Besucher gehen an Gemälden von Martin Kobe (links) und Tim Eitel vorbei in der Ausstellung "Made in Leipzig" auf Schloss Hartenfels in Torgau, Aufnahme von 2007
"Made in Leipzig" hieß die Ausstellung von Martin Kobe und Tim Eitel, die 2007 auf Schloss Hartenfels zu sehen war. Beide Künstler gehören zur Neuen Leipziger Schule. Bildrechte: picture-alliance/ dpa | Jan_Woitas

Zeitgenössische Kunst Wie die "Neue Leipziger Schule" Leipzig zum Hotspot der aktuellen Malerei machte

15. November 2024, 04:00 Uhr

Vor über 20 Jahren etablierte sich eine Kunstströmung, die der als verstaubt geltenden gegenständlichen Malerei neues Leben einhauchte. Unter dem Label "Neue Leipziger Schule" (NLS) schickte sich eine Gruppe junger Absolventinnen und Absolventen der Leipziger Akademie (HGB) an, weltweit für Furore zu sorgen. Auch dank ihnen hat sich Leipzig als Standort in der Kunstwelt etabliert. Wissenswertes zur Geschichte der Strömung und wo man heute ihre Werke sehen kann.

Dem Begriff des "Neuen" ist  meist nur ein kurzes Leben beschieden. Doch manchmal gerinnt er zu einer festen Begrifflichkeit, wie etwa bei der "Neuen Sachlichkeit" oder der "Neuen Deutschen Welle". Ähnliches gilt für die "Neue Leipziger Schule", die zu Beginn der 2000er-Jahre Leipzig zu einem Hotspot der aktuellen deutschen Malerei machte.

Dabei war die Ausgangssituation für die späteren Leinwandheld*innen alles andere als rosig. Noch in 90er-Jahren dominierten konzeptuelle Kunst, Fotografie und neue Medien in Leipzig. Wer sich trotzdem der Malerei verschrieb, galt einfach als uncool.

Wer trotzdem weitermalte, war der dicke Junge, mit dem niemand spielen wollte.

Neo Rauch, Maler

"Es gab viel Häme. Wer trotzdem weitermalte, war der dicke Junge, mit dem niemand spielen wollte", erinnerte sich Neo Rauch in einem Interview mit dem "ART"-Magazin. Sein zunehmend internationaler Erfolg Ende der 90er-Jahre bereitete den Boden für eine neue Generation gegenständlicher Malerinnen und Maler aus Leipzig.

Der Maler Neo Rauch im schwarzen Anzug vor einem seiner Gemälde der Neuen Leipziger Schule.
Der Maler Neo Rauch gilt eigentlich als Wegbereiter der "Neuen Leipziger Schule", wird aber heute selbst zu dieser Kunstströmung gerechnet. Bildrechte: IMAGO/Newscom/SCMP

Die Anfänge der "Neuen Leipziger Schule"

Nach dem Diplom an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) fand sich eine Gruppe junger Künstlerinnen und Künstler zusammen, um pragmatisch und ohne Manifest nach Ausstellungsmöglichkeiten zu suchen. Als lose Künstlergruppe konzipiert, stellte sie ab 2000 in Leipzig, später in Speyer, Oldenburg und Frankfurt/Main aus. Ihre erste Ausstellung in Leipzig nannten sie "LIGA". 2002 folgte man dem Rat des umtriebigen Galeristen Judy Lybke und gründete eine Produzentengalerie in Berlin, die den gleichen Namen trug - "LIGA".

Erste Erfolge stellten sich ein, auch weil Galerist Lybke seine Sammler in der Produzentengalerie vorbeischickte.

