Kinder mit Schutzmaske in einem Klassenzimmer
Auch der Schulbetrieb wurde durch die Corona-Maßnahmen immer wieder eingeschränkt. Bildrechte: IMAGO/imagebroker

MDRfragt Mehrheit hat wenig Verständnis für Fehler bei der Corona-Politik

20. November 2024, 03:00 Uhr

Die Corona-Zeit war eine Ausnahmesituation, es gab kaum Erfahrungswerte im Umgang mit einer Pandemie. Trotzdem haben die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer mehrheitlich wenig Verständnis für damals getroffene Fehlentscheidungen. Zugleich zeigt sich jeder zweite Befragte enttäuscht darüber, dass es vorerst keine bundespolitische Aufarbeitung der Corona-Politik geben wird. Das zeigt das aktuelle MDRfragt-Stimmungsbild aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen mit fast 22.000 Befragten.

Die Corona-Pandemie stellte die Gesellschaft, die Politik, die Wirtschaft und natürlich das Gesundheitswesen vor enorme und zugleich neue Herausforderungen. In vielen Bereichen mussten in schneller Folge weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Oft gab es wenig bis keine Erfahrungswerte oder vergleichbare Situationen, auf die zurückgegriffen werden konnte. Die Kombination fehlende Zeit mal fehlende Erfahrung erhöht das Risiko für Fehleinschätzungen. 

Tatsächlich stellten sich einige Maßnahmen im Nachhinein als unverhältnismäßig und nicht zielführend heraus: Die Mehrheit der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer hat heute für diese Fehlentscheidungen nur wenig Verständnis.

Mehr als zwei Fünftel können es hingegen nachvollziehen, wenn damals aufgrund mangelnder Erfahrung, Corona-Maßnahmen zur Anwendung kamen, die sich nachträglich als falsch erwiesen.

Verständnis für Fehlentscheidungen der Corona-Politik
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Dabei nimmt das Verständnis für die getroffenen Fehlentscheidungen mit dem Alter der Befragten zu. So überwiegt bei den jüngeren Befragten das Unverständnis, während die Über-65-Jährigen mehrheitlich Verständnis äußern.

Verständnis für Fehlentscheidungen der Corona-Politik - nach Altersgruppen
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Für die Mehrheit gingen Corona-Maßnahmen zu weit

Rückblickend betrachtet, geben knapp zwei Drittel der Befragten an, dass ihnen die Corona-Maßnahmen zu weit gingen. Ein Drittel hält diese, mit Blick auf damals, für angemessen und lediglich drei Prozent hätten sich weitreichendere Maßnahmen gewünscht.

Damit zeigt sich eine deutliche Verschiebung im MDRfragt-Meinungstrend im Vergleich zur akuten Phase: Während der Corona-Pandemie fiel das Urteil der Befragten hingegen noch deutlich anders aus. Demnach beurteilte Ende 2020 rund ein Fünftel die damals geltenden Maßnahmen als zu streng. Zwischen 2021 und 2022 schwankte dieser Anteil zwischen 24 Prozent und 44 Prozent.

Bewertung Corona-Maßnahmen
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Auch hierbei zeigen sich Unterschiede im Antwortverhalten, je nach Altersgruppe der Befragten. So liegt der Anteil derjenigen, welche die Maßnahmen aus heutiger Sicht als zu weitgehend beurteilen, bei den Unter-65-Jährigen etwa bei zwei Dritteln. Bei den Über-65-Jährigen teilt jedoch nur rund die Hälfte diese Einschätzung.

Viel Kritik für Schulschließungen

In zahlreichen Kommentaren der MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer werden immer wieder die damaligen Corona-Maßnahmen im schulischen Bereich und vor allem die Schulschließungen kritisiert. Auch MDRfragt-Mitglied Jana (44) aus dem Landkreis Gotha schließt sich dieser Kritik an und berichtet aus eigener Erfahrung: "Den Kindern wurden die sozialen Kontakte genommen." Sie schreibt weiter: "Mein Kind selber leidet noch darunter, hat Schwierigkeiten mit Freunden sowie starke Konzentrationsprobleme und das Grundverständnis in Mathe und der deutschen Rechtschreibung fehlt."

