Schüler im Unterricht
In der Sozialkunde-Stunde werden unter anderem die Entwicklungskonzepte der Europäischen Union thematisiert. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

Europäisches Parlament Erstwähler haben die Qual der Wahl

03. Juni 2024, 05:00 Uhr

Mit 16 Jahren darf man Bier kaufen, Moped fahren, hat vielleicht schon einen Schulabschluss. Seit diesem Jahr darf man auch wählen, zumindest das Europäische Parlament. MDR SACHSEN hat an einer Chemnitzer Oberschule mit Erstwählern darüber gesprochen, warum die Wahl jetzt auch für sie wichtig ist.

Es ist die erste Stunde an der Chemnitzer Diesterweg-Oberschule. Tina Pester steht vor der neunten Klasse und der Herausforderung, die europäische Idee an junge Schüler zu vermitteln. Es geht heute weniger um den Kontinent als vielmehr um einen Bund von 27 Mitgliedstaaten, geeint in Freiheit, Sicherheit und Recht. So zumindest die Idee der Europäischen Union, deren Parlament am 9. Juni neu gewählt wird.

Fakten zur EU-Wahl ab 16 Jahren


  • Ende 2022 verabschiedete der Bundestag gegen die Stimmen von CDU und AfD ein Gesetz zur Absenkung des Wahlalters bei EU-Wahlen auf 16 Jahre.
  • In Österreich, Malta, Belgien gilt dieselbe Regelung, in Griechenland wurde das Alter auf 17 Jahre abgesenkt.
  • In Deutschland betrifft das 1,4 Millionen zusätzliche junge Wahlberechtigte.

Endlich mal der Erste

Das Lernziel in dieser Stunde Gemeinschaftskunde wird per Beamer an die Wand projiziert: "Ich positioniere mich zur Notwendigkeit der Europawahl." Immerhin drei Neuntklässler sind schon 16 Jahre alt und damit wahlberechtigt. Für sie geht es in diesem Jahr zum ersten Mal an die Urne. Wie fühlt sich das an?

"Es ist schon etwas Cooles, jetzt einer der Ersten zu sein", sagt der 16-jährige Paul Neubert, der auf jeden Fall zur Wahl gehen will.

Ganz anderer Meinung ist da sein Klassenkamerad Dave Zeminske, dem die Wahl ab 16 Jahren noch zu früh ist: "Weil viele sich noch nicht die Gedanken machen wollen, was man für die Zukunft wählen möchte." Seine Stimme abgeben will er trotzdem, um mit seinem Kreuz etwas zu bewegen.

Gemeinschaftskunde-Lehrerin Tina Pester begrüßt die Absenkung des Wahlalters, weil das die Schüler animiere, aus ihrer Komfortzone auszubrechen. Dadurch müssten sie sich mit Dingen beschäftigen, mit denen sie sich eigentlich noch gar nicht beschäftigen wollen.

Raus aus der Komfortzone

Gerade weil Oberschüler mit 16 Jahren meist schon eine Ausbildung beginnen, müssten sie lernen, Verantwortung zu übernehmen. "Da sollte man auch in der Lage sein, reflektiert ein Kreuz zu setzen", sagt Pester.

Sie plädiert dafür, Wahlen grundsätzlich für jüngere Jahrgänge zu öffnen und trifft damit den Nerv von Paul und Dave. Beide können nicht verstehen, warum sie für das EU-Parlament abstimmen dürfen, aber für die Kommunalwahl oder die Landtagswahl nicht. "Wenn, dann für alle Wahlen oder gar nicht", sagt Paul.

Tina Pester ist überzeugt, dass eine Absenkung des Wahlalters helfen kann, dass Jugendliche zu Politik und Wahlen positiver eingestellt sind: "Wir sagen immer, unsere Jugend ist unsere Zukunft. Dann ist es natürlich schwer zu erklären, dass sie in der eigenen Stadt nicht mitbestimmen dürfen."

Brüssel ist weit weg

Das politische Geschehen aus der EU-Hauptstadt Brüssel ins 700 Kilometer entfernte Chemnitz zu holen, ist auch für die Lehrerin eine Herausforderung. "Es ist immer ein Drahtseilakt zwischen der Realität und 'Wir malen uns die Zukunft bunt.' Man muss es herunterbrechen", sagt Pester.

Es sei schon schwierig genug, den deutschen Gesetzgebungsprozess zu vermitteln. Aber sie spüre bei ihren Schülern ein grundsätzliches Interesse an Europa und den damit verbundenen Freiheiten wie den fehlenden Grenzkontrollen.

Eine Frau schaut an eine Tafel
Lehrerin Tina Pester im Klassenraum. Bildrechte: MDR/Philipp Brendel

In Diskussionen im Unterricht werde durchaus auch Kritik an der EU geäußert: "Die Schüler sind kritisch, was den Euro angeht, obwohl sie die D-Mark-Zeiten gar nicht miterlebt haben."

"Man merkt schon, dass sie das wiedergeben, was zuhause am Abendbrottisch gepredigt wird." Es würden aber gut beide Seiten beleuchtet und typische Stammtischparolen genauso in Frage gestellt.

Dave sagt, für ihn spiele es keine Rolle, was seine Eltern wählen. Er informiere sich eher über klassische Kanäle: Wahlomat, Plakate oder Wahlprogramme. Noch fühle er sich nicht wirklich gut vorbereitet, will das aber bis zum 9. Juni nachholen.

Zwischen Tik Tok und Wahlomat

Paul informiert sich eher nebenbei, etwa bei Tik Tok, und natürlich sei das Thema im Unterricht gerade stark vertreten. Dennoch fällt es ihm schwer, konkrete Auswirkungen der EU in seinem Alltag zu beobachten. Am ehesten fallen ihm die einheitlichen Ladekabel ein, die das europäische Parlament vorangebracht hat.

Die erste Schulstunde an diesem Morgen ist gleich vorbei. Zum Abschluss dürfen die Schüler noch mit dem Wahlomat bestimmen, welche Partei am ehesten ihre Interessen vertritt. Anschließend verlassen sie das abstrakte Feld der internationalen Politik. Es geht in den Deutschunterricht.

MDR (gro)

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