der Bayerische Europatag 2024 in Regensburg
Auch wenn die EU-Wahl für viele Befragte relevant erscheint, fühlen sich nur wenige gut über die Arbeit der EU-Institutionen informiert. Bildrechte: IMAGO/Rolf Poss

MDRfragt Knapp drei Viertel fühlen sich schlecht über EU informiert

06. Juni 2024, 03:00 Uhr

Am 9. Juni findet die nächste EU-Wahl statt. Knapp drei Viertel der MDRfragt-Gemeinschaft fühlen sich kurz vor der Wahl jedoch nicht ausreichend über die Arbeit der EU-Institutionen informiert. Zeitgleich hält fast jede und jeder zweite Befragte die EU-Wahl für genauso wichtig wie die Bundestagswahl.

MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar
MDR-Redakteurin Anna Siebenhaar Bildrechte: MDR / David Sievers

Nach 5 Jahren Amtszeit werden am 9. Juni auch in Deutschland erneut die Mitglieder des Europäischen Parlaments gewählt. Doch auch, wenn das EU-Parlament neben dem Europäischen Rat sowie der Europäischen Kommission und dem Rat der Europäischen Kommission zu den wichtigsten Organen der EU gehört, ist für den Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft unklar, was diese überhaupt machen.

Denn so zeigt das Stimmungsbild beim Meinungsbarometer MDRfragt, dass sich knapp drei Viertel der mehr als 20.000 Befragten nicht ausreichend über die Arbeit der EU-Institutionen informiert fühlen – mehr als ein Fünftel hingegen schon.

Darüber hinaus fühlen sich diejenigen, welche eine Teilnahme an der EU-Wahl nach eigenen Angaben beabsichtigen, deutlich häufiger ausreichend über die politische Arbeit in der EU informiert, als es bei den möglichen Nicht-Wählerinnen und Nicht-Wählern der Fall ist.

Diagramm zu Thema: Ich fühle mich ausreichend über die Arbeit der EU informiert
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehr Transparenz und mehr Berichterstattung werden gewünscht

Auch wenn sich zahlreiche Befragte für die politischen Prozesse innerhalb der EU-Institutionen interessieren, mangelt es vielen hierbei an Transparenz. So kommentiert zum Beispiel Siegfried (70) aus dem Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, dass er sich durchaus für die dort diskutierten Themen interessiert, jedoch wird aus seiner Sicht einiges "sehr bürokratisch und verklausuliert" dargestellt. Andreas (45) aus Magdeburg sieht das ähnlich, ihm "laufen noch zu viele Prozesse hinter verschlossenen Türen ab". Und auch Karin (64) aus Leipzig plädiert für mehr Offenheit und interessiert sich dafür, wie "Entscheidungen entstehen und umgesetzt werden sollen".

Vor diesem Hintergrund stellt sich beispielsweise Susanne (50) aus Jena eine ganze Reihe von Fragen, beispielsweise: "Wie agiert das EU-Parlament und welche Rolle spielt das? Und wie werden im Rat die Partikularinteressen der Mitgliedsstaaten vertreten?".

Das Europäische Parlament ist für mich ein undurchschaubares Etwas.

Hartmut (69) aus Mansfeld-Südharz

Auch Kai (31) aus dem Landkreis Sonneberg wünscht sich einen besseren Überblick und kritisiert: "Man hört immer erst nach bestimmten Beschlüssen, dass etwas auf EU-Ebene behandelt wird". Dem schließt sich Maria (47) aus dem Landkreis Nordhausen an und schreibt: "Es wird meistens nur in den Fernseh-Nachrichten berichtet, wenn das EU-Parlament etwas beschlossen hat, was als Aufreger taugt". Aus ihrer Sicht könnte viel mehr über die Debatten berichtet werden, vor allem auch Positives. Das denkt auch Uwe (55) aus dem Saale-Holzland-Kreis. Nach seiner Meinung "müsste viel mehr aus dem Europäischen Parlament berichtet werden, vergleichbar mit den Übertragungen aus dem Bundestag".

Mehr Berichterstattung, mehr Kommunikation: Das wünscht sich auch Falko (45) aus Suhl. Aus seiner Sicht "müsste für den normalen EU-Bürger die europäische Politik viel nahbarer kommuniziert werden". Aber wie? Constanze (58) aus Mittelsachsen hätte da eine Idee. Sie denkt, "die Informationen über die Arbeit der EU sollten den Menschen hierzulande durch gute Reportagen näher gebracht werden". Zudem wünscht sich Oliver (40) aus dem Landkreis Meißen ein "kleines Nachrichten-Format zur EU, in dem auch immer wieder die Struktur und die Mechanismen erklärt werden". Wie viele Befragte findet auch er es manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Ähnlich geht es Hartmut (69) aus Mansfeld-Südharz. Aktuell ist das EU-Parlament für ihn "ein undurchschaubares Etwas".

