Joachim Ringelnatz mit Skulptur (ca. 1925)
Joachim Ringelnatz (Aufnahme von 1925) war Dichter, Kabarettist, Schriftsteller und Maler. 1883 wurde er in Wurzen geboren. Bildrechte: IMAGO / Eventpress

Unvergessener Humor Joachim Ringelnatz: Die zehn beliebtesten Gedichte

10. September 2024, 12:36 Uhr

Joachim Ringelnatz ist bekannt für seine witzigen und einprägsamen Reime ("Die Ameisen", "Der Husten", "Der Briefmark") und den Seemann Kuttel Daddeldu. Am 7. August 1883 wurde der Schriftsteller und Kabarettist unter dem Namen Hans Bötticher im sächsischen Wurzen geboren. Am 17. November 1934 starb er im Alter von nur 51 Jahren an Tuberkulose. Wir erinnern mit zehn Gedichten an den einzigartigen Unterhaltungskünstler.

1. Der Pflasterstein

Joachim Ringelnatz ist berühmt für seine tiefgründige Nonsens-Poesie. In seinen humorvollen Gedichten verwendet er meist eine lakonische, ungekünstelte Alltagssprache:

Der Pflasterstein Ein Pflasterstein, der war einmal
Und wurde viel beschritten.
Er schrie: "Ich bin ein Mineral
Und muss mir ein für allemal
Dergleichen streng verbitten!"

Jedoch den Menschen fiel's nicht ein
Mit ihm sich zu befassen,
Denn Pflasterstein bleibt Pflasterstein
Und muss sich treten lassen

2. War einmal ein Schwefelholz

Ringelnatz wurde am 7. August 1883 in Wurzen als Hans Bötticher geboren. Bis zum Ersten Weltkrieg veröffentlichte er seine Werke noch unter diesem Namen, wie etwa das Gedicht vom Schwefelholz aus dem Jahr 1912, heute als typisches Ringelnatz-Gedicht bekannt:

War einmal ein Schwefelholz War einmal ein Schwefelholz,
Das sich mit erhab’nem Stolz
Einen Anarchisten nannte
Und ein ganzes Haus verbrannte.
Dieses war schon ungewöhnlich,
Doch es kannte auch persönlich
Meyers Taschenlexika,
Ganz speziell das Bändchen "A",
Weshalb es sich nach dem Brande
An besagtes Bändchen wandte
Mit den Worten: "Sag, was ist
Eigentlich ein Anarchist?"

3. Die Ameisen

Ringelnatz' sehnlichster Wunsch war, als Seemann ferne Länder zu bereisen. Doch dieser Traum erfüllte sich für ihn nicht, denn seine Augen taugten nicht für den Dienst auf See. Das Reisen wie auch der Verzicht, spielen auch eine Rolle in einem von Ringelnatz' bekanntesten Gedichten:

Die Ameisen In Hamburg lebten zwei Ameisen,
Die wollten nach Australien reisen.
Bei Altona auf der Chaussee
Da taten ihnen die Beine weh,
Und da verzichteten sie weise
Denn auf den letzten Teil der Reise.

So will man oft und kann doch nicht
Und leistet dann recht gern Verzicht.

Der deutsche Schriftsteller, Lyriker und Kabarettist Joachim Ringelnatz (eigentlich Hans Bötticher) beim Malen eines Bildes. (Undatierte Aufnahme) 2 min
Bildrechte: picture-alliance / dpa | Friedrich Rohrmann
2 min

Do 21.04.2022 16:31Uhr 01:48 min

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4. Matrosensang

Zeitlebens aber fühlte sich Ringelnatz dennoch als Seemann. Das lebte er vor allem in seinen Gedichten vom knurrigen Seemann Kuttel Daddeldu aus, die bis heute gerne zitiert werden. Dieser Kunstfigur widmete Ringelnatz 1920 mit "Kuttel Daddeldu oder das schlüpfrige Leid" einen ganzen Gedichtband.

Matrosensang Herr Steuermann, ach Steuermann,
Mein Herz ist gar so schwer.
"So bind ein gut Stück Eisen dran
Und wirf es über Bord ins Meer."

Ob meine schwangere Liebste weint?
Eine Trän? Zwei Trän? Drei Trän?
Ho! Meine krumme Mutter meint,
Ich sei ein reicher Kapitän.

