Erinnerung Werner Tübke – die faszinierenden Bilderwelten des DDR-Malers
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30. Juli 2024, 04:00 Uhr
Werner Tübke (1929-2004) war ein deutscher Maler, der vor allem für seine monumentalen Gemälde bekannt geworden ist. Darunter das berühmte Panorama "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland", zu sehen in Bad Frankenhausen: Entgegen der Vorstellungen seiner DDR-Genossen, inszenierte er darin statt heroischer Bauern eine große Passionsgeschichte. Am 30. Juli 2024 wäre der Künstler 95 Jahre alt geworden – ein Blick auf sein künstlerisches Vermächtnis.
"Wissen Sie", meinte Werner Tübke mal, "wenn ich durch ein Museum gehe und mir die Arbeiten eines anderen Künstlers ansehe, denke ich, den müsstest du mal besuchen, und dann stelle ich fest, der lebt ja gar nicht mehr!" Auch die Werke des Leipziger Malers, der am 30. Juli 2024 95 Jahre alt geworden wäre, scheinen auf den ersten Blick wie aus der Zeit gefallen.
Opus magnum: Das Bauernkriegspanorama in Bad Frankenhausen
Tübkes Vorbilder hießen Albrecht Dürer oder Lucas Cranach, Matthias Grünewald, Pieter Bruegel oder Hans Baldung Grien. Dabei "bediente" er sich bei den altdeutschen und italienischen Meistern, um einen auf seine Art realistischen Bildkosmos zu schaffen. Gegenwart war für den Künstler erinnerte Vergangenheit – so wie in seinem Opus magnum, dem kurz vor der Wende eingeweihten Bauernkriegspanorama auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen.
Über den "großen Unzeitgemäßen" (Eduard Beaucamp) sagt der Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner im Gespräch mit MDR KULTUR: Die figürliche Malerei sei oft für tot erklärt worden, doch wie Tübke aktuelle Zeitzeugenschaft und altmeisterlichen Stil zusammenbringe, das sei singulär. Seine Werke zeichneten sich durch hohe zeitgenössische Relevanz und technisches Können aus, auf einem Niveau, das man heute im 21. Jahrhundert in einer solchen Brillanz kaum mehr finde.
Durchaus umstritten: Tübke – ein DDR-Auftragsmaler?
Dabei war Tübke sowohl zu DDR-Zeiten als auch danach nicht unumstritten. Nach der Wende musste er sich den Vorwurf gefallen lassen, ein Auftragsmaler gewesen zu sein, der sich vom Zyklus "Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung" (1960/1961) über "Arbeiterklasse und Intelligenz" (1973) bis zum Bauernkriegspanorama in die Programmatik der DDR-Obrigkeit eingefügt habe.
Tatsächlich sollte Tübke in Bad Frankenhausen, wo die aufständischen Bauern unter der Führung von Thomas Müntzer 1525 vom Adels- und Landsknechtsheer vernichtend geschlagen wurden, ein Gemälde zur "Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland" erschaffen. Um zu illustrieren, dass erst mit der DDR-Bodenreform von 1946 die Ziele der Aufständischen eingelöst worden seien.
Arbeiten am Welttheater in Bad Frankenhausen: "Eine Viecherei"
Tübke indessen schuf in elf Jahren – zwischen 1976 und bis zur Einweihung am 14. September 1989 – ein epochales Gemälde über die Geburt der Neuzeit mit mehr als 3.000 Figuren. Sieben Jahre dauerten allein die Vorstudien und Modellzeichnungen. Danach stand der Maler mit seinen Helfern täglich zehn Stunden auf den Gerüsten, eine "Viecherei", wie er selbst sagte. Der Kritiker Eduard Beaucamp interpretierte das vollendete Werk als "Welttheater".
Das 14 x 123 Meter große Rundbild ohne Anfang und Ende transzendiere die historische Wirklichkeit des Bauernkrieges "in die Zeitlosigkeit der apokalyptischen Entstehung der Welt oder deren Untergang". Über die DDR-spezifischen Lebenserfahrungen des Künstlers hinaus werde das Werk zum Spiegel einer von Utopien enttäuschten Übergangszeit.
Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst.
Als nach der Wende Stimmen aufkamen, die die Schließung des Panoramas forderten und Tübke einen Staatskünstler nannten, entgegnete er, unabhängig geblieben zu sein, gerade bei der Arbeit in Bad Frankenhausen. Sich selbst verewigte Tübke, der die Wende nicht als großen Umbruch sah, darin als Harlekin. Nach seinem Opus magnum eigentlich körperlich am Ende arbeitete Tübke nach der Wende an zwei großen Aufträgen; einem Bühnenbild für del Monacos Neuinszenierung von Webers "Der Freischütz" in Bonn (1990-1993) und an einem Flügelaltar für die St. Salvatoris-Kirche in Clausthal-Zellerfeld (1993-1996).