Auch Eva (32) aus dem Landkreis Stendal "hadert" nach eigener Aussage sehr mit den Schulschließungen, weil sie sieht, "wie viel Leid wir damit bei den Jugendlichen und jungen Menschen verursacht haben". Darüber hinaus hält sie, rückblickend betrachtet, auch das "Abkapseln von Senioreneinrichtungen und das Sterben in Einsamkeit" für sehr kritisch und würde sich in Zukunft ein "Abwägen zwischen körperlichen und möglichen psychischen Risiken" wünschen.

Das Klatschen hat uns nicht wirklich geholfen.

MDRfragt-Mitglied Ines (57) aus dem Landkreis Greiz

Auch Manfred (71) aus dem Landkreis Zwickau blickt in die Zukunft und fordert, dass insbesondere im Gesundheitswesen Vorkehrungen für zukünftige Pandemien getroffen werden, um "schnell und effektiv handeln zu können".

Ines (57) aus dem Landkreis Greiz ist selbst im Gesundheitswesen tätig und berichtet kopfschüttelnd: "Im Krankenhaus mussten wir aufbereitete Masken auf der Intensivstation aufsetzen, es gab für uns zu wenige. Letztendlich sind Millionen Masken entsorgt worden, weil die Haltbarkeit abgelaufen war. Das Klatschen hat uns nicht wirklich geholfen."

Erinnern Sie sich noch an den Begriff "systemrelevant"? Auch darüber wird in den Kommentaren diskutiert. Vor allem die Einteilung, wer in der Corona-Pandemie als systemrelevant galt und wer nicht, sorgt heute immer noch für Unmut. So kommentiert MDRfragt-Mitglied Sandy (44) aus Mittelsachsen: "Ich musste Kinder systemrelevanter Berufe betreuen, hatte jedoch selbst keinen Anspruch auf eine Betreuung."

Zudem erzählen einige Befragte, wie sehr sie der Umgang mit der Corona-Schutzimpfung bis heute beschäftigt. Andrea (59) aus dem Landkreis Meißen schreibt zum Beispiel: "Eine Entscheidung gegen die Impfung hat uns aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, dafür gab es bis zum heutigen Tag keine Entschuldigung.“

"Hinterher ist man immer schlauer"

Nicht wenige MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer äußern jedoch auch Verständnis für mögliche Fehlentscheidungen. Annett (55) aus dem Erzgebirgskreis schreibt zum Beispiel: "Die Entscheidungsträger konnten durch fehlende Erfahrungen nicht die richtigen Entscheidungen treffen. Alle, die sich heute darüber aufregen, wie sinnlos alles war, sind in meinen Augen 'postmortale' Klugscheißer."

Bernd (75) aus Dresden schließt sich dem an und fordert: "Dass man rückblickend vielleicht übervorsichtig war, sollte verstanden werden." Auch Jana (40) aus dem Vogtlandkreis teilt diese Einschätzung. Sie kommentiert: "Gemessen an dem damaligen Wissensstand kann niemand behaupten, dass es nicht angemessen war. Hinterher sind alle schlauer!“

MDRfragt-Mitglied Timo (46) aus Halle fasst die Einschätzung zahlreicher Befragter letztendlich so zusammen: "Die Wahl war doch: entweder zu hart reagieren und Lebensqualität einschränken oder zu lasch und damit Leben riskieren." Für ihn war es "ganz klar" die bessere Variante, sich für den harten Weg zu entscheiden.

Vertrauen in die Politik ist durch Corona-Maßnahmen gesunken

Darüber hinaus haben sich die Corona-Maßnahmen aus Sicht der Befragten mehrheitlich (59 Prozent) negativ auf ihr Vertrauen in die Politik ausgewirkt. Bei knapp zwei Fünfteln ist dieses hingegen unverändert geblieben. Lediglich drei Prozent haben angesichts der Corona-Maßnahmen ein gesteigertes Vertrauen in die Politik.

Entwicklung Vertrauen in die Politik durch Corona-Maßnahmen
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Gründe für den Vertrauensverlust

Ein Blick in die Kommentare verrät, dass das Vertrauen in die Politik im Zusammenhang mit der Corona-Politik aus unterschiedlichen Gründen abgenommen hat. MDRfragt-Mitglied Katharina (34) aus Chemnitz schreibt beispielsweise: "Mein Vertrauen ist gesunken, da es mich erschreckt hat, wie egal Kinderrechte und das Recht auf eine gesunde psychische Entwicklung sind und wie leichtfertig Vereinbarungen von frühkindlicher Bildung und Vereinbarkeit von Beruf und Familie in Zeiten der Krise einseitig aufgekündigt werden."