Ist Mutters Haus mit Stroh gedeckt,
Wie sie sich freuen kann.
Doch wie ein Sturm mit Branntwein schmeckt,
Das geht sie einen Hundsdreck an.

5. Ich habe dich so lieb

Auch das Thema Liebe spielte bei Ringelnatz – wie wohl bei den meisten Dichtern – eine große Rolle. Doch statt mit großen lyrischen Gesten der Geliebten die Sterne vom Himmel zu holen, sind auch seine Liebesgedichte meist witzig und voller Herzlichkeit, aber dennoch voller Tiefe. 

Ich habe dich so lieb Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.

Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.

Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.

Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.

Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.

6. Der Briefmark

Und auch beim Thema Liebe bliebt der Kabarettist Ringelnatz seinem Stil treu und setzte auf kurze, einprägsame und amüsante Verse, wie in "Der Briefmark":

7. Ansprache eines Fremden

Ringelnatz selbst fand seine große Liebe in Leonharda Pieper, die er 1920 heiratete und liebevoll Muschelkalk nannte. Während er mit seinen Gedichten und Balladen oft wochenlang durch die Kabaretts im Land tourte, kümmerte sich Muschelkalk zuhause um die Korrespondenz, die Manuskripte und seine Engagements. Auch nach dem Tod ihres Mannes veröffentlichte sie weitere seiner Werke. Muschelkalk Ringelnatz tauchte in verschiedenen Gedichten ihres Ehemannes auf:

Aus "Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforce-Monument" Ich habe auch kein richtiges Herz
Ich bin nur ein kleiner unanständiger Schalk.
Mein richtiges Herz das ist anderwärts,
irgendwo im Muschelkalk.

In einer Ausstellung ist 2008 vor den Bildern von Joachim Ringelnatz und seiner Frau Leonharda Pieper ein Zettel mit einer Mitteilung an seinen Bruder zu sehen.
Seine Frau nannte Ringelnatz Muschelkalk. Auch sie taucht in mehreren seiner Verse auf. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Waltraud Grubitzsch

8. Melancholie

Bei vielen ist Ringelnatz vor allem für seine kurzen, lustigen Verse berühmt. Doch bei aller Satire und Heiterkeit beschäftigte er sich in seinen Werken auch mit schwereren Themen:

Melancholie     Von weit her Hundebellen
Klingt durch die nächtliche Ruh.
Es spülen die schwarzen Wellen
Mein Boot dem Ufer zu.

Die blauen Berge der Ferne
Winken am Himmelssaum.
Auf in den Lichtbann der Sterne
Trägt mich ein Traum.

Stumm ziehen wilde Schwäne
Über das Wasser hin.
Mir kommt eine müde Träne.
Ich weiß nicht, warum ich so bin.

9. Der Husten

Unter den zahlreichen lyrischen Werken von Ringelnatz findet sich auch das ein oder andere Kindergedicht. In folgendem kurzen und einprägsamen Gedicht schreibt er über einen bösen Husten, als wäre dieser eine Person. Kindern sollte dieses Gedicht verdeutlichen: Auch wenn die Medizin nicht schmeckt, nehmt sie, denn sie heilt. Tragisch: Ringelnatz selbst starb am 17. November 1934 an der Lungenkrankheit Tuberkulose, bei der ein böser Husten zu den ersten Symptomen zählt:  

Der Husten Es war einmal ein schlimmer Husten,
Der hörte gar nicht auf zu pusten.
Zwar kroch er hinter eine Hand,
Was jedermann manierlich fand,
Und doch hat ihn der Doktor Lieben
Mit Liebens Malzbonbon vertrieben.

10. Ehrgeiz

In seinem Gedicht "Ehrgeiz" träumt Ringelnatz von einer Gasse, die seinen Namen trägt. Mittlerweile gibt es nicht nur mehrere Ringelnatzstraßen, seine Heimatstadt Wurzen erfüllte ihm auch den Wunsch nach einem kleinen Ringelnatzgässchen. Am 15. Mai 2008 erhielt eine kleine Gasse in der Wurzener Innenstadt diesen Namen.

(Quelle: Eigenrecherche MDR KULTUR / Redaktion: Cornelia Winkler)

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. August 2023 | 06:40 Uhr