Die Produzentengalerie "LIGA" (zum Ausklappen)

Elf verschiedene künstlerische Positionen vereinte die Produzentengalerie "LIGA". Zu ihr gehörten die Künstlerinnen und Künstler Tilo Baumgärtel, Peter Busch, Tim Eitel, Tom Fabritius, Martin Kobe, Oliver Kossack, Jörg Lozek, Bea Meyer, Christoph Ruckhäberle, Julia Schmidt, David Schnell und Matthias Weischer. Gegründet im Jahr 2002, leitete zuerst die Künstlerin Tina Schulz die Galerie. Danach übernahm Christian Ehrentraut. Bis zu ihrem Ende im April 2004 stellte jeder Künstler in Gruppen- und Einzelausstellungen aus. Viele der dort gezeigten Künstlerinnen und Künstler erhielten so die Möglichkeit, Kontakte zu renommierten Galerien und Kuratoren zu knüpfen.

Ihr rasanter, später auch internationaler Erfolg sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die "LIGA" aus einer Zweckgemeinschaft hervorgegangen war und sich keinesfalls als homogene Gruppe verstand. Bei aller Unterschiedlichkeit in den künstlerischen Positionen könnte als Klammer eine solide zeichnerische und malerische Ausbildung an der HGB gelten, die sich in der Hinwendung zu einer erzählerischen, meist gegenständlichen Malerei äußert. Nach Jahren, in denen abstrakte Malerei und Konzept-Kunst en vogue waren, lässt sich der kometenhafte Aufstieg der jungen Leipziger vielleicht mit einem Bedürfnis nach Bildern erklären, in denen sich der Betrachter mit seiner Lebensrealität wiederfand.

Maler Christoph Ruckhäberle steht vor einem seiner Werke.
Der Maler Christoph Ruckhäberle 2005 vor einem seiner Werke in der Galerie "Kleindienst". Bildrechte: IMAGO / Douglas Abuelo

Nur Kunstmarkt-Label oder doch auch Traditionslinie?

Mit dem Label "Neue Leipziger Schule" tat sich die Gruppe von Anfang an schwer: "Ich finde das Label junge Leipziger Schule auch deshalb ärgerlich, weil wir mit der alten überhaupt nichts zu tun haben", meinte etwa 2004 der Künstler Martin Kobe.

Den "Alten" –  von denen Kobe sprach – erging es im Übrigen mit den Schubladen des Kunstmarktes nicht anders. Die Protagonisten der sogenannten "Leipziger Schule" – Werner Tübke (1929-2004), Wolfgang Mattheuer (1927-2004) und Bernhard Heisig (1925 -2011) – leugneten ebenfalls einen Gruppenzusammenhang rigoros. Mattheuer meinte, er habe mit den anderen Künstlern außer dem Wohnort Leipzig nichts gemein.

Wolfgang Mattheuers Gemälde "Die Flucht des Sisyphos": ein Mann im Sprung neben einer gesteinsähnlichen Kugel
Wolfgang Mattheuers Gemälde "Die Flucht des Sisyphos" Bildrechte: Kunstpalast Düsseldorf/Wolfgang Mattheuer

Doch ihre Malerei machte Schule und beeinflusste die nächste Künstler-Generation an der Akademie – wie Arno Rink (1940-2017) oder Sighard Gille (1941) – die späteren Lehrer von Kobe, Ruckhäberle, Weischer und Co.

2004 löste sich die "LIGA" planmäßig auf. Viele der mittlerweile bekannten Künstler hatten da längst eine neue Heimat bei renommierten Galerien gefunden. Judy Lybke sicherte sich für seine Galerie "EIGEN +ART" gleich mehrere dieser neuen Positionen: Weischer, Schnell und Eitel gingen bei ihm vor Anker. Auch die Leipziger Galerie "Kleindienst" profitierte: Noch heute sind Ruckhäberle, Baumgärtel, Busch und Fabritius dort aktiv.