Außerdem entstanden viele eigenständige, meist kleinformatige Gemälde mit typischem Personal, Narren und Harlekine sowie Porträts. Auf die Frage, ob er sich beschwert habe, dass auch seine Bilder in der umstrittenen DDR-Kunst-Schau in Weimar 1999 auftauchten, konterte er in seiner bekannt trockenen Art: "Nein, ich registriere so etwas eigentlich nicht (...) Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst."
Begründer der Leipziger Schule
Dabei gilt er gemeinsam mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer als Begründer der Leipziger Schule. Am 30. Juli 1929 in Schönebeck geboren, machte er zunächst eine Malerlehre. 1947 holte er das Abitur nach und studierte dann bei Ernst Hassebrauk und Elisabeth Voigt an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). 1950 sattelte er auf Kunstgeschichte und Psychologie um, das Studium an der Uni Greifswald schloss er zwei Jahre später ab. Von 1955 bis 1957 war er Assistent an der HGB.
Als unbequemer Querdenker entlassen, arbeitete er bis zu seiner Wiedereinstellung Ende 1962 fast fünf Jahre freischaffend. 1964 erfolgte seine Berufung zum Dozenten, 1972 übernahm er den Lehrstuhl für Malerei an der HGB. 1973 bis 1976 trat er die Nachfolge von Albert Kapr als Rektor der HGB an. Lehrer sei er dort sehr gern gewesen, sagte Tübke rückblickend – ein strenger allerdings:
Es war sehr schön. Der Unterricht begann um 8 Uhr. Im ersten halben Jahr kamen die Studenten dann so 8:30 Uhr – und durften wieder gehen.
Renaissance-Maler als "Wahlverwandte"
Auf die Frage, ob er sich als Künstler zu DDR-Zeiten mehr beachtet gefühlt habe, erklärte er in einem Zeitungsinterview, er könne das so nicht beantworten. Die 50er- und 60er-Jahre seien ganz schwierig für die Kultur gewesen. "Doch dann brauchte die DDR Valuta. Da ich Valuta produzierte, hieß es: Sie müssen mal wieder nach Frankreich oder Italien, malen. Ich bekam 15 Prozent des Bildererlöses, der Staat 85. Auf diese Art hatte ich aber Gelegenheit, Europa kennenzulernen, jung genug."
Den "ganzen mediterranen Raum" betrachtete Tübke als seine "wahre künstlerische Heimat", die großen Renaissance-Maler als seine "Wahlverwandten". 1971 war er das erste Mal nach Italien gereist, der Mailänder Kunsthändler Emilio Bertonati hatte eine Wanderausstellung organisiert, die Tübke international bekannt machte. Nachdem ihm die elf Jahre währende, körperlich zehrende Arbeit am Bauernkriegspanorama "seiner Gegenwart und Umwelt fast entfremdet" hatte, begab er sich auf Reisen in den Süden, um wieder an Licht und Luft zu kommen.
Im Mai 2004 eröffnete das Panorama Museum in Bad Frankenhausen die Werkschau "Faszination Mittelmeer" mit Bildern aus mehr als 30 Jahren. Zur Eröffnung konnte er wegen seines Gesundheitszustandes nicht mehr kommen. Tübke starb am 27. Mai 2004 im Alter von 74 Jahren in Leipzig. Dort gab es auch im Jahr seines 90. Geburtstages keine große Schau. Dafür wurde in Schönebeck an den berühmten Sohn der Stadt erinnert; das Panorama Museum in Bad Frankenhausen zeigte Bilder seiner ersten Reise in die Sowjetunion: "Werner Tübke. Von Petersburg bis Samarkand – Unter fremden Menschen".
Neuer Blick auf "Kunst in der DDR"
Und 30 Jahre nach dem Mauerfall widmete sich der Kunstpalast in Düsseldorf 2019 in einer großen Sonderausstellung der DDR-Kunst: "Utopie und Untergang. Kunst in der DDR". Zu sehen sein sollten auch mehrere Hauptwerke "der seit der documenta 1977 als offizielle Maler der DDR wahrgenommenen Künstler Bernhard Heisig, Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Willi Sitte", um "tiefere Einblicke in deren Schaffen" zu ermöglichen. Dafür sei die Zeit nun offenbar reif, kommentierte Tübkes Galerist Karl Schwind im Gespräch mit MDR KULTUR.
Im westdeutschen Kunstbetrieb habe vielleicht lange das berühmte Zitat von Georg Baselitz, der in den Westen gegangen war, nachgewirkt. Der Maler nannte seine ostdeutschen Kollegen, die in der DDR blieben, einst "Arschlöcher", "ohne inhaltliche Argumente zu liefern", wie Schwind findet.
Nun ändere sich die Situation, ein ehemaliger Frankfurter Museumsmann wage sich in Düsseldorf daran, DDR-Kunst zu zeigen. Schon dass der Bundespräsident zur Eröffnung komme, zeige, dass sie ein anderes Gewicht bekomme.
