Buch zum 20. Todestag Gerhard Gundermann: Singen, Baggern, Spitzeln, Rebellieren
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16. Juni 2023, 17:52 Uhr
Gerhard Gundermann war alles, was man in der DDR nur sein konnte: Baggerfahrer und Liedermacher, Offiziersschüler und Befehlsverweigerer, Genosse, Stasi-Spitzel und Rebell – und das alles nicht nacheinander, sondern auf einmal. Er wollte das so. Und es hat ihn zerrissen. Das Buch "Gundermann – Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ...", herausgegeben von Andreas Leusink, beleuchtet sein Leben, das 1998 ein plötzliches Ende fand.
Andreas Leusinks Buch zu Gerhard Gundermann ist eine Annäherung an diesen merkwürdigen Menschen. Es zeigt den schüchternen, blassen Jungen. Beleuchtet die traumatische Beziehung zum Vater, der den Kontakt zum Sohn abbricht. Erinnerungen, Dokumente und Interviews mit Weggefährten zeigen einen Besessenen, dem es ernst ist: mit der Arbeit und mit den Idealen. Er ist Parteimitglied aus Überzeugung und zugleich unversöhnlicher Kritiker. Einen Funktionär beschimpft er wegen Inkompetenz und droht ihm sogar Prügel an. 1984 wird er aus der SED ausgeschlossen, die rote Fahne über seinem Bagger bleibt.
Immer über die Grenzen
Der Musiker Lutz Kerschowski trifft Gundermann 1977 in Hoyerswerda. Er sagt über ihn: "Meiner Meinung nach kannte er damals fast nur die Arbeit, er hatte keine Freundin, er hat nicht geraucht, er hat nicht getrunken, er war fast Asket, würde ich sagen, war entweder auf seinem Bagger oder im Proberaum oder hat zu Hause Texte geschrieben. Und wenn er von den anderen 100 Prozent verlangte, hat er 200 gegeben. Und wenn die anderen sich dann so richtig Mühe gegeben haben, haben 200 gegeben, dann war er längst bei 300." Doch wieviel Prozent Gundermann auch immer gibt, irgendwie ist es nie genug.
Die Stärke seiner Lieder, die Stärke seiner Songs ist so, dass sie Zeiten überdauert. Wenn Sie sich die Lieder anhören, merken Sie - oder viele Menschen merken, oder ich merke - dass mich eine ganze Reihe davon im Innern treffen.
Überzeugungstäter und Überzeugungsopfer
Gundermann, auch das zeigt das Buch, ist Überzeugungstäter und Überzeugungsopfer zugleich. 1976 verdingt er sich als IM mit Deckname "Grigori" für das Ministerium für Staatssicherheit. Er will Missstände im Tagebau aufdecken, verletzt in seinem Eifer auch die Privatsphäre anderer, vielleicht, weil er sich selbst keine zugesteht. Er ist gnadenlos gegen Freund und Feind - bis er begreift, dass man an Verbesserungen nicht interessiert ist, sondern ihn nur abschöpft. 1984 bricht er den Kontakt zur Stasi ab und wird selbst zum feindlichen Objekt.
Andreas Leusink, der Herausgeber des Gundermann-Buches beschreibt diese Diskrepanz so: "Wie wir so schön sagen, Gundermann war ein Widerspruch auf zwei Beinen, ja. Er hat viele Dinge auch einfach vergessen und verdrängt. Tatsächlich hat er eben auch Freunde, Kollegen verraten. Und als er damit konfrontiert wurde, oder sich selbst damit konfrontiert hat, Anfang der 90er-Jahre, konnte er es gar nicht begreifen."
Debakel als Inspiration
Gundermanns Debakel und das Debakel seines Landes, das wird nun das Thema seiner Lieder: das Scheitern, die Vergeblichkeit. Anders als andere verkriecht er sich nach der Wende nicht. Singt von Verlierern, von Verführten, von der Sehnsucht - und wenn es die nach Rattenfängern ist. Auch vom Verlust der Heimat, die er selbst mit weggebaggert hat. Er habe, sagt er, auf das richtige Pferd gesetzt, doch das Pferd hat nicht gewonnen.
Der Musiker Lutz Kerschowski meint: "Wenn man von Gundermann spricht, und das macht ihn für viele auch heute noch so interessant, muss man eben auch von Politik sprechen. Weil, er war ein sehr politischer Mensch. Er war ein sehr politischer Künstler. Er hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich als Kommunist sieht, war ja quasi mit der DDR verheiratet, verstritten und […] hing aber fast verbissen daran. Viele andere von uns waren ja auch froh, dass sie diese DDR los waren, die sie bevormundet hat und kontrolliert. Aber ich glaube, er hat viel mehr verloren. Und deshalb war auch viel mehr Melancholie und Traurigkeit darin."
Seit Gundermanns Tod 1998 mit nur 43 Jahren ist aus dem Baggerpiloten eine Art posthumer Popstar geworden. Für Fans ist das nun erschienene Erinnerungsbuch von Andreas Leusink eine Fundgrube. Anders als der Kinofilm zeigt es, dass Gundermanns Leben mehr war als eine verkorkste Stasi-Episode.
Angaben zum Buch
"Gundermann - Von jedem Tag will ich was haben, was ich nicht vergesse ..."
Briefe, Dokumente, Interviews, Erinnerungen
Herausgegeben von Andreas Leusink
184 Seiten, Klappenbroschur
ISBN: 978-3-96289-011-7
Ch. Links Verlag
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 21. Juni 2023 | 06:40 Uhr