitrag.
Inhalt des Artikels:
Ob sich jemand als Frau oder Mann fühlt oder überhaupt keinem Geschlecht zuordnen möchte, ist nicht so selbstverständlich, wie man meinen könnte. Viele Menschen fühlen sich einem anderen Geschlecht zugehörig, als ihnen nach der Geburt eingetragen wurde – oder auch gar keinem.
Damit haben viele von ihnen im täglichen Leben Probleme – zum Beispiel mit welchem Namen sie auf der Arbeit oder in der Universität angesprochen werden oder welche Toilette sie benutzen können. Auch in Halle leben Menschen, die diese Erfahrungen teilen.
Das bedeutet trans* und Transgeschlechtlichkeit
Geschlecht wird auf unterschiedlichen Ebenen definiert: Der Deutsche Ethikrat beschreibt neben dem biologischen ein psychisches und soziales Geschlecht.
Das Wort "trans" kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "darüber hinaus" oder "jenseits von". Trans* oder Transgeschlechtlichkeit drückt daher aus, dass manche Personen sich nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren. Manche lehnen auch ab, dass es lediglich zwei Geschlechter – weiblich und männlich – gibt.
Das Sternchen nach dem Wort "trans*" (man spricht: trans-Sternchen) steht dabei für einen Platzhalter – um eine Vielfalt von möglichen Endungen anzudeuten (siehe: Glossar des Beratungsvereins Trans Inter Queer).
Wenn man von trans* oder Transgeschlechtlichkeit spricht, schließt das unter anderem Transidentität und Transsexualität (im Sinne des englischen Wortes "Sex" für biologisches Geschlecht) ein. Damit soll die Vielfalt transgeschlechtlicher und anderer nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechenden Geschlechtsidentitäten, Selbstbezeichnungen und Lebensentwürfe abgebildet werden.
Darüber hinaus entscheiden sich einige trans* Personen zu einer sogenannten medizinischen Transition. Dies bedeutet, dass sie neben der Identifikation mit dem anderen Geschlecht ebenso eine Geschlechtsangleichung mittels Hormonen und/oder geschlechtsangleichender Operationen vollziehen lassen.
Um zu verstehen, wo und wie in diesem Zusammenhang gesellschaftliche Benachteiligungen erlebt werden, erzählen transgeschlechtliche Menschen von ihren Erfahrungen. Außerdem berichten Mitarbeiter von Vereinen, die über dieses Thema aufklären und sich um die Bedürfnisse von transgeschlechtlichen Personen kümmern, über ihre Angebote.
Wie werden trans* Menschen im Alltag diskriminiert?
Elna Maria Rackwitz arbeitet im Begegnungs- und Beratungszentrum Lebensart (BBZ) in Halle. Sie ist im Hauptberuf Krankenschwester und arbeitet im Beratungszentrum als ausgebildete Beraterin für alle Themen rund um Transgeschlechtlichkeit.
Sie erzählt von den alltäglichen Diskriminierungen – Blicke, Sprüche und Übergriffe auf offener Straße und die Anfeindungen, die darüber hinausgehen. Dies könne schon durch negative Erfahrungen nach dem "Outing" passieren und auch in psychischen Krankheiten wie Depressionen oder Borderline enden. Aber auch die fehlende gesellschaftliche Akzeptanz könne zu immensen Belastungen führen.
Transgeschlechtlichkeit als psychische Störung eingeordnet
Nach der internationalen Klassifikation der Krankheiten der Weltgesundheitsorganisation (ICD-10) galt bis Mai 2019 Transgeschlechtlichkeit als Störung der Geschlechtsidentität. Trans*personen werden damit als psychisch gestört stigmatisiert, so ein Wissenschaftler, der in der Arbeitsgruppe für die Klassifizierung sexueller Störungen und sexueller Gesundheit mitarbeitet.
Erst in der neuen Fassung der Klassifikation, die 2022 in Kraft tritt, ist Transsexualität von der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen worden.
