Kultur

Ein Mann im grauen Blazer mit glatt gegeltem Haar und Brille hält eine rote Urne in den Händen und blickt in die Kamera 7 min
In "Kalter weißer Mann" werden die Zuschauer zu Gästen einer Trauerfeier. Mehr im Audio: Bildrechte: Markus Scholz

Theaterkritik "Kalter weißer Mann" – ein "Komödienfeuerwerk" übers Gendern

02. Dezember 2024, 18:31 Uhr

Das Theater Eisleben feiert Premiere der Komödie "Kalter weißer Mann" – während im Kino aktuell "Alter weißer Mann" mit Jan Josef Liefers läuft. In beiden geht es um die Gender-Debatte und um die Hürden beim Versuch, politisch korrekt zu sein. Es handelt sich in Eisleben aber nicht um das Stück zum Film, sondern eine ganz eigene Geschichte mit viel Humor aus der Feder von Drehbuchautoren der Satire-Serie "Stromberg". Dafür gibt es eine Theater-Empfehlung von unserem Kritiker.

  • Das Theater Eisleben präsentiert ein neues Stück von den Drehbuchautoren der beliebten Fernsehserie "Stromberg".
  • Die Komödie "Kalter weißer Mann" regt zum Nachdenken über Gender-Konflikte an.
  • Unser Theaterkritiker findet den humorvollen Blick aufs Thema gelungen.

Im Kino läuft "Alter weißer Mann" mit Jan Josef Liefers. In Eisleben steht ein "Kalter weißer Mann" auf dem Spielplan. Ein fast gleichlautender Titel, ein ähnlicher Inhalt. Aber bitte keine voreiligen Schlüsse. Hier wird nicht das Stück zum Film gespielt, sondern eine ganz eigene Geschichte: die von Gernot Steinfels, einem mittelständischen Unternehmer aus der Trikotagen-Branche, Firmenpatriarch von altem Schrot und Korn und mit 94 Jahren aus dem aktiven Berufsleben gerissen.

Trauerfeier unterm Genderstern

Das Publikum wird zur Belegschaft, nimmt an der Trauerfeier des alten Chefs teil. Ausstatter Vinzenz Hegemann hat die gemütliche und gastronomisch bestens versorgte Foyerbühne des Eisleber Theaters in eine schöne kleine katholische Kapelle verwandelt.

Die Urne des Patriarchen steht auf einem Sockel. Links und rechts daneben zwei Kränze. Auf einem grüßt "in stillem Gedenken der Textilverband Gesamtmasche", auf dem anderen steht zu lesen: "In stiller Trauer, die Mitarbeiter". Generisches Maskulinum und Stein des Anstoßes des hier von Anfang an rasant ins Rollen kommenden Spielballs.

Szene aus "Kalter weißer Mann": Auf einer Theaterbühen steht ein Pfarrer an einer Kanzel, daneben Trauerkränze und das schwarz-weiß-Foto eines alten Mannes. Auf Stühlen sitzen dunkel gekleidete Männer und Frauen und schauen zum Pfarrer oder auf ihre Handys
Im Theaterstück "Kalter weißer Mann" in Eisleben wird das Publikum Teil der Trauergemeinschaft um einen alten Patriarchen und Firmenchef. Bildrechte: Markus Scholz

Der Spielball, der so ziemlich alle Steilkurven und Irrwege der gegenwärtigen Debatten zwischen den Generationen und Geschlechtern, samt deren vielfältigen Spielarten aufs Korn nimmt. Ohne Rücksicht auf politische Korrektheit – ein stark kabarettistisch geprägtes, temporeiches Komödienfeuerwerk.

Mit besten Grüßen aus der "heute-show"

Die beiden Autoren Dietmar Jacobs und Moritz Netenjakob haben sich als Drehbuchschreiber für die Fernsehserie "Stromberg" kennengelernt, viel Kabarett geschrieben, auch für die ZDF heute-Show gearbeitet. Und sie haben mit ihrem, auch hier in Eisleben, sehr erfolgreich gelaufenen Bühnenerstling "Die Extrawurst" auf dem Theater für Furore gesorgt. "Wenn die was Neues schreiben, wollen wir das unbedingt haben", hat sich der Intendant des Eislebener Theaters, Ulrich Fischer, an den Verlag der beiden gewandt.

Eine Frau und zwei Männer in dunklen Anzügen schauen auf ein Handy
Als eine Mitarbeiterin sieht, dass auf einem Trauerkranz nur die männlichen Mitarbeiter erwähnt werden, bricht ein Streit aus. Bildrechte: Markus Scholz

Und Regisseur Sebastian Wirnitzer, der hier auch schon die Extrawurst erfolgreich auf den Rost, respektive die Bühne gepackt hat, hat nun auch diese Komödien-Katze erfolgreich aus dem Sack gelassen. Der Mann ist Komödienexperte, hat ein perfektes Gefühl für den immer richtigen Rhythmus, das Setzen von Pausen und Pointen. Das kleine Ensemble ist ideal besetzt, agiert perfekt als Mannschaft und jeder und jede bekommt hier auch seine solistischen Momente – und weiß sie eben auch zu nutzen. Für ein echtes Feuerwerk.

