Digital leben | Folge 28 Wie die Corona-Krise die Arbeit verändert

03. Mai 2020, 10:45 Uhr

Videokonferenzen, Chats und E-Mails: In der Corona-Krise wird das Zusammenarbeiten gerade neu definiert. Wird das die Arbeit und Unternehmen nachhaltig verändern? Welche Vor- und Nachteile gibt es? MDR SACHSEN-ANHALT hat mit zwei Menschen gesprochen, die noch vor ein paar Wochen mit zehntausenden Menschen zusammengearbeitet haben.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Raik Pechfelder ist auch nach Wochen noch begeistert: Er war einer von 27.000 Teilnehmern des #wirvsvirus Hackathons, der von der Bundesregierung im März unterstützt wurde. Es wollten sogar 40.000 Menschen dabei sein, um von Zuhause aus erste Lösungen für die vielen Probleme der Corona-Krise zu entwickeln.

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Pechfelder ist 40 Jahre alt, arbeitet als Systemadministrator in Leipzig und wohnt in Schkopau. Sein Fazit des arbeitsreichen Hackathon-Wochenendes: "Ich glaube, dass durch so ein Ding die Denkblockaden extrem aufgebrochen werden." In der Gesellschaft tue sich gerade extrem viel und viel Althergebrachtes würde hinterfragt. Für Pechfelder hat der Hackathon gezeigt, was alles in kürzester Zeit möglich ist, wenn sich viele Menschen zusammen tun.

Was ist ein Hackathon?

Ein Hackathon – ein Mischwort aus "hacken" und "Marathon" – ist normalerweise eine Veranstaltung, bei der sich Entwickler von Soft- und Hardware treffen, um in kürzester Zeit ein oder mehrere Probleme zu lösen. Ein Hackathon bringt in der Regel Menschen aus unterschiedlichen Branchen und mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammen. Meist dauert er 48 Stunden, während der die Teilnehmer oft nur wenig schlafen. Am Ende wollen die Teilnehmer bereits eine so weit wie möglich entwickelte Lösung haben: Das kann eine Software sein, eine Webseite, der Prototyp einer App oder eines Gerätes.

Die Intelligenz der Vielen

Was der Hackathon für Pechfelder auch gezeigt hat: Wenn sich viele Menschen aus unterschiedlichen Berufen und mit unterschiedlichen Erfahrungen zusammentun, entsteht so etwas wie eine Schwarmintelligenz. Als Organisations- und Kommunikationswerkzeug haben die Teilnehmer den Dienst Slack genutzt. Und der Schwarm kommt ohne Chef aus: "Wenn einer etwas von oben sagt, schalten manche Mitarbeiter einfach den Kopf ab, weil sie selbst keine Ideen einbringen können. Und es gibt auch keine Chefs, die allwissend sind", sagt Pechfelder im MDR-SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital Leben". Ohne eine Hierarchie würden sich Teams autonom selbst organisieren.

Pechfelder hofft auch, dass die derzeit erzwungene Veränderung des Arbeitens nachhaltig bleibt. In Deutschland ist derzeit wohl die Hälfte der Beschäftigten im Home-Office, schätzt der Digitalverband BITKOM. Andere gehen von einer Home-Office-Quote von 25 Prozent aus. Und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) arbeitet an einem Gesetz, das das Recht auf Home-Office festschreiben will. Allerdings gibt es auch Stimmen, die das Arbeiten von Zuhause derzeit nicht als Home-Office bezeichnen, sondern es als "Pan-Office" bezeichnen – im Pandemie-Office werden außerdem Kinder betreut und die Technik ist nicht optimal eingerichtet.

Arbeit, Arbeitszeit und Spaß

Aber Pechfelder sagt, die Situation zeige Perspektiven auf. "Am Ende ist es eine Frage, wie wir in Zukunft arbeiten wollen. Und im Endeffekt ist es keine Frage, ob jemand 40 Stunden arbeitet, sondern ob er seine Aufgaben erledigt." Der Vater von drei Kindern arbeitet derzeit Zuhause bis 14 Uhr und setzt sich abends noch einmal an den Computer. "Aber das muss kein Lebensstil sein, den jeder cool findet."

"Doch", sagt Stefanie Oeft-Geffarth, "wenn Arbeit Spaß macht, dann ist man motiviert und das ist schon ein cooler Lebensstil. Davon kann jeder profitieren, der vor einem Rechner arbeitet." Oeft-Geffarth ist Geschäftsführerin der Firma "Convela" in Halle und hat mit ihrem Team auch beim Hackathon #wirvsvirus mitgemacht. Auch sie ist zu Gast im MDR-SACHSEN-ANHALT-Podcast "Digital Leben".

Oeft-Geffarth hat beim Hackathon eine Technologie entwickelt, die sie "Überführungs-App" nennt. Damit sollen Krankenhäuser, Pflegeheime, Krematorien, Bestatter, Friedhöfe und Kommunen besser mit einer großen Zahl an Toten umgehen können. "Bilder aus Italien, in denen sich Särge in Kirchen stapeln, hätte es mit unserer Technologie nicht gegeben. Denn wir hätten die vorhandenen Kapazitäten besser zusammenbringen können."