Tilo Baumgärtel im Atelier 6 min
Bildrechte: MDR/Guido Ahnert
6 min

Das Atelier ist der intimste Ort eines Künstlers, ein heiliger Kunstraum. Was sagt dieser Ort über ihn aus? Ein Blick ins Atelier von Tilo Baumgärtel, Maler der Neuen Leipziger Schule, in der Baumwollspinnerei Leipzig.

MDR+ Mo 23.12.2019 11:30Uhr 05:56 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-sonstige/video-atelierbesuch-tilo-baumgaertel-100.html

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Erste museale Ausstellungen

2003 sorgte die Ausstellung "sieben mal malerei" im Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK) mit Werken von Tilo Baumgärtel, Peter Busch, Tim Eitel, Martin Kobe, Christoph Ruckhäberle, David Schnell und Matthias Weischer für viel Aufmerksamkeit. "Am Eröffnungsabend war die Präsenz der internationalen Galeristen- und Sammlerszene unübersehbar. Die Kunde von einer jungen, vielversprechenden Malergeneration aus Leipzig hatte sich rasch verbreitet", erinnerte sich der damalige Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt.

Die Kunde von einer jungen, vielversprechenden Malergeneration aus Leipzig hatte sich rasch verbreitet.

Hans-Werner Schmidt, ehemaliger Museumsdirektor MdbK Leipzig

Weitere nationale und internationale Ausstellungen folgten, meist von privaten Sammlern initiiert: von Miami (Rubell Family Collection) bis Kansas City, von Seoul bis Klosterneuburg in Österreich (Sammlung Essl).

Der Kreis der Künstler*innen der NLS wird erweitert – und unschärfer

Nach Auflösung der "LIGA" erweiterte sich der Kreis der Künstlerinnen und Künstler, die zur NLS gerechnet wurden. Nachfolgende Generationen von HGB-Absolvent*innen wie Miriam Vlaming, Isabelle Dutoit, Henriette Grahnert, Falk Gernegroß, Christian Brandl oder Kristina Schuldt profitierten ebenso von der internationalen Aufmerksamkeit, wie auch ältere Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen Rosa Loy, Ulf Puder oder Hans Aichinger.

Ausstellungsbesucher betrachten das Gemälde "Gravitation" von Rosa Loy: darauf zwei Frauen in gelben Anzügen und roten Stiefeln
Das Gemälde "Gravitation" der Künstlerin Rosa Loy Bildrechte: imago/epd

Eine neue Galerie-Meile in der Spinnerei Leipzig

Als parallel im Frühjahr 2005 auf dem Gelände der ehemaligen Leipziger Baumwollspinnerei ein Galeriezentrum eröffnete, wurde der Hype um die neue Leipziger Malerei nochmals befeuert und die britische Tageszeitung "The Guardian" erklärte das ehemalige Industrie-Areal kurzerhand zum "hottest place on earth". Zu den darauffolgenden Galerierundgängen im Frühjahr und Herbst kamen Sammler aus aller Welt, um vor Ort frische Werke der angesagten Künstler zu erwerben.

Menschentrubel auf dem Gelände der Baumwollspinnerei Leipzig
Zeit für Kunst: Frühjahrsrundgang der Spinnerei-Galerien im Mai 2010 Bildrechte: imago/Stefan Noebel-Heise

Doch von Beginn an gab es auch kritische Stimmen. Da wurde über reaktionäres Gepinsel, über die "Neuen Milden" geknurrt. Journalist Niklas Maak von der "FAZ" sah in den Werken der jungen Leipziger Maler etwa "die Inkarnation eines depressiven Randgefechts" und der heutige Direktor des Kunstmuseums Bonn, Stephan Berg, erklärte in einem Artikel der "Welt" sein "Unbehagen mit der Neuen Leipziger Schule".

Auch Hanno Rauterberg, Feuilletonist der "Zeit" bekannte in einer Ausstellungs-Rezension: "Die Bilder der jüngeren Maler sind oft routiniert, seltsam makellos, jedenfalls nicht so, dass man sie unbedingt live und im Original sehen müsste."