Als Beispiel berichtet Rackwitz von einer Transfrau aus Halle, die eine anonyme Morddrohung auf ihrer Wohnungstür stehen hatte. Zudem wurde der gleichen Frau von einem Mann persönlich mit dem Tod gedroht. "Leute trauen sich mehr, radikaler zu werden gegenüber Minderheiten", fügt die Beraterin hinzu. Die Dunkelziffer solcher Anfeindungen sei weitaus höher, da viele diese aus Angst gar nicht erst anzeigen würden.
Mit welchen bürokratischen Hürden sind trans* Menschen konfrontiert?
"Outet" man sich als transgeschlechtliche Person und möchte in Folge dessen seinen Namen und Geschlechtseintrag amtlich ändern lassen, erschwert die Gesetzeslage diesen Vorgang. Gründe dafür können komplizierte bürokratische Prozesse, die damit entstehenden Kosten und die oftmals daraus entstehenden psychischen Belastungen sein.
Eine Namens- und Personenstandsänderung ist in dem 1981 in Kraft getretenen Transsexuellen-Gesetz (TSG) geregelt. Dieses war vom Bundesverfassungsgericht 2008 (1 BvL 10/05) teilweise als verfassungswidrig eingestuft worden, weil es sich auf die Persönlichkeitsrechte transgeschlechtlicher Personen auswirke.
So funktioniert die Namens- und Personenstandsänderung
Um seinen Namen und Personenstand ändern zu lassen, muss eine transgeschlechtliche Person laut Transsexuellengesetz (TSG) zunächst zwei Gutachten von Sachverständigen einholen. Diese entscheiden unabhängig voneinander darüber, ob das Zugehörigkeitsempfinden der Antragstellenden zum anderen Geschlecht ein voraussichtlich permanenter Zustand ist. Diese Gutachten werden dann einem Gericht vorgelegt, welches darüber entscheidet, ob dem Antrag stattgegeben wird.
Das Transsexuellengesetz gilt als umstritten, da es transgeschlechtlichen Menschen die Selbstbestimmung aberkennt, selbst über die Auslebung ihrer Geschlechtsidentität zu entscheiden. Zudem ist die Namen- und Personenstandsänderung durch die meist selbst zu tragenden, hohen Kosten im vierstelligen Bereich und das psychisch belastende, monatelange Verfahren für viele nicht möglich. Folglich müssen sich viele trans* Menschen mit ihrem alten Namen auf sämtlichen Dokumenten ausweisen, was zu Problemen und nicht zuletzt diskriminierenden Situationen im Alltag führt.
Seit dem Ende 2018 gibt es die Möglichkeit in seinen Personalausweis die Geschlechtsmerkmale männlich, weiblich, divers oder ohne Angabe eintragen zu lassen (§ 22 Absatz 3 PStG und § 45b PStG). Dies gilt aber nur für intergeschlechtliche Menschen. Das heißt für diejenigen Menschen, deren Körper nicht eindeutig männliche oder weibliche Geschlechtsmerkmale aufweisen. Für transgeschlechtliche Menschen gilt dieses Gesetz nach Auffassung des Bundesinnenministeriums nicht, da diese ein eindeutig biologisches Geschlecht haben.
Die Rechtsprechung zu den Paragrafen wird am Bundesgerichtshof verhandelt.
Von den Alltags-Belastungen können auch Alma, Nathan und Zohar erzählen. Sie engagieren sich als trans* Menschen in einem offenen Arbeitskreis an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU). Die Treffen haben das Ziel bessere Studien- und Arbeitsbedingungen von transgeschlechtlichen Personen zu thematisieren. "Mir fällt keine Ebene ein, wo das mitgedacht wird oder wo ich das Gefühl habe, da findet keine Diskriminierung statt", erzählt Alma.
