David Füleki 29 min
Mehr zu den Arbeitsbedingungen der Manga-Zeichner und -Übersetzer sehen Sie in der Exactly-Reportage. Bildrechte: MDR/Tycho Schildbach

Stress, Burnout, Verletzungen Schlechte Arbeitsbedingungen: Warum viele Zeichner und Übersetzer von Manga krank sind

18. März 2025, 16:13 Uhr

Trotz gewachsener Nachfrage sind die Honorare in der deutschen Manga-Branche in den letzten Jahren kaum gestiegen. Manga-Zeichner und -Übersetzer klagen über Schlafmangel, Geldnot und sogar Verletzungen durch Überarbeitung. Einige in der Branche zerbrechen am Druck.

Volontär Tycho Schildbach
Bildrechte: MDR/ Felix Schlagwein

  • Gesundheitliche Probleme sind in der Szene alltäglich. David Füleki überlebte einen septischen Schock.
  • Die Nachfrage nach Manga vervierfachte sich seit 2011.
  • 81% der Zeichnerinnen und Zeichner benötigen weitere Jobs.
  • Deutsche Manga machen laut Verlagen weniger Umsatz als Manga aus Japan.

Überarbeitung bis zum Burnout. In der japanischen Manga-Szene passiert das regelmäßig. Selbst einige Todesfälle von japanischen Manga-Zeichnern werden mit extremer Überarbeitung in Verbindung gebracht. Die japanischen Comics sind inzwischen in Deutschland weit verbreitet. 92,7 Millionen Euro gaben die Deutschen 2024 für Manga-Hefte aus. Aber auch die japanischen Arbeitsbedingungen scheinen in Deutschland angekommen zu sein.

Ich habe einen Stress-Tinnitus bekommen und die ganze Zeit Magenschmerzen gehabt.

Franziska Riedel Manga-Übersetzerin

"Bei mir war der Juli letzten Jahres so ein richtig schlimmer Monat. Ich habe auch einen Stress-Tinnitus bekommen und Magenschmerzen die ganze Zeit gehabt. Ich weiß, dass es vielen anderen genauso geht", sagt Franziska Riedel aus Halle. Die 33-Jährige übersetzt japanische Manga und lektoriert japanische Bücher.

Japanisch-Übersetzerin Franziska Riedel
Japanisch-Übersetzerin Franziska Riedel fühlt sich nicht ernst genommen. Bildrechte: Tycho Schildbach (MDR)

Manga zeichnen bis zum septischen Schock

Beim Chemnitzer Manga-Zeichner David Füleki bedrohte die Überlastung schon sein Leben. Im Ellbogen seiner Zeichenhand riss der entzündete Schleimbeutel. "Da hatte ich direkt einen septischen Schock", erzählt der 39-Jährige. "Das war auch eine gruselige Situation. Meine Frau war da gerade hochschwanger. Das war kurz vor der Geburt unseres ersten Kindes", erinnert er sich. Der Manga-Zeichner, Mangaka genannt, und die Übersetzerin sind zwei von zahlreichen Personen aus der deutschen Manga-Branche, die über schlechte Arbeitsbedingungen klagen.

Die Nachfrage wächst, die Honorare kaum

Dabei ist die Nachfrage nach Manga enorm gewachsen. Der Umsatz mit gedruckten Manga-Büchern hat sich zwischen 2011 und 2024 vervierfacht. Während der Pandemiejahre 2020 bis 2022 explodierte die Nachfrage nach Manga. Im Rekordjahr 2022 kauften die Deutschen sogar Manga im Wert von 95,3 Millionen Euro. Viele der neu gewonnenen Leserinnen und Leser kaufen offensichtlich nach den Corona-Jahren weiterhin Manga, denn die Verkaufszahlen blieben seither stabil und sind nur minimal gesunken.

In den Honoraren der Zeichner und Übersetzerinnen spiegelt sich der gestiegene Umsatz nicht wider. Im Oktober 2024 unterschrieb Franziska Riedel einen offenen Brief vom Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke (VdÜ) an die Verlage. Laut dem offenen Brief verdienen sie als Freiberufler im Schnitt rund 28 Euro brutto pro Stunde.

Nebenjobs und finanzielle Hilfe von Familie und Freunden

Nach Steuern und Sozialabgaben bleibt wenig übrig zum Leben. Weil fast alle in der Branche freiberuflich arbeiten, fällt zudem jede finanzielle Planungssicherheit weg. "Unsere Realität ist, einige Verlage haben nicht mal eine Gewinnbeteiligung in den Verträgen", beschwert sich Riedel. "Andere haben die ab so vielen verkauften Exemplaren, dass man diese Zahlen einfach nicht erreicht. Also so viele werden vielleicht nie gedruckt und erst recht nicht verkauft."

Laut offenem Brief können sich die Übersetzerinnen und Übersetzer von den Honoraren jedes Jahr weniger leisten. "Effektiv weniger verdienen wir, weil es so was wie eine Inflation natürlich für alle gibt, aber unsere Honorare nicht steigen", sagt Riedel. Der VdÜ zeigt sich im Gespräch mit dem MDR enttäuscht über die Reaktion der Verlage. Es mache den Eindruck, dass die meisten Verlage die Situation aussitzen wollten. Auch die Übersetzerin Riedel sagt: "Ich habe das Gefühl, man nimmt uns nicht so ernst."

Viele Mangaka und Übersetzer nehmen wegen der geringen Honorare mehr Aufträge an, als sie in normalen Arbeitszeiten abarbeiten können. Laut einer Umfrage der "Comic Gewerkschaft" geben 81 Prozent der deutschen Comic- und Manga-Zeichner an, dass sie vom Zeichnen allein nicht leben können. Sie müssen Nebenjobs nachgehen, um ihre Lebenshaltungskosten stemmen zu können. Rund 45 Prozent der Zeichnerinnen und Zeichner werden sogar von Familie und Freunden finanziell unterstützt, wenn sie an einem Projekt arbeiten.

Ein gefährlicher Handel mit der Gesundheit

David Füleki bildet eine Ausnahme in der Manga-Branche. Er lebt ausschließlich vom Zeichnen. Darüber hinaus gehört er zu den wenigen Mangaka mit Kindern. Den meisten fehlen für die Familiengründung Zeit und Geld. Für die Manga-Leidenschaft und die Familie geht Füleki einen gefährlichen Handel mit seiner Gesundheit ein. Er kümmert sich morgens und nach der Kita gemeinsam mit seiner Frau um die Kinder. Zwischen den Kinderterminen und in der Nacht zeichnet er. Für Schlaf plant er durchschnittlich nur vier Stunden ein.

Am wenigsten schlafe er vor der Leipziger Buchmesse. "Zur Leipziger Buchmesse musst du neues Material haben. Das geht nicht anders. Der wichtigste Termin jedes Jahr. Ich habe dann immer gemerkt, vor einer Leipziger Buchmesse vier Monate mindestens, da hat man wirklich seinen kompletten Biorhythmus ruiniert", sagt Füleki. "Da geht das im November los, da fängst du halt an, diese Nächte nochmal ein bisschen zu verkürzen, damit du im März drei, vier neue Hefte da auf deinem Tisch liegen hast."

David Füleki
Manga-Zeichner David Füleki arbeitet normalerweise bis 3:00 Uhr morgens. Bildrechte: MDR/Tycho Schildbach

Die Verlage erklären sich

Wie kann es sein, dass die Honorare von Zeichnern und Übersetzerinnen trotz des Manga-Booms oft nicht zum Leben reichen? Die Manga-Verlage geben darauf im Kern zwei Antworten. Erstens bedeute eine Steigerung des Umsatzes nicht automatisch eine Steigerung des Gewinns. "Wir hatten bei Corona beispielsweise plötzliche Preissprünge von 40 Prozent vom Produktionspreis nach oben innerhalb von drei Monaten", sagt etwa Kai-Steffen Schwarz, Programmleiter Manga beim Carlsen Verlag. Zweitens beruhe das Wachstum der vergangenen Jahre fast ausschließlich auf japanischen Manga-Titeln. "Die Produkte deutscher Zeichner verkaufen sich genauso wie vor Corona – mehr oder minder. Wir haben das tatsächlich uns auch mal angeguckt", sagt Joachim Kaps, Geschäftsführer bei Altraverse. Schwarz vom Carlsen Verlag betont dabei das Risiko der Verlage: "Die Hits müssen die Flops oder die Titel, die nicht so stark laufen, natürlich mitfinanzieren."

Zeitdruck gehe von den Verlagen nach eigener Aussage nicht aus. "Wenn wir irgendwie mitbekommen, dass jemand gerade platt ist, krank ist, k. o. ist, wir sind die Letzten, die dann sagen, 'hallo, du musst aber deine Deadline halten'", sagt Carlsen-Vertreter Schwarz. Allerdings berichten die Mangaka und Übersetzer, dass Stress vor allem dadurch entstehe, weil sie wegen der geringen Honorare so extrem viel arbeiten müssten.

Geringe Akzeptanz für deutsche Manga

Solange deutscher Manga der japanischen Konkurrenz hinterherhinkt, bleiben Honorarsprünge außer Sichtweite. Die fehlende Akzeptanz deutscher Manga sei ein Riesenproblem, sagt auch David Füleki. Eigentlich zeichne sich die Manga-Szene durch eine extrem offene Weltanschauung aus. "Aber komischerweise ist da so ein Knick drin, wo man sagt, deutsche Manga, das akzeptieren wir noch nicht. Nicht alle, also wir reden hier von einem gewissen Teil, aber der Teil macht trotzdem aus, ob es für uns wirtschaftlich Sinn macht."

Der offene Brief der Übersetzerinnen und Übersetzer gibt an, dass die Mehrheit von ihnen laut interner Umfrage unter den aktuellen Bedingungen nicht langfristig weiterarbeiten will. Tatsächlich sind viele Zeichner und Übersetzerinnen bereits am Druck zerbrochen.

Zeichnen rund um die Uhr: Einige zerbrechen am Druck

Die Hamburgerin Olga Schikunov, Künstlerinnen-Name Olschi, ist eine davon. Im Januar 2024 zog sie sich vom Manga-Zeichnen zurück. Bis dahin habe Manga jede Minute neben ihrem Zweitjob eingenommen: "Wenn ich Spätschicht habe, dann muss ich davor zeichnen. Wenn ich Frühschicht habe, dann danach. Dann hatte ich ein paar Tage frei. Da wird gezeichnet. Am Wochenende wird gezeichnet", erinnert sich Olschi. Die Leidenschaft fürs Manga-Zeichnen lässt sie aber weiterhin nicht los. Sie sei in psychotherapeutischer Behandlung und hoffe, bald wieder die Kraft für die Rückkehr ins professionelle Zeichnen zu haben. Allerdings haben sich die Rahmenbedingungen der Manga-Branche in Deutschland nicht verändert.

Manga-Zeichnerin Olga Schikunov
Zeichnerin Olga Schikunov musste sich vom Manga zurückziehen. Bildrechte: Tycho Schildbach (MDR)

Angst vor der Zukunft: Verband kündigt Kampagne zur Leipziger Buchmesse an

Übersetzerin Franziska Riedel möchte ihren Beruf nicht aufgeben. Sie schaut aber sorgenvoll in ihre Zukunft: "Jetzt sind meine Auftragsbücher voll und ich sehe irgendwie trotzdem noch nicht so richtig dieses Spar- und Vorsorgepotenzial." Wie lange sie noch unter der Arbeitslast weitermachen kann, weiß sie nicht. Selbst kurze Urlaube wären aktuell nur möglich, wenn sie die verlorene Arbeit vor- oder nacharbeite. "Das wäre schön, wenn sich das in fünf Jahren geändert hätte und ich auch mal zwei Wochen Urlaub machen könnte, ohne mir Gedanken zu machen."

Ihr Verband, der VdÜ, kündigt eine Kampagne für die Leipziger Buchmesse an. Man wolle über die Arbeitsbedingungen der Übersetzerinnen und Übersetzer informieren und dadurch den Druck auf die Verlage erhöhen. Anschließend seien weitere Schritte geplant.

Die Exactly-Reportage "Stress, Burnout, Ausbeutung: Womit Manga-Zeichner in der Comic-Industrie kämpfen" dokumentiert die ausführliche Recherche zum Thema. Der Film in der ARD Mediathek und auf dem YouTube-Kanal @MDRInvestigativ zu sehen.

MDR (Tycho Schildbach)

Dieses Thema im Programm: Exactly | 17. März 2025 | 17:00 Uhr

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