Frauen in Schützenvereinen Jung, weiblich und treffsicher
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12. Juli 2024, 09:01 Uhr
Sachsen-Anhalts Schützenvereine freuen sich seit Jahren über steigende Mitgliedszahlen. Unter den Neuzugängen sind auch vermehrt Frauen. Dennoch sind die meisten Mitglieder männlich und über 50 Jahre alt. Beim Schützenverein Gölzau im Landkreis Anhalt-Bitterfeld hingegen schießen auch einige junge Frauen – und das auf hohem Niveau.
- In Sachsen-Anhalts Schützenvereinen sind nur ein Fünftel der Mitglieder weiblich.
- Beim SV Gölzau hingegen sind vor allem die Frauen im Leistungssport erfolgreich.
- Neben dem Sport sind Schützenvereine aber auch seit jeher ein Ort für Traditionen und Gemeinschaft.
Wenn Charleen Bänisch das Vereinsheim des SV Gölzau betritt, könnte man fast denken, dass sie hier einziehen möchte: In der einen Hand hält sie einen länglichen Hartschalenkoffer, mit dem sie die Tür weiter aufdrückt, um mit der zweiten Hand eine große, kastige Reisetasche in den Flur ziehen zu können. Dort begrüßt sie den Vereinsvorsitzenden Fritz Naumann mit den Worten "Ich brauche Luft" und meint damit nicht sich selbst, sondern die Kartusche ihres Luftgewehrs, die wieder mit Druckluft gefüllt werden muss. Denn Charleen Bänisch ist Sportschützin und heute zum Training nach Weißandt-Gölzau, einem Ortsteil der Stadt Südliches Anhalt, gekommen.
"Manchmal wünschte ich, ich hätte mich für die Pistole entschieden", sagt Bänisch. "Wir haben immer eine Menge Ausrüstung im Gepäck, das ist schon anstrengend." Aber sie ist vor 18 Jahren zum Gewehrschießen gekommen: "Mein Papa war im Schützenverein und ich war als junges Mädchen auf der Suche nach einem Hobby", erzählt Bänisch, die in Mecklenburg-Vorpommern aufgewachsen ist. Also habe sie ihren Vater auf den Schießstand begleitet und sei dann "hängengeblieben". Längst ist aus dem Hobby für sie ein Leistungssport geworden.
Die Ausrüstung von Gewehrschützinnen und -schützen
Zur Ausrüstung gehört neben dem Gewehr und dazugehöriger Munition unter anderem auch eine Jacke sowie eine Hose aus festen Doppelleinen und Kautschuk, die den Schützinnen und Schützen Stabilität geben. Außerdem tragen sie spezielle Schuhe mit hohem Schaft und einer platten Sohle, die ebenfalls für Festigkeit im Stand sorgen. Hinzu kommt ein gepolsterter Handschuh, denn auf einer Hand wird das Luftgewehr abgestützt, das bis zu 5,5 Kilogramm wiegt. Weiteres Zubehör wie zum Beispiel Werkzeuge für das Gewehr haben die Sportlerinnen und Sportler ebenfalls im Gepäck.
Faszination Schießen: Routinen werden belohnt
Was für Charleen Bänisch die Faszination am Schießen ausmacht, sind die Routinen: "Ich bin ein totaler Gewohnheitsmensch. Ich mag es sehr, immer wieder die gleichen Abläufe zu haben und in diesem Sport wird man dafür belohnt mit einer Zehn." Die Zehn befindet sich beim Luftgewehrschießen in zehn Metern Entfernung und ist nur einen halben Millimeter groß. Um dieses Ziel immer wieder zu treffen, trainiert die Angestellte in der Stadtverwaltung nach der Arbeit ein bis zwei Mal pro Woche. An den Wochenenden fährt sie oft zu Wettkämpfen.
Schützenvereine: Frauen in der Unterzahl
Schaut man in die Mitgliederstatistiken des Landessportbundes (LSB), könnte man Charleen Bänisch als Exotin bezeichnen. Der Frauenanteil in Sachsen-Anhalts Schützenvereinen lag im vergangenen Jahr bei 21 Prozent und ist damit deutlich geringer als in anderen Sportarten wie Turnen (79 Prozent) oder Reitsport (78 Prozent).
"Der externe Eindruck, dass Schießsport vor allem ein Männersport sei, ergibt sich sicher auch aus den historischen Wurzeln der Schützenvereine, die in den Ursprüngen als Wehrgemeinschaft zur Verteidigung der Heimat gegründet wurden und somit lange Zeit reine Männersache waren", erklärt Michael Eisert, Vorstandsmitglied im Landesschützenverband, MDR SACHSEN-ANHALT. Erst später habe sich Schießen zum Sport entwickelt, ist seit 1896 eine Olympische Disziplin.