Christine (73) aus dem Vogtlandkreis empfand es als "anmaßend, wie mit uns Bürgern umgegangen wurde und wie die Wirtschaft gegen die Wand gefahren wurde". Parallel dazu ist auch bei Wolfgang (75) aus dem Landkreis Nordhausen das Vertrauen in die Politik gesunken, "weil die Verantwortlichen intransparent handeln konnten". Und MDRfragt-Mitglied Jürgen (65) aus Halle ist letztendlich "noch skeptischer geworden gegenüber der Politik im Bezug auf den Schutz der Bevölkerung".

Auch die mutmaßlichen Affären bei der Beschaffung von Masken, haben das Vertrauen in die Politik bei einigen Befragten nachhaltig beschädigt. Stellvertretend für viele fordert Klaus (74) aus Magdeburg: "Es braucht eine Aufarbeitung bei den Maskenbestellungen und -verkäufen durch die Regierung und einzelne Minister."

Auch Gabriele (70) aus Dresden, die es gut findet, dass "Impfstoffe so schnell erforscht und hergestellt wurden", hält die Maskendeals für problematisch. Sie fordert, dass man betreffende Personen dafür entsprechend bestrafen sollte.

Mehr Aufarbeitung = mehr Vertrauen?

Von denjenigen, welche angegeben haben, dass ihr Vertrauen in die Politik durch die Corona-Maßnahmen gesunken ist, gaben 38 Prozent an, dass eine Aufarbeitung der Corona-Politik ihr Vertrauen wieder stärken würde. Für 54 Prozent wäre das hingegen nicht der Fall.

Mit Blick auf eine mögliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie findet MDRfragt-Mitglied Chris (29) aus Suhl es "sehr enttäuschend, dass immer noch nichts passiert ist".

6 von 10 fordern bundespolitische Corona-Aufarbeitung

Auch in der Politik dauern die Rufe nach einer Aufarbeitung der Corona-Pandemie an. Ginge es nach den MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmern, sollte diese vor allem auf Bundesebene erfolgen.

So würde eine deutliche Mehrheit die bundespolitische Aufarbeitung der Corona-Politik befürworten. Zudem hält gut ein Drittel der Befragten diese auch auf der Landesebene für wichtig. 30 Prozent denken wiederum nicht, dass es eine politische Aufarbeitung der Corona-Pandemie braucht.

Aufarbeitung der Corona-Politik - Befürwortung
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Da sich die Bundesregierung zuletzt jedoch auf keine Form der Aufarbeitung einigen konnte, gab diese noch vor dem Bruch der Ampel-Koalition bekannt, dass es in der aktuellen Legislatur keine bundespolitische Aufarbeitung der Corona-Politik geben würde. Die Mehrheit der Befragten ist darüber enttäuscht – mehr als zwei Fünftel hingegen nicht.

Jeder Zweite befürwortet Corona-Untersuchungsausschüsse

Auf der Landesebene sieht es hingegen anders aus. In Sachsen und Thüringen wird es bald Untersuchungsausschüsse zur Corona-Politik geben. Darin sollen unter anderem die politischen Entscheidungen, die Einschränkungen und das mögliche Vorgehen im Falle einer neuen Pandemie thematisiert werden.

In der MDRfragt-Gemeinschaft stößt das auf großen Zuspruch, denn die Mehrheit der Befragten befürwortet solche landespolitischen Untersuchungsausschüsse. Gut ein Drittel lehnt diese hingegen ab.

Untersuchungsausschüsse zur Corona-Politik - Auf Landesebene
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Auch die MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer in Sachsen und Thüringen selbst begrüßen diese Corona-Untersuchungsausschüsse auf Landesebene mehrheitlich. Deutlich unterschiedlicher fällt das Antwortverhalten hingegen je nach Alter der Befragten aus. Während sich bei den Unter-30-Jährigen mehr als zwei Drittel für jene Ausschüsse aussprechen, ist die Meinung darüber bei den Über-65-Jährigen eher geteilt.

