Neue Zuchtmethoden Gentechnik auf dem Vormarsch: Diskurs bei Landwirten in Sachsen-Anhalt
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28. Juli 2023, 19:05 Uhr
In Sachsen-Anhalt könnte Gentechnik künftig leichter in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Die gehört mit einem jährlichen Umsatz von rund 57 Milliarden Euro (im Jahr 2020) zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen des Landes. Doch der Einsatz der neuen Methoden ist umstritten. Risiken, Chancen und Ungeklärtes zur neuen Technik
- Gentechnik könnte in Sachsen-Anhalt bald vermehrt eingesetzt werden. Die neue Technik bietet große Möglichkeiten in der Pflanzenzucht, wird aber stark diskutiert.
- Während die Biobranche die Vorstöße kritisiert, begrüßt der Landesbauernverband die neue Technik.
- Sachsen-Anhalt ist weltweit ein wichtiger Standort für die Pflanzenforschung und -züchtung. Dies könnte auch im Bezug auf den Klimawandel eine Rolle spielen.
In Sachsen-Anhalt könnte Gentechnik künftig deutlich leichter in der Landwirtschaft eingesetzt werden. Eine EU-Kommission hat kürzlich einen entsprechenden Vorschlag auf den Weg gebracht. Viele gentechnisch veränderte Lebens- und Futtermittel könnten demnach künftig einfacher erforscht und ohne spezielle Kennzeichnung verkauft werden. Der Einsatz von Gentechnik ist stark umstritten. Auch in Sachsen-Anhalt gibt es einen Diskurs über Gefahren und Chancen der Technik.
Pflanzenzucht "Nordsaat" sieht Chance in Gentechnik
Fährt man Halberstadt die B 81 in Richtung Heimburg, kommt man rechter Hand an einem Schornstein vorbei mit dem großen Schild "Nordsaat". Das mittelständische Unternehmen gehört zu den rund 60 Firmen, die sich in Deutschland mit Pflanzenzucht beschäftigen. Sie bilden die Grundlage dafür, dass auf den Äckern auch bei nicht so guten Bedingungen möglichst viel wächst. Pflanzenzüchter brauchen viel Geduld, denn es dauert 10 bis 14 Jahre, bevor eine neue Sorte auf den Markt kommt.
Das hat auch etwas mit der Biologie zu tun, sagt Alexis von Rhade, geschäftsführender Gesellschafter bei Nordsaat: "Wir arbeiten unter freiem Himmel. Wir müssen uns nach dem Vegetationsprozess richten. Also sind wir weitestgehend an Wetter, Witterung und Klima gebunden. Und daraus wickelt sich eben auch der lange Prozess."
Denn den Erfolg einer Züchtung sieht man erst, wenn die Pflanze geerntet werden kann. Diesen Prozess kann man jedoch Hilfe von Gentechnik beschleunigen. Crispr Cas nennt sich das Verfahren, mit welchem es möglich ist, zielgerichtet bestimmte Gene an- oder abzuschalten. Für Alexis von Rhade ist das durchaus eine interessante Technologie: "Wir können unsere Ziele schneller erreichen. Gerade mit Blick auf die Veränderung in der Umwelt, beim Einsparen von Pflanzenschutz oder Dünger können neue Technologien eine Unterstützung sein."
Zwei Arten der Gentechnik
Mit der Trans-Gentechnik werden Gene übertragen und Sorten erzeugt, die mit der klassischen Züchtung nicht entstehen können, weil die Gene aus artfremden Lebewesen stammen.
Mit der Crispr Cas-Gentechnik, der sogenannten Genschere, werden nur arteigene Gene übertragen oder deaktiviert. Das Ergebnis wäre auch mit klassischer Züchtung erreichbar, ist aber dann teurer, unpräziser und dauert erheblich länger. Über diese Methode diskutieren gerade verschiedene Beteiligte.
Kritik von der Biobranche
Dirk Werner teilt diese Auffassung des Züchters Alexis von Rhade ausdrücklich nicht. Er ist Sprecher des agrarpolitischen Arbeitskreises Ökolandbau in Sachsen-Anhalt. Für ihn bleiben die neuen Züchtungsmethoden ein unangemessener Eingriff in die Natur: "Nach den Plänen kann man bis zu 20 Stellen des Genoms verändern, um gewünschte Eigenschaften erzeugen. Und meines Wissens ist die Risikoprüfung für diese Maßnahmen deutlich eingeschränkt." Wenn dann auch noch die Kennzeichnungspflicht wegfiele, habe der Verbraucher keine Wahlmöglichkeit mehr. Allerdings könnte der Verbraucher dann auf Bioprodukte umschwenken, denn die EU-Regelung sieht vor, dass Bio-Landwirtschaft weiterhin auf Gentechnik auf den Äckern verzichtet.
Dirk Werner findet diese Entscheidung richtig: "Vom Grundsatz her widerspricht die Agro-Gentechnik den Prinzipien des Ökolandbaus. Sicherlich könnte uns das einen Wettbewerbsvorteil bringen, aber auf den können wir gerne verzichten." Denn aus seiner Sicht stellt sich die Frage, wie verhindert werden kann, dass Samen gentechnischer veränderter Pflanzen ihren Weg auf Flächen von Biolandwirten finden.