Der Begriff DDR-Kunst ist bei mir negativ besetzt. Ich verstehe darunter etwas nicht zu definierendes: nicht ganz modern, nicht ganz altmodisch, ein bisschen plakativ, ein bisschen optimistisch, sehr vereinfacht gemalt, aber nicht expressiv, und ohne Substanz. Die Anfangsjahre waren dabei am schlimmsten. Und: Ich zähle mich nicht zur DDR-Kunst. Wenn man an die denkt, denkt man bestimmt nicht an meine Bilder.
Tübke 360 Grad und digital
Eine Hommage an Tübke und sein monumentales Werk in Bad Frankenhausen zeigte 2022 das Leipziger Kunstkraftwerk in Form einer 25-minütigen Bild- und Klangkomposition unter dem Titel "The Great Circle", projiziert auf die Wände der Maschinenhalle. Der New Media Künstler-Franz Fischnaller und Komponist Steve Bryson schufen mit der 360-Grad-Installation ihre Interpretation des Welttheaters anhand zwölf einzelner Szenen aus dem Gemälde.
Dafür wurde das 1.700 Quadratmeter große Original digitalisiert. Heißt: 3.000 hochauflösende Aufnahmen wurden zu einer großen Bilddatei mit einer Auflösung von 10GigaPixel zusammengefügt. Besucherinnen und Besucher konnten sich via App in das Gemälde hineinzoomen. In Videostatements berichteten Zeitzeugen von ihren persönlichen Erlebnissen mit dem Künstler. Nach der Premiere in Leipzig sollte das Projekt international touren.
Sonderausstellungen zum 20. Todestag
Das Museum der bildenden Künste (MdbK) in Leipzig würdigte den Maler anlässlich seines 20. Todestags mit der Sonderausstellung "Tübke und Italien", die die besten und bekanntesten Italien-Werke Tübkes versammelte. Denn in den 70er-Jahren unternahm Werner Tübke drei Reisen dorthin.
Und Tübkes ehemaliges Atelier in Leipzig-Gohlis ist nun als Museum neueröffnet worden: Die Dauerausstellung zeigt neben Gemälden in den Wohn- und Arbeitsräumen anhand von Mobiliar, Fotos, Zeichenuntensilien und Pfeifen auch die persönliche Seite des Künstlers. Zudem präsentiert das Atelier auch eine Sonderausstellung. Auch in Meiningen wird Tübke gewürdigt, mit der Sonderausstellung "Werner Tübke und das Theater". Damit bleibt Werner Tübkes Erbe auch bis heute unvergessen.
Ausstellungen zum 20. Todestag (zum Ausklappen)
Tübkes Monumentalgemälde "Frühbürgerliche Revolution in Deutschland"
Panorama Museum
Am Schlachtberg 9
06567 Bad Frankenhausen
Öffnungszeiten :
Dienstag bis Sonntag: 10 bis 17 Uhr | feiertags 10 bis 17 Uhr
31. Dezember 10 bis 15 Uhr
24. Dezember geschlossen
Öffentliche Führungen:
April bis Oktober samstags, sonntags, feiertags: 12 und 14 Uhr
Barrierefreie Audio-Guides in deutscher Sprache: Leichte Sprache (29 min) Gebärdensprachführung (40 min) Sehbehindertenführung (55 min)
Welttheater Wolfsschlucht – Werner Tübkes Bühnenarbeiten für den "Freischütz"
Ausstellung zum 20. Todestag des Künstlers
12. Juni bis 15. September 2024
"Werner Tübke und das Theater"
Schloss Elisabethenburg, Obere Galerie und Theatermuseum Meiningen
Sonderveranstaltungen am 22. August, 18 Uhr
Tübke Atelier
Springerstraße 5
04105 Leipzig
Dauerausstellung: "Werner Tübke. Werk und Mensch"
Sonderausstellung: Werner Tübke. Strandbilder (bis 10. August 2024)
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 10 bis 18 Uhr
Samstag: 10 bis 14 Uhr
Eintritt frei
"Tübke und Italien"
7. März bis 16. Juni 2024
Museum der bildenden Künste (MdbK) Leipzig
Buchtipps
Werner Tübke: "Wer bin ich?"
Briefe an einen Freund mit Essays von Eduard Beaucamp und Golo Mann
Herausgegeben von Matthias Bormuth und Annika Michalski unter Mitarbeit von Malte Maria Unverzagt
Wallstein Verlag, 224 Seiten
gebunden, mit farbigen Abbildungen
Werner Tübke: "Mein Herz empfindet optisch"
Aus den Tagebüchern, Skizzen und Notizen.
Hrsg. & Einl. von Annika Michalski & Eduard Beaucamp
Wallstein Verlag, 2017
396 Seiten mit Abbildungen, gebunden
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 24. Mai 2024 | 12:10 Uhr