Strukturwandel Was Ansiedlungen von Bundesbehörden im ländlichen Raum bringen
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08. Juli 2021, 20:51 Uhr
Gera, Naumburg, Weißwasser: Einige mittelgroße Städte in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen wurden in den vergangenen Jahren zum Standort von Bundesbehörden oder bundeseigenen Unternehmen. Der Volkswirtschaftsprofessor Niklas Potrafke untersucht, welche Chancen und Probleme Behördenansiedlungen mit sich bringen – und erklärt, warum unklar ist, ob die von der Politik erhofften Effekte der Ansiedlungen überhaupt eintreten.
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Warum Bundeseinrichtungen quer über das Land verteilt werden
Nach Gera zieht eine Außenstelle der Bundeszentrale für politische Bildung, Naumburg ist neuerdings die Heimat der Mobilfunkinfrastrukturgesellschaft des Bundes und in Weißwasser sitzt seit Kurzem eine Außenstelle des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle. Solche Behördenan- und -umsiedlungen sind politisch gewollt, nicht nur in Mitteldeutschland. Sie sollen helfen, den Strukturwandel in ländlichen Regionen voranzutreiben.
Die gezielte Ansiedlung von Bundeseinrichtungen, also Bundesbehörden oder bundeseigenen Unternehmen, im ländlichen Raum ist Teil des Strukturstärkungsgesetzes für Kohleregionen. Auch die Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse", die von der Bundesregierung eingesetzt wurde, um Maßnahmen gegen unterschiedliche regionale Entwicklungen in Deutschland zu entwickeln, empfiehlt die An- und Umsiedlung von Behörden, um urbane Ballungszentren zu entlasten und gleichzeitig ländliche Regionen durch die Schaffung von Arbeitsplätzen zu stärken.
"In jüngster Zeit haben Behördenansiedlungen als politisches Instrument stark an Popularität gewonnen", sagt der Volkswirtschaftsprofessor Niklas Potrafke vom Münchener ifo Institut, der in einer Studie die Ansiedlung von Behörden im ländlichen Raum untersucht.
"Der dahintersteckende Gedanke ist recht simpel: Schafft eine neu anzusiedelnde Behörde zum Beispiel 100 Arbeitsplätze, werden dadurch Menschen in die Region gelockt, die meist nicht allein kommen, sondern Familienmitglieder mitbringen, die auch in der Region arbeiten wollen, die sich die Haare schneiden lassen wollen, die einkaufen wollen. Es soll also ein Prozess in Gang gesetzt werden, um die Wirtschaft in einer Region zu stimulieren", so Potrafke.
Zur Person: Das ist Niklas Potrafke
Der gebürtige Berliner Niklas Potrafke ist Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft, an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Außerdem leitet der 41-Jährige das ifo Zentrum für öffentliche Finanzen und politische Ökonomie.
Warum unklar ist, ob die erhofften Effekte überhaupt eintreten
Die tatsächlichen Effekte von Behördenansiedlungen wurden bislang kaum erforscht. "Es gibt lediglich eine Handvoll Studien, die vereinfacht gesagt zu dem Ergebnis kommen, dass durch die An- oder Umsiedlung einer Behörde für jeden Arbeitsplatz im öffentlichen Sektor ein weiterer Arbeitsplatz im privaten Sektor geschaffen wird", sagt Volkswirt Potrafke.
Allerdings: Bisherige Studien, die Potrafke und sein Team analysiert haben, haben nur einzelne Ansiedlungen untersucht und basieren oft auf Daten dem Ausland. Auf andere und aktuelle Fälle, etwa die Ansiedlung von Bundeseinrichtungen in Mitteldeutschland, sind sie daher nur bedingt übertragbar.
Bis wir verlässliche Aussagen haben, müssen wir noch einige Jahre forschen.
Unklar ist auch, ob Menschen, die in einer neu angesiedelten Bundeseinrichtung arbeiten, tatsächlich in der Region leben, oder ob sie stattdessen pendeln oder im Homeoffice arbeiten und die erhofften wirtschaftlichen Effekte entsprechend kleiner ausfallen. Potrafke und sein Team untersuchen in ihrer Studie zwei Fälle im Detail: die Umsiedlung einer bayerischen Landesbehörde und die Neuansiedlung der Außenstelle des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle in Weißwasser. Zumindest in diesen beiden Fällen werde bewusst darauf geachtet, vorwiegend Menschen aus der Region einzustellen und Pendelstrukturen nicht zu stärken, sagt Potrafke.
Welche Probleme eine An- oder Umsiedlung in ländliche Regionen für die Behörden mit sich bringt
Bei der Studie des Teams um Niklas Potrafke erwies sich die Verlagerung einer Behörde im Vergleich zur Neuansiedlung als schwierigeres Unterfangen. "Bei einer Umsiedlung scheinen verunsicherte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und in der Folge sinkende Produktivität ein Problem zu sein", sagt Potrafke. Bei einer Neuansiedlung sei es dagegen die größte Herausforderung, geeignetes Personal für Führungspositionen zu finden, insbesondere in Regionen fernab von Großstädten.
Welche Kriterien entscheiden, wo eine Behörde angesiedelt werden soll
Die Entscheidung, welche Einrichtung wo angesiedelt werden soll, fällt in der Regel hinter verschlossenen Türen. Die Kriterien, die dabei angelegt werden, sind auch für die Forschenden um Niklas Potrafke unklar. Zum einen dürfte es einen Anforderungskatalog geben, in dem es etwa um Fachkräftepotenzial, Infrastruktur und Arbeitslosigkeit in den potenziellen Ansiedlungsregionen geht, so Potrafke.
Sicher sei aber auch, dass nicht allein objektive Kriterien in die Entscheidung einfließen, sondern dass bei den meisten An- und Umsiedlungen politische Motive eine Rolle spielen. "Gibt es zum Beispiel einen Bürgermeister, eine Landtagsabgeordnete oder einen Bundestagsabgeordneten aus der Region, der oder die sich auf nächsthöher gelegener Ebene für die Ansiedlung stark macht, dann ist das ein wichtiger Faktor", sagt Potrafke.
Über den Autor
Lucas Riemer arbeitet seit Juni 2021 bei MDR SACHSEN-ANHALT. Der gebürtige Wittenberger hat Medien- und Kommunikationswissenschaft in Ilmenau sowie Journalismus in Mainz studiert und anschließend mehrere Jahre als Redakteur in Hamburg gearbeitet, unter anderem für das Magazin GEOlino.
Bei MDR SACHSEN-ANHALT berichtet er vor allem über kleine und große Geschichten aus den Regionen des Landes.
MDR/Lucas Riemer