Knapp jeder Zweite hält EU-Wahl und Bundestagswahl für gleich relevant

Zeitgleich misst die knappe Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer der Europawahl die gleiche Relevanz wie der Bundestagswahl bei. Mehr als zwei Fünftel halten die EU-Wahl hingegen für unwichtiger und lediglich 5 Prozent erachten sie für wichtiger als die Bundestagswahl.

Diagramm zu Thema: Relevanz EU-Wahl im Vergleich zur Bundestagswahl
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ein Viertel wertet EU als Zweckbündnis

Unabhängig von den Institutionen der EU nehmen die meisten Befragten diese als einen Zusammenschluss von Ländern mit offenen Grenzen wahr, in dem man frei reisen, wohnen und arbeiten kann. Eine Mehrheit sieht sie zudem als ein Währungsbündnis und etwas weniger als die Hälfte als Wirtschaftsbündnis.

Mehr als ein Drittel beschreibt die EU auch als ein Bündnis zur Friedenssicherung und mehr als ein Viertel hat den Eindruck, dass es sich nur um ein Zweckbündnis zur Durchsetzung eigener staatlicher Interessen handelt.

Diagramm zu Thema: Wahrnehmung der EU
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mehrheit würde ohne EU nichts missen

Ganz gleich, ob sie als offener Grenzraum oder als Wirtschaftsbündnis wahrgenommen wird: Die Mehrheit der Befragten hat den Eindruck, dass ihr ohne die EU nicht wirklich etwas fehlen würde. Mehr als zwei Fünftel und damit noch etwas mehr als im vergangenen Jahr werten ihren hypothetischen Wegfall hingegen als Verlust.

Diagramm zu Thema: Ohne die EU würde mit etwas fehlen
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zugleich teilen knapp drei Viertel der MDRfragt-Gemeinschaft den Eindruck, dass sich die EU nicht wirklich um ihre Probleme kümmert. Mehr als ein Fünftel hat hingegen schon das Gefühl, dass ihre Probleme durch die EU gehört werden. Auch dieses Gefühl hat im Vergleich zum vergangenen Jahr etwas zugenommen.

EU-Politik: zu bürokratisch und zu weit weg?

Doch warum könnten einige Befragte nach eigener Aussage auf die EU verzichten und warum entsteht der Eindruck, dass die EU die Belange ihrer Bürgerinnen und Bürger nicht im Blick hat? In den Kommentaren finden sich darauf einige Antworten.

So kommentiert beispielsweise Robert (42) aus dem Landkreis Meißen: "Es fehlt fast immer der konkrete Bezug zum täglichen Leben, daher erscheint Brüssel als weit weg". Passend dazu schreibt Maria (47) aus dem Landkreis Nordhausen: "Irgendwie hat man das Gefühl, das ist weit weg und die wenigen deutschen Abgeordneten meiner favorisierten politischen Ausrichtung können sowieso nicht viel bewirken".

Es fehlt fast immer der konkrete Bezug zum täglichen Leben, daher erscheint Brüssel als weit weg.

Robert (42) aus dem Landkreis Meißen

Zugleich hat Annett (51), ebenfalls aus dem Landkreis Meißen, das Gefühl, dass "regionale Besonderheiten und Kulturen" keine Berücksichtigung finden und kritisiert, dass "die Beantragung von EU-Fördermitteln an zu viel Bürokratie und Vorschriften" gebunden ist.

Auch Michael (78) aus Jena beschreibt die EU als einen "Bürokratenkoloss mit vielen Streitigkeiten und Kompromissen". Seiner Ansicht nach verkörpert das nicht mehr die Ziele der EU-Gründung. Patrick (49) schließt sich dem an und kommentiert: "Die EU in ihrer jetzigen Form steht für mich für überbordende, bürokratische Regulierungswut. Die normgerechte Länge der Banane, Papierstrohhalme, unbrauchbare Q-Tips – das ist, was bei mir von der EU hängen bleibt".

Wie Patrick stören sich viele aus der MDRfragt-Gemeinschaft an konkreten Beschlüssen der EU. Parallel dazu hat Reiner (51) aus dem Vogtland den Eindruck, dass in der EU "bisher nur unbedeutende Nebensachen beschlossen werden".

