Liedermacher, Texter und Baggerfahrer Gerhard Gundermann: Der singende Baggerfahrer aus Hoyerswerda
Hauptinhalt
14. Februar 2023, 09:27 Uhr
Gerhard Gundermann war nicht nur Baggerfahrer. Er war auch Rockpoet und die "Stimme des Ostens". Ein außergewöhnlicher Mensch mit einer außerordentlichen Biografie voller Ecken und Kanten, für die das Lausitzer Revier und die einstige "sozialistische Wohnstadt" Hoyerswerda den Hintergrund bilden.
Die Tage bis zum Ende der DDR wurden längst rückwärts gezählt, als eine ungewöhnliche und einmalige Zusammenarbeit zwischen der erfolgreichen Rockband Silly und dem bekannten Liedermacher Gerhard Gundermann begann. Für das Album "Februar" brauchte die Band dringend einen Texter. Der AMIGA-Chefredakteur René Büttner brachte Gundermann ins Spiel, zur Verwunderung der Ostrocker.
Der hat gesagt, ich kenn' da diesen Liedermacher, da hab ich gedacht, um Gottes Willen, ich konnte mir das gar nicht vorstellen…
Doch Gundermann konnte die erfolgreiche Rockband überzeugen, wie Ritchie Barton und Uwe Hassbecker später berichten. Der Liedermacher aus der fernen Lausitz hatte extra Urlaub von seiner Arbeit im Tagebau genommen, um mit Tamara Danz insgesamt acht Lieder in zwei Wochen entstehen zu lassen.
Zwischen Singeklub und Sozialismus
Bis zur Zusammenarbeit mit der Band Silly war es ein langer und verschlungener Weg für Gerhard "Gundi" Gundermann, der selbst nie eine künstlerische Ausbildung absolviert hatte. Geboren wurde er 1955 in Weimar. 1966 zog er mit seiner Mutter in die Lausitz. Die vom Tagebau gezeichnete Region um Hoyerswerda wurde nun die Heimat des Abiturienten, der schon in der Schule als Außenseiter galt. Die Schwierigkeiten sich einzuordnen, die man dem jungen Schüler attestierte, sollten in seinem späteren Leben noch Folgen haben. Selbstbewusstsein und Bestätigung fand er in der Musik. Mit 15 Jahren bekam er seine erste Gitarre, brachte sich selbst das Spielen bei und wurde Mitglied im Singeklub seiner Schule.
Mit 18 Jahren hatte sich Gundermann noch nicht ganz der Musik verschrieben. Auf den Spuren Ché Guevaras wollte er in die Welt ziehen, doch sein Weg führte ihn nicht nach Südamerika, sondern auf die nahe gelegene Offiziersschule in Löbau, wo er die Ausbildung zum Politoffizier absolvieren sollte. Dort gründete er seinen ersten Singeklub und geriet damit schnell in Konflikt mit seinen Vorgesetzten. Bei einem Besuch des DDR-Verteidigungsministers weigerte er sich das Lied "Unser General" anzustimmen. Die Entlassung aus "Mangel an Verwendungsfähigkeit" folgte für den hageren jungen Mann auf dem Fuße.
Der singende Baggerfahrer
Den Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit im real existierenden Sozialismus hatte Gundermann mit seinem Gastspiel bei der Armee kennengelernt. Zurück in der Lausitz, wurde er Hilfsarbeiter im Tagebau Spreetal. Dort machte er in Rekordzeit die Ausbildung zum Facharbeiter für Tagebaugroßgeräte auf der Abendschule und arbeitete ab 1978 als Baggerfahrer. Ein politischer und musikalischer Kopf blieb Gundermann trotz oder gerade wegen der harten Arbeit im Tagebau. Aktiv im Singeklub in Hoyerswerda, war er auch für die Stasi interessant, die ihn als Inoffiziellen Mitarbeiter warb. Doch was Gundermann berichten wollte, waren wohl weniger die heißen Infos aus der Kulturszene. Seine Strategie, mit Hilfe des MfS hohe Parteikader, Bonzen und Stalinisten anzuzählen, ging grandios daneben.
Abgelehnt haben wir an ihm seine prinzipielle Eigenwilligkeit, das Nichteinfügen ins Kollektiv, Nichtverstehenwollen des Prinzips des demokratischen Zentralismus.
In derselben Zeit mischte Gundermann nicht nur die Kulturszene in Hoyerswerda auf, sondern auch die Betriebsparteileitung. Womit er in den Versammlungen kein Gehör fand, verarbeitete er künstlerisch mit seiner Band "Brigade Feuerstein" in Liedern und Bühnenstücken. Zwischen Auftritten im Ausland, einer strengen Rüge und schließlich einem Parteiausschlussverfahren spielte sich das rastlose Schaffen Gundermanns in dieser Zeit ab.
Liedermacher ohne Allüren
Ab Mitte der 1980er-Jahre trat Gundermann allein als Liedermacher auf, gewann Preise und veröffentlichte seine erste Platte. Seiner Heimat blieb er genauso treu wie dem Tagebau. Hier konnte er sich "erden" und im Takt seines Schaufelbaggers Lieder schreiben. Selbst als er nach dem Fall der Mauer zum gefragten Künstler avancierte, der ohne weiteres von seiner Musik hätte leben können, blieb er seinem Bagger treu. Legendär wurde, wie er zwischen zwei Schichten hunderte von Kilometern zu einem Auftritt zurücklegte.
Als es mit dem Erfolg los ging, haben wir ihm gesagt, Gundi, du kannst da nicht weiter machen, du pennst irgendwann im Auto ein, nach dem Konzert, wenn du nach Hause fährst und am nächsten Tag wieder auf dem Bagger sitzt. Du kannst von der Musik leben, also mach das auch. Und er sagte, er kann darauf nicht verzichten, weil der Rhythmus der Schaufeln ihn inspiriert und nur da kann er Texte schreiben. Das war sein Reich!
Anfang der 1990er-Jahre gründete er die Band "Seilschaft" und blieb mit ihr auch nach den Jahren mit Silly und der Offenlegung seiner IM-Tätigkeit erfolgreich. Trotz seines widersprüchlichen und verschlungenen Lebensweges, von Opfer bis Täter, von Petze bis Rebell, leben vor allem seine Lieder fort. Auch in Westdeutschland werden seine Lieder von Bands wie der "Randgruppencombo" oder auch von "Tatort"-Kommissar Axel Prahl gesungen. Ein Jahr, nachdem er als Baggerfahrer arbeitslos wurde und eine Umschulung zum Tischler absolviert hatte, starb Gerhard Gundermann in der Nacht vom 21. zum 22. Juni 1998 in Spreetal bei Hoyerswerda.
Diskografie
1988 "Männer, Frauen und Maschinen"
1992 "Einsame Spitze"
1993 "Der 7. Samurai"
1995 "Frühstück für immer"
1997 "Engel über dem Revier"
1998 "Krams"