Mir fällt keine Ebene ein, wo ich das Gefühl habe, da findet keine Diskriminierung statt
Möchte man beispielsweise eine Namens- und Personenstandsänderung an der Universität beantragen, sei dies nicht so einfach, berichten sie. Zwar erleichterte die MLU im Sommer 2019 bereits die Regelungen zur Namensänderung – laut Universität als eine von wenigen bundesweit. Jedoch sei das Verfahren aufgrund der schwierigen gesetzlichen Bestimmungen immer noch für viele Studierende nicht umsetzbar.
Namensänderung an der MLU
Früher war eine Namens- und Personenstandsänderung von trans* Studierenden der Martin-Luther Universität nur möglich, wenn die amtliche Namensänderung nach dem Transsexuellengesetz bereits abgeschlossen war. Seit dem 12. Juni 2019 ist die Namens- und Personenstandsänderung bereits möglich, wenn der Antrag beim Gericht lediglich gestellt wurde. Zudem müssen ein spezieller Ergänzungsausweis der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität und eine schriftliche Erklärung der Studierenden vorgelegt werden.
Welche Alltagserfahrungen machen trans* Menschen – zum Beispiel im Studium?
Studierende Alma berichtet, wie belastend es sei, wenn man als trans* Person seinen Namen und Personenstand nicht in universitätsinternen Portalen und auf universitären Dokumenten ändern kann. Sie müsse vor jedem Semester ihren Dozentinnen und Dozenten eine E-Mail schreiben, in der sie erklärt, dass der Name im Portal falsch eingetragen sei. Dies bedeute einen großen emotionalen Aufwand, der verhindert werden könnte, so Alma. Nathan fügt hinzu: "Du outest dich halt bei jeder Person. Egal, ob jetzt Studierende oder Dozierende – du outest dich automatisch bei jeder. Wenn du Bahn fährst, outest du dich auch." Neben diesem Zwangsouting fehle oft auch die Aufklärung und Sensibilisierung seitens der Universität. Dies führe zu diskriminierenden Aussagen und Verhaltensweisen gegenüber trans* Studierenden – in der Bibliothek, in der Mensa, im Immatrikulationsamt und auf dem Campus.
Du outest dich halt bei jeder Person.
Hinzu kommen triviale Dinge wie der Gang zur Toilette, die zum Problem werden. Unisextoiletten wären eine Lösung, sind jedoch an der Universität nicht aufzufinden. Lediglich in den Franckeschen Stiftungen, wo auch Institute der Uni untergebracht sind, gäbe es ein paar Toiletten, die barrierearm und nicht geschlechtertrennend seien.
Insgesamt wünschen sich Alma, Nathan und Zohar mehr Unterstützung seitens der Universität. "Es könnte so viele Sachen erleichtern, wenn ich wenigstens ein Dokument hätte, wo mein richtiger Name drauf steht – weil das mit dem Personalausweis schon so schwierig ist", fügt Alma hinzu.
Das tut die Universität in Halle für trans* Studierende
Die Universität nehme die Bedürfnisse der trans* Studierenden ernst, das sagte Manuela Bank-Zillmann, Pressesprecherin der MLU. So habe man 2019 eine, direkt beim Rektor der Universität angebundene Stabsstelle für Vielfalt und Chancengleichheit eingesetzt. Dort arbeitet auch die Projektkoordinatorin der Präventionsstelle Diskriminierung und sexuelle Belästigung, Sabine Wöller.
Sie sagte auf die Frage, wie trans* Studierenden von Seiten der Universität konkret geholfen werde, dass sich die Universität bundesweit mit anderen Universitäten über die Möglichkeiten einer weiteren Vereinfachung der Namens- und Personenstandsänderung austausche. Dies sei jedoch aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht so einfach umzusetzen, ergänzt Bank-Zillmann. Außerdem führe man gerade Gespräche, ob die Einrichtung von genderneutralen Toiletten infrastrukturell umzusetzen sei, so Wöller.
Falls Probleme mit Lehrenden oder durch Diskriminierungsvorfälle entstehen, solle man immer die Präventionsstelle aufsuchen, so Wöller. Dort finde man Unterstützung und es werde versucht, für alles eine individuelle Lösung zu finden.