Landesbauernverband ist für neue Züchtungsmethoden
Sven Borchert ist Vizepräsident des Landesbauernverbandes und Chef der Landwirtschaftlichen Betriebsgemeinschaft Groß Germersleben. Dass er auf Technologie in der Landwirtschaft setzt, sieht man schon am Fuhrpark. In den Treckern und Erntemaschinen ist viel Technologie verbaut. So wundert es auch nicht, dass Borchert die Pläne der EU zur Bewertung neuer Züchtungsverfahren begrüßt: "Wir alle reden jeden Tag über Klimawandel, über Wetterveränderungen. Wir reden über Trockenheit, über Wassermangel. Und genau da werden uns die neuen Methoden der Züchtung helfen können."
Allerdings entscheidet über den Erfolg letztendlich der Verbraucher. Und deshalb sieht Sven Borchert einen erheblichen Kommunikationsbedarf bei diesem Thema. "Dass viele Verbraucher kritisch auf die Gentechnik blicken, liegt aus meiner Sicht auch daran, dass viele Bürger gar nicht genau wissen, was da eigentlich in den Pflanzen passiert. Da ist noch viel Aufklärung nötig."
Problem des Patentschutzes
In einer Frage allerdings gibt es eine große Einigkeit in Sachsen-Anhalt und zwar bei der Rolle der Großkonzerne. Es gibt die Befürchtung, dass vor allem die international agierenden Agrarmultis die neuen Technologien nutzen, um ihre Vormachtstellung auszubauen, indem zum Beispiel gezielte Veränderungen an Pflanzen patentiert werden. Sven Borchert vom Bauernverband sieht darin durchaus ein Risiko: "Wir möchten den Patentschutz in der Landwirtschaft verhindern, damit die Züchtung nicht nur noch von bestimmten Großkonzernen erfolgt." Dirk Werner vom agrarpolitischen Arbeitskreis Ökolandbau sieht das ähnlich. "Ich befürchte das Entstehen neuer Abhängigkeiten hinter den Kulissen der Lebensmittelwirtschaft. Und da kann man die Gefahr einer Patentierung nicht kleinreden."
Direkt betroffen wäre Alexis von Rhade, geschäftsführender Gesellschafter bei Nordsaat. Denn bislang kann jeder Züchter die Pflanzen anderer Unternehmen nutzen, um diese für bestimmte Anwendungen weiterzuentwickeln. Das wäre dann nicht mehr möglich: "Wenn wir Patente auf Teile einer lebenden Pflanze zulassen, dann bringt das automatisch eine Lizenz mit sich. Das minimiert dann automatisch die Wertschöpfung bei den mittelständischen Pflanzenzüchtern. Und damit ist die Wirtschaftlichkeit von vielen Unternehmen nicht mehr gegeben.“
Eine Marktbereinigung wäre die Folge, was dann auch Folgen für die Artenvielfalt hätte, erklärt Züchter von Rhade: "Wenn wir einen Großteil der mittelständischen Pflanzenzüchtung verlieren würden, ginge auch diese genetische Vielfalt verloren."
Sachsen-Anhalt international ein wichtiger Standort
Damit die Züchter zielgerichtet Gene verändern können, ist es wichtig, dass sie den Schaltplan der Pflanze kennen, wissenschaftlich gesprochen, das Genom. Die Fachleute für dieses Thema finden sich in Gatersleben im Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK). Und dort ist man seit vielen Jahren darauf spezialisiert, das Genom von Pflanzen zu erforschen.
Professor Nicolaus von Wirén ist Agrarbiologe und beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Pflanzen ihren Genen. Er ist von der Wirksamkeit der neuen Züchtungsmethoden überzeugt: "Der große Vorteil ist die Genauigkeit, Das heißt, wir können das Gen heraussuchen, das verändert werden soll. Und insofern ist die Methode viel zielgenauer und damit natürlich auch viel effizienter."
Für den Forscher steht fest, dass möglichst rasch die neuen Züchtungsmethoden in die Landwirtschaft Einzug halten sollten. Es gebe schon Tomatensorten, die mit deutlich weniger Wasser auskommen würden, bislang aber nur als Laborvariante. Die Vorbehalte gegen solche Technologien könne er verstehen, setzt aber erklärend hinzu: "Es geht hier um geringfügige Änderungen im Genom, die eben auch so in der Natur passieren können."
Neue Gentechnik für nachhaltige Landwirtschaft?
Mit Blick auf den Klimawandel und das weitere Anwachsen der Weltbevölkerung glaube die Befürworter starke Argumente auf ihrer Seite zu haben. Andererseits sind die Erfahrungen anderswo mit gentechnisch veränderten Pflanzen durchwachsen. So zum Beispiel wurden Sorten mit einer Herbizid-Resistenz auf den Markt gebracht. So konnten die Landwirte große Mengen beispielweise von Glyphosat auf die Äcker bringen, ohne die Ernte zu gefährden – ein gutes Geschäft für die Konzerne, ein schlechtes für die Umwelt. Diese Form der Genveränderung soll in der EU weiterhin verboten bleiben.
Professor Nicolaus von Wirén begrüßt diese Entscheidung: "Diese Art der Landwirtschaft wollen wir nicht mehr, weil sie nicht nachhaltig ist. Jetzt aber geht es angesichts der Herausforderungen auch um Nachhaltigkeit. Also Pflanzen auf natürlichem Weg resistent zu machen gegen Dürre, Nährstoffmangel oder Krankheiten." Die einzelnen EU-Länder müssen nun dem EU-Vorschlag noch zustimmen. Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat sich noch nicht festgelegt, während sein grüne Amtskollegin im Umweltressort, Steffi Lemke, die Brüsseler Pläne ablehnt. Der Riss zieht sich durch die ganze Partei, es dürften also spannende Debatten zu erwarten sein.
MDR (Uli Wittstock, Leonard Schubert)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 31. Juli 2023 | 10:00 Uhr
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