Untersuchungsausschüsse zur Corona-Politik - Befürwortung in Sachsen und in Thüringen
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Einige MDRfragt-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer äußern in den Kommentaren Zweifel an der Wirksamkeit der Untersuchungsausschüsse. So kommentiert MDRfragt-Mitglied Paula (54) aus Magdeburg beispielsweise: "Ein Tribunal wird nicht helfen, wenn wir praxistaugliche Lösungen suchen." Auch Hans-Martin (43) aus dem Landkreis Meißen empfindet einen Corona-Untersuchungsausschuss als eine Art "Tribunal" und schlägt vor: "Im Sinne einer 'Lessons learned' wäre eine Enquete-Kommission sicher zielführender."

Darüber hinaus schreibt Heike (48) aus dem Landkreis Bautzen: "Bei dieser aggressiven 'Aufarbeitungsschreierei' sieht man aber, wer solidarisch ist und wer nur Fehler sucht." Paul (24) aus dem Landkreis Saalfeld-Rudolstadt befürchtet, dass die Ausschüsse "von der Opposition und Querdenkern dazu genutzt werden, alle Maßnahmen zu diskreditieren". Für Jannes (25) aus Magdeburg sollte es eher "um eine sachlich-inhaltliche Analyse der Maßnahme gehen, nicht um sinnlose Schuldzuweisungen und Denunziationen der damaligen Handlungsträger".

Was sollen Untersuchungsausschüsse leisten?

Doch nicht wenige Befragte begrüßen jene Ausschüsse hingegen. MDRfragt-Mitglied Guido (59) aus Halle findet beispielsweise: "Aufarbeitung muss sein." Zugleich sollte diese aus Seiner Sicht jedoch nicht zu einer "Hexenjagd" werden.

Steffen, ebenfalls 59 Jahre alt und ebenfalls aus Halle, erhofft sich dadurch eine "Aufklärung wo, wer, wann unnötige Entscheidungen traf". Außerdem erwartet er, dass mögliche Betrugsfälle und Bereicherungen bei der Beschaffung von Masken aufgedeckt werden.

Matthias (70) aus dem Landkreis Nordhausen sieht das ähnlich und fordert, dass "Personen, die über das Ziel hinausgeschossen sind, zur Rechenschaft gezogen werden". Am Wichtigsten ist es aus seiner Sicht jedoch, dass "Lehren für die Zukunft" gezogen werden. Auch Henrike (30) aus Stendal schließt sich diesem Wunsch an und hofft, dass in den Corona-Untersuchungsausschüssen Lehren "für die nächsten Pandemien" gewonnen werden können.

Mehrheit hat Sorge vor zukünftigen Pandemien

Es bleibt abzuwarten, zu welchem Ergebnisse die Corona-Untersuchungsausschüsse in Sachsen und Thüringen kommen. Unabhängig davon blickt die MDRfragt-Gemeinschaft mit gemischten Gefühlen in die Zukunft. Zwar hat der Großteil, konkret 85 Prozent, keine Sorge vor einer neuen Corona-Welle. Gleichzeitig wird die grundsätzliche Sorge vor zukünftigen Pandemien jedoch mehrheitlich geteilt.

Sorge vor zukünftigen Pandemien
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Über diese Befragung Die Befragung vom 12. bis 15. November 2024 stand unter der Überschrift: "Corona: Wie viel Aufarbeitung braucht es?".

Bei MDRfragt können sich alle anmelden und beteiligen, die mindestens 16 Jahre alt sind und in Sachsen, Sachsen-Anhalt oder Thüringen wohnen, denn: Wir wollen die Vielfalt der Argumente kennenlernen und abbilden. Die Kommentare der Befragten erlauben, die Gründe für die jeweiligen Positionen und das Meinungsspektrum sichtbar zu machen.

Da sich jede und jeder beteiligen kann, der möchte, sind die Ergebnisse von MDRfragt nicht repräsentativ. Bei dieser Befragung haben sich 21.825 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen online mit ihrer Meinung eingebracht.

Die Ergebnisse von MDRfragt werden nach wissenschaftlichen Kriterien anhand verschiedener soziodemografischer Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad gewichtet, um sie an die tatsächliche Verteilung in der mitteldeutschen Bevölkerung anzupassen. Damit wird die Aussagekraft der Ergebnisse erhöht und es ergibt sich ein valides und einordnendes Stimmungsbild aus Mitteldeutschland.

MDRfragt wird zudem wissenschaftlich beraten und begleitet, beispielsweise durch regelmäßige Validitätstests. Mehr zur Methodik von MDRfragt finden Sie am Ende des Artikels.

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Dieses Thema im Programm: Das Erste | Tagesschau24 | 20. November 2024 | 15:00 Uhr