Ein Atelierbesuch bei Michael Triegel 8 min
Bildrechte: MDR/Guido Ahnert
8 min

Das Atelier ist der intimste Ort eines Künstlers, ein heiliger Kunstraum. Was sagt dieser Ort über ihn aus? Ein Blick ins Atelier von Michael Triegel, Maler der Neuen Leipziger Schule, in der Baumwollspinnerei Leipzig.

MDR+ Mo 23.12.2019 11:42Uhr 07:41 min

https://www.mdr.de/kultur/videos-und-audios/video-sonstige/video-atelierbesuch-michael-triegel-100.html

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Wo man heute Originale der Neuen Leipziger Schule sehen kann

Die Kunst-Karawane ist längst weitergezogen und hat neue Orte zu Hotspots ausgerufen. Wer sich dennoch selbst ein Bild von den Werken der "Neuen Leipziger Schule" machen möchte – sie im Original betrachten will – dem seien die mittlerweile zwölf Galerien der Leipziger Baumwollspinnerei empfohlen. Auch das Museum der bildenden Künste (MdbK) verfügt über eine gute Auswahl von Werken der Künstlerinnen und Künstler, ebenso wie die Kunsthalle G2, die die private Sammlung Hildebrand beherbergt.

Grafikstiftung Neo Rauch: ein hellbrauner Bau mit Treppe und Schräge
Die Grafikstiftung Neo Rauch in Aschersleben zeigt wechselnde Ausstellungen zur Neuen Leipziger Schule. Bildrechte: Mitteldeutscher Rundfunk

In Sachsen-Anhalt wartet in Aschersleben das Museum Grafikstiftung Neo Rauch mit wechselnden Ausstellungen auf – häufig auch mit Kunst aus Leipzig. Und wer etwas weiter reisen will oder gerade in den Niederlanden unterwegs ist, dem sei das Drents Museum in Assen empfohlen, dass dank des Engagements seines Direktors Harry Tupan seit Jahren Kunst aus Leipzig sammelt und ausstellt.

Richtet man aus der Ferne den Blick auf die Leipziger Kunst, ist es egal, ob man von "New Leipzig School", "Leipziger Schule" oder "Made in Leipzig" spricht. Es ist vielmehr das Selbstverständnis, dass heute Leipzig als Kunst-Ort global wahrgenommen wird. Und da ist – bei aller Unschärfe – ein Label zwar nicht gerade sexy, aber hilfreich.

Zum Autor Jan Dörre studierte von 1991 bis 1999 Malerei und Grafik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Der Künstler lebt und arbeitet in Leipzig.

Quellen:

  • Kunstforum international, Bd. 176
  • ART-Magazin, 12/2004
  • Katalog "Made in Leipzig", Sammlung Essl 2006
  • Stephan Berg: "Das Unbehagen mit der Neuen Leipziger Schule". in: Welt am Sonntag, 2. März 2008
  • Hanno Rauterberg: "Geborgtes Leben. Die neue Leipziger Schule ist berühmt. Jetzt löst sich der Mythos auf". in: Die Zeit. 13. Juli 2006

Informationen zur Baumwollspinnerei Leipzig (zum Ausklappen)

Baumwollspinnerei Leipzig
Spinnereistraße 7
04179 Leipzig

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Samstag: 11–18 Uhr

Winterrundgang 2025:
Samstag, 11. Januar, 11–20 Uhr

Frühjahrsrundgang 2025:
Samstag, 3. Mai, 11–19 Uhr
Sonntag, 4. Mai, 11–16 Uhr

Eintritt: frei

Mehr Informationen finden Sie auf der Website der Baumwollspinnerei.

Informationen zum Museum der bildenden Künste Leipzig (zum Ausklappen)

Museum der bildenden Künste Leipzig (MdbK)
Katharinenstraße 10
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Montag: geschlossen
Dinstag, