Gewalt gegen Rettungskräfte Sanitäterin im Rettungsdienst: "Im Einsatz wird man täglich verbal angegriffen"
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29. Januar 2023, 16:15 Uhr
Immer wieder werden Rettungskräfte in Sachsen-Anhalt Opfer von Übergriffen, und das nicht nur zu Silvester. Laut Zahlen des Landeskriminalamts ist die Zahl der Gewalttaten zuletzt gestiegen. Für die betroffenen Einsatzkräfte bedeutet das im Berufsalltag vor allem eins: wachsam sein. Doch manchmal reicht selbst das nicht. Eine Rettungssanitäterin aus Lutherstadt Wittenberg kennt das Problem nur zur gut.
- 2021 wurden in Sachsen-Anhalt 90 Angriffe auf Rettungskräfte gezählt, elf davon auf Feuerwehrleute. Deutschlandweit liegt Sachsen-Anhalt damit im Mittelfeld.
- Besonders häufig erleben Rettungskräfte verbale Gewalt. Dokumentiert werden diese Fälle allerdings selten.
- Auch bei körperlichen Gewalt-Angriffen bleibt die strafrechtliche Verfolgung ein Problem.
Manchmal kann schon eine Berührung ausreichen und eine Situation eskaliert. Das erzählt Katrin Peuckert. Die 42-Jährige ist Rettungssanitäterin bei den Johannitern in Lutherstadt Wittenberg und übt ihren Beruf mit voller Leidenschaft aus. Selbst, nachdem sie bei einem Einsatz angegriffen wurde, hat sie niemals gedacht aufzuhören, sagt sie. "Der Job ist mein Leben."
Trotzdem will Katrin Peuckert nicht beschönigen, dass es regelmäßig extreme Situationen gibt. "Im Einsatz wird man täglich verbal angegriffen", erzählt sie. Fälle von körperlicher Gewalt seien dagegen selten. Aber es gibt sie. Als Peuckert einmal zu einer bewusstlosen Person auf der Straße gerufen wird, rechnet sie nicht mit einer Eskalation. Als der Patient dann für die Behandlung im Rettungswagen auf die Trage gelegt werden soll, springt er auf einmal auf. "Er hat uns verbal und körperlich attackiert, mit Schlägen und Tritten", erinnert sich Peuckert. Der Fluchtweg zum Rettungswagen war versperrt und mit Worten habe sich der Mann nicht beruhigen lassen. "Wir haben die Polizei über Funk informiert. Die brauchte aber leider etwas länger." Umstehende Passanten helfen schließlich dabei, die Situation unter Kontrolle zu bringen, bis der Patient in Gewahrsam genommen werden konnte. Zwei Jahre ist das nun her.
Jugendgewalt – Thema bei FAKT IST! aus Magdeburg
Was tun gegen Jugendgewalt? Dieser Frage widmet sich auch der MDR-Polit-Talk FAKT IST! aus Magdeburg. In der Sendung am 30. Januar 2023 diskutieren unter anderem der Direktor der Landespolizei in Sachsen-Anhalt, Mario Schwan, die CDU-Landtagsabgeordnete aus Halle, Kerstin Godenrath, der Magdeburger Psychiater Prof. Bernhard Bogerts und die Professorin für Kinder- und Jugendrecht, Theresia Höynck. Die Sendung wird am 30. Januar, ab 20:30 Uhr bei mdr.de gestreamt und ist um 22:10 Uhr im MDR-Fernsehen zu sehen.
2021: 90 Angriffe auf Rettungskräfte in Sachsen-Anhalt
Peuckerts Geschichte ist kein Einzelfall. Allein zu Silvester gab es in Sachsen-Anhalt sechs Übergriffe auf Rettungs- und Einsatzkräfte. Im Landkreis Anhalt-Bitterfeld bewarf eine Gruppe Jugendlicher einen Rettungswagen mit Böllern. Sie landeten auf dem Dach des Fahrzeugs und auch im Innenraum. Verletzt wurde niemand, doch Wagen und Team waren in der Nacht nicht mehr einsatzfähig. Nur wenige Tage zuvor wurde in Wernigerode ein Notarzt im Einsatz angegriffen. Er trug eine gebrochene Nase und eine Gehirnerschütterung davon.
Insgesamt 90 Angriffe auf Rettungskräfte gab es im Jahr 2021. Das geht aus Zahlen des Landeskriminalamts hervor. Auch in den Vorjahren davor zeichnet sich ein ähnliches Bild ab, die Fälle stiegen besonders zwischen 2018 und 2020 an. Am häufigsten kam es demnach zu tätlichen Angriffen, Widerstand, leichter Körperverletzung und Bedrohungen. Deutschlandweit liegt Sachsen-Anhalt bei der Häufigkeit der registrierten Gewalttaten im Mittelfeld, zeigt eine Datenerhebung des Bundeskriminalamts.
Dank Vor-Erfahrung in der Bundeswehr konnte sich Katrin Peuckert bei dem Angriff auf sie selbst verteidigen. Trotzdem fragte sie sich hinterher, ob sie in der Situation richtig gehandelt habe. "Reden ist dann ganz wichtig", meint sie mit dem Wach-Leiter und den Kollegen. Die Möglichkeit, professionelle psychologische Betreuung in Anspruch zu nehmen, haben die Rettungskräfte ebenfalls. Präventiv gegen Übergriffe vorgehen, könne man jedoch nicht. Oft stecke auch ein Krankheitsbild des jeweiligen Patienten dahinter, sagt die Rettungssanitäterin. Deshalb müsse man vor allem in der Situation richtig reagieren, so Peuckert. Das bedeute, das Umfeld genau im Blick haben, Abstand wahren und zur Not auch mit dem Einsatz-Rucksack zu agieren, ihn vor den Körper nehmen.
Physische Angriffe auf Einsatzkräfte seien im Alltag der Johanniter-Unfall-Hilfe zum Glück aber nur die Ausnahme, erklärt Carsten Grimme vom Johanniter Landesverband Sachsen-Anhalt/Thüringen. Dennoch, sagt er, sei der gesellschaftliche Umgangston oftmals fordernd und rau, was die Belastung der Rettungskräfte zusätzlich zur Einsatz-Situation steigert.
Gewalt geht oft von den Patienten selbst aus
Das spiegelt sich auch in einer bundesweiten nicht repräsentativen Umfrage des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) wider, die 2021 vorgestellt wurde. Demnach berichten die befragten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter pro Jahr von mindestens einer Gewalt-Erfahrung im Einsatz. Verbale Übergriffe kommen am häufigsten vor. Beleidigungen oder Beschimpfungen erlebt jeder Fünfte sogar mindestens ein- bis zweimal pro Woche. Etwa ein Drittel beschreibt sowohl verbale als auch körperliche Übergriffe. Ausschließlich tätliche Übergriffe werden von rund 14 Prozent genannt. Die Täter sind in drei Viertel der Fälle die Patienten selbst.
Das bestätigt auch Carsten Grimme von den Johannitern. "Im rettungsdienstlichen Alltag gehen verbale Entgleisungen und tätliche Angriffe in der Regel von Patienten oder deren Angehörigen aus", sagt er. Anders sei es jedoch bei den Übergriffen zu Silvester. Die bisher nie da gewesene Welle der Gewalt gegen Rettungspersonal in der Silvesternacht stehe in den meisten Fällen nicht in direktem Zusammenhang mit medizinischen Notfällen. Sie gingen oftmals von nicht am Einsatz beteiligten Dritten aus.
Strafrechtliche Verfolgung bleibt schwierig
Auf Angriffe gegen Rettungskräfte steht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Das halte viele jedoch nicht von der Begehung der Taten ab, sagt Grimme. Die Herausforderung sei vor allem, die Täter zu identifizieren. "Harte Strafen bringen nichts, wenn die völlig ausgelastete Polizei der Angreifer nicht habhaft und der Tatbeweis nicht geführt werden kann. Dringender als eine Verschärfung der Strafen bräuchte es eine Aufwertung der Tätigkeit der Polizei, der Feuerwehr und des Rettungsdienstes", so Grimme. Dies können einerseits durch Bildungsarbeit und öffentlichkeitswirksame Kampagnen, aber auch durch dringend notwendige Investitionen in die Strukturen erreicht werden.
Harte Strafen bringen nichts, wenn die völlig ausgelastete Polizei der Angreifer nicht habhaft und der Tatbeweis nicht geführt werden kann.
Aufgrund fehlender Tatverdächtiger sah man auch bei dem Böller-Angriff in Bitterfeld-Wolfen von einer Anzeige ab. Kosten und Nutzen würden sich hier nicht die Waage halten, erklärt Enrico Lemm, Leiter des DRK-Rettungsdienstes der Region. Auch hier sei das Problem keineswegs neu. Angriffe gegen Einsatzkräfte gebe es seit Jahren. Durch gestiegene Übergriffe durch Crystal-Meth-Konsum erhalten die Rettungskräfte hier seit 2019 alle zwei Jahre eine Deeskalations-Schulung. Sie lernen Ausweich-Taktiken und wie die Situation durch gezielte Körpersprache und Kommunikation kontrolliert werden kann – aber auch, wann man sich zurückhalten sollte.
Auch Katrin Peuckert weiß, wie wichtig die Deeskalation einer Situation ist. "Man muss dann testen, ob man eher freundlich oder bestimmt vorgehen muss", sagt sie. Manchmal würden Patienten auch nur etwas falsch verstehen oder hätten in der Vergangenheit bereits schlechte Erfahrungen gemacht.
Den tätlichen Angriff während ihres Einsatzes hat sie zusammen mit ihrer Rettungsstelle zur Anzeige gebracht. Auch heute, zwei Jahre später, läuft das Verfahren noch. Passiert ist aber bisher nichts, sagt sie.
Über Sarah-Maria Köpf
Sarah-Maria Köpf arbeitet seit Mai 2021 für MDR SACHSEN-ANHALT. Sie ist in Leipzig aufgewachsen und hat dort Kommunikations- und Medienwissenschaft studiert, bevor es sie für den Master in "Multimedia & Autorschaft" nach Halle zog.
Neben dem Studium arbeitete sie für den Radiosender Mephisto 97.6, die Leipziger Volkszeitung und das Grazia Magazin. Ihr Schwerpunkt liegt im Bereich Social Media.
Über Engin Haupt
Engin Haupt arbeitet seit Februar 2021 im Politikressort von MDR SACHSEN-ANHALT. Geboren und aufgewachsen in Rheinland-Pfalz, hat ihn das Journalismus-Studium nach Magdeburg gebracht.
In seiner Freizeit spielt der 23-Jährige unter anderem American Football und kommentiert die Fußballspiele des 1. FC Magdeburg für blinde Menschen.
MDR (Sarah-Maria Köpf, Engin Haupt)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN ANHALT HEUTE | 29. Januar 2023 | 19:00 Uhr
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