Der Chef kommt von selbst

So begeistert die 43-Jährige davon ist, dass Arbeit Spaß machen soll, so skeptisch ist Oeft-Geffarth, wenn es um die Organisation von Unternehmen geht. "In jedem Team stellt sich sehr schnell eine Ordnung heraus, eine hierarchische Struktur. Da übernimmt einer immer schnell die Führungsrolle. Das heißt, es arbeiten sich sehr schnell bestimmte Funktionalitäten raus." So sei es auch bei dem Hackathon gewesen.

Natürlich sei auch sie von dem Spirit des Hackathons begeistert gewesen. Und auch davon, dass sich dort Teams selbstorganisiert hätten. Aber an selbstorganisierende oder demokratisch geführte Unternehmen glaubt sie nicht. "Dazu müsste jeder genau wissen, wo seine Leistungsspitzen sind, sie maximal zur Verfügung stellen und sich freiwillig in diese Position begeben." Das sei in uneitlen Konstruktionen wie dem Hackathon kein Problem und mache dort die Begeisterung aus.

"Deswegen starten solche Projekte auch mit einer ordentlichen Portion Aktionismus mit einer Schein-Selbstorganisation. Aber schnell bilden sich dann eben wieder bestimmte Funktionen heraus." Übrig bliebe dann ein Kern von zehn bis 20 Leuten und irgendwann würde es in dem Projekt, für das anfangs jeder ein Wochenende Freizeit geopfert hat, um Geld gehen.

Lassen sich Büros einsparen?

Wenn Unternehmen mehr auf Home-Office setzen, hat das wohl auch mit Geld zu tun. "Unternehmen agieren auf Triggerpunkte wie Kostenersparnis und höhere Effizienz. Das bringt Home-Office mit sich und insofern werden viele Unternehmer merken, ich brauche vieles nicht zur Verfügung zu stellen." Weniger Arbeitsplätze im Büro kosten vielleicht weniger Miete, auch Stromkosten können wohl gespart werden.

"Digitales Arbeiten ermöglicht, kurzfristig Projekte, für die man keine Räume schaffen muss, weil man sie sich virtuell erzeugt. So können Teams sehr agile Strukturen schaffen, um sehr effizient und hochkonzentriert miteinander zu arbeiten." Aber natürlich würde im Home-Office auch vieles fehlen, sagt Oeft-Geffarth.

Das Zwischenmenschliche fehlt

Die persönliche Begegnung zum Beispiel: Das hat sie selbst in der Krise erlebt. "Ich hatte meinen allerersten Pitch vor Investoren online und war das erste Mal seit langem mal wieder aufgeregt." Was fehlte, waren vor allem die non-verbalen Informationen: Das Auftreten, das Sitzen, vielleicht sogar Gerüche. "All diese Informationen bekommen wir nicht, wenn wir uns nur in Videokonferenzen sehen."

Der Plausch in der Teeküche, die kurze Absprache auf dem Flur – all das fällt im Home-Office weg. Manche Unternehmen ermutigen ihre Mitarbeiter deshalb, sich zu Videokonferenzen zu verabreden, in denen es ausdrücklich nicht um die Arbeit gehen soll.

"Es gibt viele Dinge, wo es sehr schön ist, auch zusammen zu sitzen und sich zu begegnen. Aber gleichzeitig ersparen wir uns Sachen, weil man zum Beispiel eine Reise nach Düsseldorf zu einem Ein-Stunden-Termin eben nicht braucht." Das sei eine Einsparung und eine bessere Verteilung von Ressourcen. Davon ist sowohl Stefanie Oeft-Geffarth als auch Raik Pechfelder überzeugt. Und Pechfelder ergänzt: "Wir brauchen im Home-Office mehr Zeit für Meetings und um uns abzustimmen."

Was der #wirvsvirus Hackathon vor allem gezeigt hat: Wie schnell sich online gute Ideen entwickeln lassen, wie schnell sich der Prototyp für eine Software programmieren lässt, dass sich dabei völlig problemlos orts- und zeitunabhängig arbeiten lässt. Und ja: All das geht eine kurze Zeit lang gut ohne Chef.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
Bildrechte: MDR/Viktoria Schackow

Über Marcel Roth Marcel Roth arbeitet seit 2008 als Redakteur und Reporter bei "MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir". Nach seinem Abitur hat der gebürtige Magdeburger Zivildienst im Behindertenwohnheim gemacht, in Bochum studiert, in England unterrichtet und in München die Deutsche Journalistenschule absolviert. Anschließend arbeitete er für den Westdeutschen Rundfunk in Köln. Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er über Sprachassistenten und Virtual Reality, über Künstliche Intelligenz, Breitbandausbau, Fake News und IT-Angriffe. Außerdem ist er Gastgeber des MDR-SACHSEN-ANHALT-Podcasts "Digital leben".

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Quelle: MDR/agz

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