Kommentar Ist das dieses #moderndenken, von dem alle reden?
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16. August 2023, 17:00 Uhr
Genderstern, Doppelpunkt und Unterstrich in Schulen – ja oder nein? Nach Sachsen hat jetzt auch Sachsen-Anhalt zum Start des neuen Schuljahres ein Genderzeichen-Verbot für den Unterricht ausgesprochen. Unsere Autorin findet das übergriffig und aus der Zeit gefallen. Ein Kommentar.
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- Unsere Autorin meint: Im Unterricht können Genderzeichen eine Chance sein, über gesellschaftliche Ungleichheit ins Gespräch zu kommen.
- In den meisten Bundesländern werden Genderzeichen an Schulen schriftlich nicht offiziell verwendet, allerdings gilt die Verwendung nicht als Fehler.
- Ob und in welchem Maße Genderzeichen geahndet werden, sollen die Lehrkräfte künftig selbst entscheiden. Die Verantwortung wird damit auch auf sie abgewälzt.
- Statt gelassen damit umzugehen, wird das Thema mit dem Verbot künstlich verkompliziert und politisch aufgeladen.
An Sachsen-Anhalts Schulen sind Genderzeichen künftig verboten. Formen wie "Bäcker*in", "Lehrer:in" und "Sportler_in" werden mit Start des neuen Schuljahres als Normverstöße gewertet. Das soll für den Unterricht und offizielle Schreiben der Schulen gelten. Und es wirkt im Jahr 2023 leider schrecklich rückschrittlich.
Gendern gehört für viele längst zur Alltagssprache – und, nicht zuletzt durch Social Media, zur Lebenswelt vieler Jugendlicher. Die kleinen Zeichen spiegeln die Auseinandersetzung mit den großen gesellschaftlichen Fragen: Warum soll ich als Frau nur "mitgemeint" sein und darf nicht mitgenannt werden? Wie beeinflusst es die Zukunft von Mädchen, wenn sie in Schulbüchern immer nur von Astronauten, Ingenieuren und Präsidenten lesen? Wie können wir queere Geschlechtsidentitäten mit einschließen? Queere junge Menschen fallen beim künftig "noch erlaubten" Gendern komplett raus, wenn es für eine Bezeichnung keine geschlechtsneutrale Alternative gibt.
Benachteiligung hinterfragen: Wo, wenn nicht in der Schule?
Im Unterricht können Genderzeichen eine Chance sein, über genau diese gesellschaftlichen Themen und die Vielfalt der Lebenswelten ins Gespräch zu kommen. Im besten Fall könnten sich Schulkinder und Jugendliche dann selbst eine Meinung bilden und die ihnen sinnvoll erscheinende Form anwenden. Oder sich dafür entscheiden, nicht zu gendern. Es scheint jedoch lebensfern, hier ein Verbot aufzuerlegen. Und das ausgerechnet von einer Partei wie der CDU, die anderen Parteien allzu gerne vorwirft, eine gendergerechte Schreibweise aufzuzwingen.
Das Bildungsministerium verweist bei dem Entschluss auf den Rat für Deutsche Rechtschreibung. Im Juli hatte er bestätigt, dass die Genderzeichen nicht als Kernbestand der deutschen Sprache eingestuft werden. Als Sonderzeichen werden sie jedoch toleriert. Vorausgegangen waren kontroverse interne Diskussionen. Die Entwicklung sei noch nicht abgeschlossen, wie der Rat betonte, und werde weiter beobachtet. Warum dann nicht der Rechtschreibung des Amtlichen Regelwerks folgen und Lehrkräften und Jugendlichen beim Gendern gleichzeitig Spielraum einräumen, – so wie es auch elf andere Bundesländer tun?
Blick über den Tellerrand
In Berlin oder Mecklenburg-Vorpommern etwa werden Genderzeichen schriftlich nicht offiziell verwendet, allerdings ist es auch nicht explizit verboten. Sie gelten deshalb nicht als Fehler. So sagte eine Sprecherin der Berliner Senatsverwaltung für Bildung dem RND: "Schülerinnen und Schüler in Berlin lernen beim Schriftspracherwerb die Regeln der Amtlichen Rechtschreibung kennen und werden befähigt, diese sicher anzuwenden. Gendergerechte Schreibweise, die nicht vom Amtlichen Regelwerk anerkannt wird, darf nicht als falsch bewertet werden, wenn sie in sich schlüssig angewendet wird".
Mecklenburg-Vorpommern sieht es als notwendig an, Genderzeichen in der Schule zu thematisieren und die Nutzung "altersgerecht sowie adressaten- und situationsbezogen zu handhaben". Im Saarland und in Bremen ist Gendern sogar erwünscht: Hier ist es in der Schule erlaubt, ein Sonderzeichen im Wortinneren zu verwenden. Einheitlich festgelegt wurde dafür der Doppelpunkt.
Entscheidung wird auf die Lehrkräfte abgewälzt
Zurück nach Sachsen-Anhalt: Bei "schwerwiegenden" und "gehäuften" Verstößen gegen das Genderzeichen-Verbot können hier im Deutsch-Abitur bald bis zu zwei Notenpunkte von der Gesamtleistung abgezogen werden. Ob und in welchem Maße das geahndet wird, sollen die Lehrkräfte selbst entscheiden. Die Verantwortung für einen problembewussten Umgang mit Sprache wird damit also letztlich auf sie abgewälzt. Im Zweifel müssen sie den Jugendlichen erklären, wieso der Genderstern bei einer Lehrkraft zu Punktabzug geführt hat und bei der anderen nicht. Und dann entsprechend auch die Beschwerden so mancher Eltern aushalten, die das zu Recht irritiert. Die daraus entstehenden Spannungen landen am Ende bei den Schulpflichtigen.
Das Genderverbot gilt übrigens nicht für Unterrichtsmaterialien. Schülerinnen und Schüler lesen also Texte, in denen sich Gendersterne, Doppelpunkte und Unterstriche finden, während sie sie selbst nicht verwenden dürfen.
Rückschrittlich ins neue Schuljahr
Genderzeichen verbieten stellt nicht nur einen massiven Einschnitt in den Alltag von Lehrkräften und Schulpflichtigen dar, sondern auch einen bedenklichen Rückschritt, der die Entwicklungen in unserer Gesellschaft gänzlich ignoriert. Statt gelassen damit umzugehen und es den Jugendlichen zu überlassen, ob und wie sie in der Schule gendern möchten, wird das Thema mit dem Verbot künstlich verkompliziert und vielmehr ein politisches Statement in der Debatte um das Gendersternchen gesetzt. Dabei hätte Sachsen-Anhalt in puncto Schule ganz andere Probleme zu lösen. Allen voran den Lehrkräftemangel, über den wir hier so oft berichten.
Anmerkung der Redaktion: Zum Gender-Verbot des Bildungsministeriums erhalten wir seit Dienstagabend Hunderte Kommentare. Um den Austausch zum Thema übersichtlich zu gestalten, ist die Kommentarfunktion unter diesem Text geschlossen. Wir möchten Sie bitten, unter diesem Text zu kommentieren.
MDR (Daniela Schulze)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 16. August 2023 | 09:00 Uhr