
Klassikerlesung | 03.02. bis 28.02. 2025 Kurt Böwe liest "Grete Minde" von Theodor Fontane
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03. Februar 2025, 04:00 Uhr
"Grete Minde" – nach einer wahren Geschichte
Tangermünde im Jahr 1615. Das Waisenkind Grete Minde – zu Beginn der Handlung 13 Jahre alt – wächst in der Familie ihres kaltherzigen Stiefbruders Gerdt auf. Trost und Zuwendung findet Grete nur bei der alten Regine, die seit langer Zeit dem Hause Minde als Haushälterin dient. Und auch der etwas ältere Nachbarjunge Valtin Zernitz steht Grete bei: Aus der kindlichen Freundschaft entwickelt sich bald zarte Liebe. Als sich die Situation zuspitzt, fliehen sie. Doch das Glück ist dem jungen Paar nicht hold.
Doch, doch. Denn sieh, Liebe will ich, und das ist viel.
Als Theodor Fontane sich im Jahr 1878 in Tangermünde aufhielt, entdeckte er die tragische Geschichte in den altmärkischen Chroniken. Sie inspirierte ihn zu seiner Novelle "Grete Minde", in der er jedoch von den historischen Gegebenheiten abwich.
Dem Waisenmädchen Margarete von Minden, reales Vorbild von Fontanes Grete, wurde damals übel mitgespielt. Nach dem verheerenden Stadtbrand in Tangermünde am 13. September 1617 wurde sie der Brandstiftung verdächtigt – grausam gefoltert und hingerichtet, weil der Rat der aufgebrachten Stadtbevölkerung eine Schuldige präsentieren musste. Ihr Motiv soll Rachsucht gewesen sein, wegen des ihr vorenthaltenen Erbes. Historiker jedoch zweifeln ihre Schuld an. Erst 2009 wurde in Tangermünde ein Denkmal für die junge Frau aufgestellt: Die Bronzeskulptur zeigt Margarete von Minden – gebeugt und in Ketten.
Vielschichtige Frauenfiguren
Fontane hat die Charaktere seiner Novelle psychologisch-fein ausgearbeitet. So Gretes missgünstige "Schwieger" Trud: Die Frau ihres Halbbruders Gerdt bekommt in ihrer Ehe keine Liebe und lässt das an Grete aus. Sie duldet niemand im Haus, der glücklicher ist als sie. Auch die lebenslustige Emrentz, die noch sehr junge Stiefmutter von Valtin, mit einem älteren Mann verheiratet, wird leicht zum Spielball von Truds Ränke. Dabei erfreut sich Emrentz an der innigen Freundschaft zwischen Grete und Valtin. An einer Stelle sagt sie zu Trud: "Halte dich ans Leben; ich tu's und getröste mich mit der Zukunft. Und wenn der alte Zernitz eine zweite Frau nahm, warum sollt ich nicht einen zweiten Mann nehmen? Da hast du meine Weisheit, und warum es mir gedeiht. Lache mehr und bete weniger."
Religionsfreiheit und Diskriminierung
In Tangermünde hält man es mit dem protestantischen Glauben – und der Kurfürst hat zudem Religionsfreiheit ausgerufen. Doch Gretes verstorbene Mutter, die aus Flandern stammte und deshalb als "Fremde" gilt, war dem alten katholischen Glauben verpflichtet. Das Einzige, was Grete von ihr geblieben ist, trägt sie um den Hals: Eine Kette mit einem Splitter von Jesu Christi Kreuz. Das ist vor allem Trud ein Dorn im Auge. Sie behauptet, an Grete sei etwas "Böses". Der lutherische Pastor Gigas hingegen ist toleranter und sieht Gretes guten Charakter. Er sagt zu Trud "Ihr verkennt es. Es ist ein verzagtes Herz und kein trotzig Herz. Ich sah, wie sie zitterte, und der Spruch, den sie sagen wollte, wollt ihr nicht über die Lippen. Nein, es ist ein gutes Kind und ein schönes Kind. Wie die Mutter."
Über den Schriftsteller Theodor Fontane
Theodor Fontane wurde am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geboren und kam 1833 nach Berlin. Er erlernte den Apothekerberuf und arbeitete anfänglich in Leipzig und Dresden, ab April 1841 in der Leipziger Apotheke "Zum weißen Hirsch" in der Hainstrasse und ab Juli 1843 in der Salomonis-Apotheke in Dresden. Während der Märzrevolution 1848 veröffentlichte er einige radikale Texte in der Zeitschrift "Berliner Zeitungshalle". 1849 gab er den Apothekerberuf auf, um sich als Journalist und freier Schriftsteller zu etablieren. Zu seinen erfolgreichen Erzählwerken zählen "Irrungen, Wirrungen" (1888), "Frau Jenny Treibel" (1893), "Effi Briest" (1895) und "Der Stechlin" (1899). Fontane starb am 20. September 1898 in Berlin.
Über den Schauspieler Kurt Böwe
Kurt Böwe wurde am 28. April 1929 in Reetz; Mark Brandenburg geboren. Trotz bestandener Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule des Deutschen Theaters studierte er zunächst Germanistik und Theaterwissenschaften in Berlin, um eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Später wechselte er dann aber ins Schauspielfach, von der Studentenbühne ans Maxim-Gorki-Theater, danach ans Landestheater Halle. Von 1973 bis 1997 gehörte er zum Ensemble des Deutschen Theaters Berlin. Mit unverwechselbarer Intensität gestaltete er seine Figuren auch in Film und Fernsehen, in zahlreichen Hörspielen beim Rundfunk, auf Schallplatten und Hörbüchern. Für MDR KULTUR las er u.a. Erich Loests Autobiografie "Durch die Erde ein Riss". Einem breiten Publikum wurde er vor allem durch seine Rolle als Kriminaloberkommissar Kurt Groth in der Reihe Polizeiruf 110 bekannt. Kurt Böwe starb am 14. Juni 2000 in Berlin.
Angaben zur Sendung
MDR KULTUR Klassikerlesung
Sendung im Radio: 03.02. bis 28.02. 2025
Montag bis Freitag jeweils 14:10 Uhr
Grete Minde
Von Theodor Fontane
Lesung mit Kurt Böwe
Produktion: MDR 1995
20 Folgen
Die 20 im Radio ausgestrahlten Folgen sind online in zehn Teile zusammengefasst und bis zum 3. Februar 2026 verfügbar.
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR Lesezeit | 03. Februar 2025 | 14:10 Uhr