Zudem betont der Verband, dass er kein Problem in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft sehe. Sowohl Männer als auch Frauen seien in den Vereinen willkommen. Der Frauenanteil steige seit Jahren. Bei den Neuzugängen (1.610 im vergangenen Jahr) lag er bei 44 Prozent und damit doppelt so hoch wie in der Gesamtmitgliedschaft. "Das ist auch ein Zeichen, dass sich immer mehr Mädchen und Frauen für den Schießsport begeistern", so Eisert weiter.
Warum Frauen besser schießen als Männer
Auf dem Schießstand in Gölzau wird das deutlich: Hier trainieren an diesem Freitagnachmittag sieben Mädchen beziehungsweise junge Frauen und ein Junge. Auch in seinem fünfköpfigen Bundesliga-Team hat Fritz Naumann nur einen Mann, erzählt der Trainer und Vereinsvorsitzende. "Wir haben im Bereich des Leistungssports die Erfahrung gemacht, dass die Mädels und Frauen sich meist besser konzentrieren und damit auch erfolgreicher sind." Denn Schießen sei ein Präzisionssport. Über die gesamte Wettkampfzeit, die je nach Disziplin zwischen 45 Minuten und zwei Stunden liegt, müsse man hochkonzentriert sein, erklärt Naumann.
Seit 54 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich im Verein. Dazu gehört auch das Werben um Nachwuchs, unter anderem mit Tagen der offenen Tür oder Präsentationen in Schulen. Das gestalte sich aber oft schwierig. Nach dem in Deutschland geltenden Waffengesetz dürfen Kinder und Jugendliche erst ab zwölf Jahren und nur unter einer entsprechend geschulten Aufsicht schießen. "Wenn ich in den Schulen werbe, sind bis zum zwölften Lebensjahr viele schon in anderen Vereinen. Die spielen dann schon Fußball, Tischtennis oder anderes", erzählt Naumann.
Mitgliederzuwachs bei Schützenvereinen in Sachsen-Anhalt
Dennoch freuen sich Sachsen-Anhalts Schützenvereine seit Jahren über Zuwachs. 17.794 Mitgliedern im Jahr 2013 stehen zehn Jahre später 19.333 Schützinnen und Schützen gegenüber, wie Zahlen des Landessportbundes zeigen. Damit ist der Schützenverband der viertgrößte Sportverband im Land. Aktuell ist jedes zweite dieser Mitglieder 56 Jahre oder älter, teilte Michael Eisert vom Landesschützenverband mit. Gleichzeitig habe der Anteil der unter 20-jährigen Mitglieder zuletzt zugenommen und liege aktuell bei 6,9 Prozent. Eisert sieht eine Tendenz zur "leichten Verjüngung der Gesamtmitgliedschaft".
Miteinander von Tradition und Sport
Diesen Unterschied zwischen Tradition und Sport macht auch Charleen Bänisch: "Mir begegnen im Leistungssport sehr viele Frauen in den Vereinen. Deswegen hätte ich nicht gedacht, dass der Frauenanteil insgesamt so gering ist". Sportliche Erfolge hat sie schon viele gefeiert: Mit dem SV Gölzau schießt sie seit Jahren in der Bundesliga, wurde 2017 Deutsche Meisterin in der Einzelwertung der Damen. Es sei zwar schwierig, den Sport neben dem Beruf auszuüben, dennoch hat Bänisch noch nicht alles erreicht, wovon sie träumt: "Ich möchte richtig angreifen und an internationalen Wettkämpfen teilnehmen. Vielleicht mal Olympia."
Neben dem Ehrgeiz und den Ambitionen ist der Verein aber auch für sie mehr als nur eine Sportstätte: "Man bezeichnet uns nicht umsonst als Schützenschwestern und Schützenbrüder. Das ist eine schöne Gemeinschaft, die ich nicht missen möchte." Deshalb schießt Charleen Bänisch, die inzwischen im niedersächsischen Osterode lebt und arbeitet, auch weiterhin für den SV Gölzau: "Der Verein ist mit der Zeit zu einer zweiten Familie geworden. Mir geht es nicht nur um den Sport, sondern auch um die Leute hier."
MDR (Fabienne von der Eltz)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 13. Juli 2024 | 19:00 Uhr
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