Eine Verkäuferin hält zwei gebogene Salatgurken so zusammen, dass sie ein Jerz symbolisieren 1 min
Bildrechte: dpa / Kay Nietfeld
Eine Verkäuferin hält zwei gebogene Salatgurken so zusammen, dass sie ein Jerz symbolisieren 1 min
Bildrechte: dpa / Kay Nietfeld

Streit um Abschaffung der Zeitumstellung

Insbesondere ein Thema wurde von vielen Befragten jedoch nicht als Nebensache empfunden: die Debatte um die Abschaffung der Zeitumstellung. Ihr bisheriger Ausgang enttäuscht jedoch einen Großteil der MDRfragt-Gemeinschaft und wird von vielen als Sinnbild für eine verfehlte EU-Politik angeführt.

Zum Hintergrund 2018 sprachen sich mehr als 80 Prozent der Teilnehmer einer EU-Umfrage zur Zeitumstellung für deren Abschaffung aus. Daraufhin stimmte 2019 auch das EU-Parlament mit deutlicher Mehrheit dafür, die Zeitumstellung abzuschaffen. Der Beschluss wurde jedoch noch nicht umgesetzt, da sich die EU-Mitgliedsstaaten bisher nicht auf ein gemeinsames Konzept zur Umsetzung einigen konnten.

An der EU-Umfrage zur Zeitumstellung haben insgesamt 4,6 Millionen Menschen teilgenommen. Zwei Drittel der Teilnehmer stammten aus Deutschland.

Passend dazu kommentiert Dieter (73) aus dem Landkreis Leipzig: "Die EU ist in meinen Augen auch ein riesiger bürokratischer Apparat, der sich selbst behindert und es nicht mal schafft, die Sommerzeit abzuschaffen". Auch Ute (62) aus dem Unstrut-Hainich-Kreis nervt es, dass die Zeitumstellung nicht abgeschafft wird. Sie zieht daraus die Schlussfolgerung, dass das System EU "oft zu träge und zu langsam" sei. Auch Ursula (73) aus Weimar fragt sich, warum es nicht möglich ist, die Zeitumstellung abzuschaffen und stattdessen "Verschlüsse auf Plastikflaschen einführt, bei denen man sich Finger und Mund aufreißt."

Zwei Drittel fühlen sich als Europäer

Auch wenn sich viele MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer nicht von der EU ernst genommen fühlen, empfinden mehr als zwei Drittel der Befragten dennoch eine Zugehörigkeit zu Europa: Sie fühlen sich als Europäerinnen und Europäer. Etwa ein Drittel identifiziert sich hingegen nicht mit der EU.

Diagramm zu Thema: Identifizierung mit Europa
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Darüber hinaus sieht die deutliche Mehrheit der Befragten eine Zukunft für die europäische Idee. Mehr als zwei Fünftel teilen diese Ansicht jedoch nicht.

Diagramm zu Thema: Die europäische Idee hat Zukunft
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Doch damit die Zukunft der europäischen Idee und somit die Zukunft Europas erhalten bleibt, muss sich aus Sicht vieler Befragter etwas ändern. Marco (26) aus dem Erzgebirgskreis denkt beispielsweise, dass sich Europa erneuern und demokratisieren muss und kommentiert: "Es geschieht in Brüssel viel zu viel Lobby-Arbeit an den Bürgern vorbei. Das schadet der europäischen Idee". Darüber hinaus ist Gert (48) aus dem Landkreis Bautzen der Ansicht, dass die EU einen "überbordenden Bürokratiemolloch" darstellt, der "grundlegend reformiert und auf seinen Grundgedanken zurückgestutzt werden muss". Andernfalls scheitert seiner Meinung nach die gesamte EU.

Die Europäische Union ist die einzige Möglichkeit, uns jenseits von sinnvoller Nationalstaatlichkeit in einer globalisierten Welt aufzustellen.

Michael (55) aus Magdeburg

Fabian (45) aus Dresden sieht das hingegen etwas anders. Er hat den Eindruck, dass die EU-Politik oftmals "als Sündenbock für eine verfehlte Politik in den Ländern herhalten muss" und merkt an: "Dabei ist das europäische Projekt ein Garant für Frieden und Wohlstand, wie es die Menschen in Europa Jahrtausende vorher nicht erleben konnten. Das vergessen viele Politiker, welche Europa schlecht reden, nur zu oft".

Michael (55) schließt sich dem an und kommentiert: "Die Europäische Union ist die einzige Möglichkeit, uns jenseits von sinnvoller Nationalstaatlichkeit, in einer globalisierten Welt aufzustellen. Und sie ist die logische Konsequenz aus den Erfahrungen zweier Weltkriege und eines historischen Gegeneinanders".

Und Fabian (47) aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld fasst es abschließend so zusammen: "Für mich ist die EU ein Versprechen, eine Chance auf Zukunft".


Über diese Befragung Die Befragung vom 27. April bis 2. Mai 2024 stand unter der Überschrift: "Europas Zukunft: Was ist Ihre Vision?“.

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 20.078 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell TV | 06. Juni 2024 | 21:45 Uhr