Welche Beratungs- und Aufklärungsangebote gibt es?
Wie wichtig es ist, Menschen zu unterstützen, die diskriminierende Erfahrungen erleben, berichtet Ants Kiel vom Begegnungs- und Beratungszentrum Lebensart (BBZ) in Halle. Kiel ist Koordinator der Landesregierung für Gleichstellungsfragen hinsichtlich der geschlechtlich-sexuellen Identität im Bereich Sachsen-Anhalt Süd. Viele Menschen, auch aus anderen Regionen Sachsen-Anhalts, und teilweise auch aus Niedersachen würden das Beratungsangebot nutzen.
In den Beratungen gehe es um die psychischen Belastungen und teils traumatischen Erfahrungen, die durch das persönliche Umfeld, die bürokratischen Hürden oder medizinischen Verfahren ausgelöst werden, so Kiel. Ebenso können sich Familie und Partner und Partnerinnen hierhin wenden.
Genauso wichtig sei die Bildungsarbeit, um mehr Anerkennung in Bezug auf geschlechtliche Vielfalt zu erreichen. Dabei sei die möglichst frühe Aufklärung über das Thema eine wichtige Aufgabe.
Der Verein BBZ und Dornrosa
Das BBZ Lebensart kümmert sich um die Bedürfnisse von trans* Personen in Halle und bietet Beratungen an – entweder in Einzelberatung oder in einer Gruppe des Vereins. Beispielsweise können sich Jugendliche und junge Erwachsene in einer Jugendgruppe austauschen.
Auf der Webseite des Vereins findet man außerdem eine Adressenübersicht mit Gutachterinnen und Gutachtern, psychotherapeutischen und medizinischen Praxen, die sich auf trans* Menschen spezialisiert haben.
Ein weiterer Verein, der sich um trans* Personen kümmert, ist das Frauenzentrum Dornrosa in Halle. Der Verein hat das Ziel die Gleichstellung von Mann und Frau zu fördern und ist als Träger der Jugendhilfe anerkannt. In speziellen Projekten können sich aber auch trans* Personen vernetzen, austauschen und gemeinsam engagieren.
Im Kindesalter über das Thema Transgeschlechtlichkeit aufzuklären und Erwachsene zu sensibilisieren, ist auch ein Anliegen von Elke Prinz, Leiterin des Vereins Dornrosa aus Halle. "Da gibt es so eine ungeheure Menge an Vorurteilen", so Prinz.
Was muss in der Gesellschaft getan werden?
Am Ende der Gespräche wird klar: Die gesetzlichen Regelungen und bürokratischen Auflagen müssen vereinfacht oder gänzlich aufgehoben werden– sowohl auf staatlicher als auch auf institutioneller Ebene. Dafür müsse auch in der Politik und den Medien mehr getan werden.
Zudem sollen Ämter, Krankenkassen, Schulen und die Gesellschaft richtig aufgeklärt und sensibilisiert werden, damit Diskriminierungen gar nicht erst entstehen. Transgeschlechtlichkeit dürfe nicht mehr als Krankheit aufgefasst werden, sondern müsse als normale Geschlechtsidentität angesehen werden. Elke Prinz fügt hinzu: "Ich weiß nicht, wie viele Jahre diese Gesellschaft noch braucht, um trans* Menschen wirklich als Normalität anzusehen."
Über die Autorin Denise Stell, 24 Jahre alt, hat im Bachelor Medienwissenschaften im beschaulichen Paderborn studiert. Nach Zwischenstationen im Ausland und in andere Städte hat es sie für ihren journalistischen Wunsch-Master Multimedia und Autorschaft nach Halle verschlagen. Im Journalismus interessiert Denise sich vor allem für gesellschaftskritische Themen und Menschen mit interessanten Geschichten, die Leser*innen zum Nachdenken anregen.
Quelle: MDR/mp
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