Das Gefecht der Geschlechter und Generationen

Willkommen im Typenkabinett, das alles abbildet, was wir in diesem Kontext so kennen. Christopher Wartig spielt als Spiritus rector den alternden weißen Mann, der sich mit der Hand an der Urne als Geschäftsführer in spe fühlt. Doch denkste, da ist die von Ronja Jenko mit bissiger Bosheit angelegte junge Konkurrentin aus dem Head of New Development, die sich an der männlich konnotierten Schleifenformulierung der eben nur trauernden Mitarbeiter hochzieht.

Ulrich Fischer 37 min
Bildrechte: picture alliance / ZB | Peter Endig

Genderstern oder nicht ist hier die Frage. Mit gezücktem Edding und ideologischem Furor zieht die junge Frau ins Gefecht. Mit dabei ihr, von Tom Bayer liebevoll nerdig angelegter Social Media-Adlatus und Ex -Freund Kevin. Ida Dobrenz kaut als Praktikantin Kim obercool und um ihre Work-Life-Balance bemüht, Kaugummi.

"Kalter weißer Mann" in Eisleben: Vier Menschen stehen nebeneinander aufgereiht auf einer Bühne, alle in dunklen Anzügen und Kostümen, alle schauen auf ihre Handys
Die Komödie verhandelt aktuelle Konflikte ums Gendern auf humorvolle Weise. Bildrechte: Markus Scholz

Annette Baldin wird als Sekretärin Rieke Schneider von allen runtergeputzt – sie ist am Ende aber nicht nur gesanglich obenauf. Und last but not least gibt es da noch den an diesem Chaos in seiner Kirche leidenden und von Benedikt Schörnig gespielten Pfarrer. Allesamt Archetypen, zu denen man sich, je nach eigenem Gusto, gern bekennt. Die Sympathie des Publikums geht da zunächst ganz eindeutig in Richtung des Bewahrenswerten.

Wenn der Zeigefinger in alle Richtungen zeigt

Doch so einfach und holzschnittig sind die Autoren nicht unterwegs. Sie schauen hinter die Oberfläche, klopfen die Figuren und ihre Haltungen auf deren Motive ab. Auf Glaubwürdigkeit, auf das, was sie wirklich bewegt in ihrem Tun. Und hoppla, schon erwischt man sich beim Verstehen des einen oder anderen Arguments, das eben noch ganz abwegig zu sein schien.

Eine Frau sitzt auf einem Stuhl auf einer Theaterbühne, die violett beleuchtet ist. Auf sie gerichtet ist ein ausgestrechter Finger von einem Mann im Jackett mit glatt gegeltem Haar und Brille
MDR KULTUR-Theaterkritiker Wolfgang Schilling kann "Kalter Weißer Mann" empfehlen. Bildrechte: Markus Scholz

Und so kann auch die Stimmung im Publikum kippen – als etwa die Praktikantin Kim dem allzu altherrlichen Chef die Meinung geigt, und man bei sich so denkt: Okay, Zukunft hat eben auch was mit Veränderung zu tun. Plötzlich kommt auch da Applaus aus dem Publikum, begleitet von leichtem Murren. Anything goes, zumindest hat keiner das alleinige Recht auf die Wahrheit gepachtet. Das ist die Stärke des Textes.

Vorsicht doppelter Komödienboden

Vielleicht bist Du ja auch nur ein alter weißer Mann. Nur jünger und mit Vagina.

aus "Kalter weißer Mann"

Man hört die Argumente der jeweils anderen. Und lacht gemeinsam, wenn da jemand plötzlich zu der Erkenntnis kommt: "Vielleicht bist Du ja auch nur ein alter weißer Mann. Nur jünger und mit Vagina." Oder wenn der Pfarrer auf den Vorwurf allzu grundsätzlicher sexueller Übergriffigkeit seines Arbeitgebers angesprochen, antwortet: "Wir hören da seit 2000 Jahren nicht hin und machen einfach weiter." Auch so kann man die Nachhaltigkeit (s)einer Botschaft verstehen.

Theater als Schule des Lebens

Lachen kann befreien, wenn man sich frei macht von Vorurteilen und den anderen einfach mal zuhört. Das ist im echten Leben leider etwas aus der Mode gekommen. Zum Glück gibt es das Theater als Raum dafür, sich genau darin mal wieder zu üben. Und wenn das alles so befreit wie hier in Eisleben passiert, haben alle miteinander Spaß daran.

Mehr Informationen zum Theaterstück:

"Kalter weißer Mann"
Komödie, Dauer ca. zwei Stunden inkl. Pause

Adresse:
Theater Eisleben
 Landwehr 5, 06295 Lutherstadt Eisleben

Termine:
7. und 12. Dezember 2024, 19:30 Uhr (ausverkauft)
26. Dezember 2024, 19:30 Uhr (Restkarten)
11. und 31. Januar 2025, 19:30 Uhr
14. Februar 2025, 19:30 Uhr

weitere Termine folgen

redaktionelle Bearbeitung: sg

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 02. Dezember 2024 | 08:40 Uhr

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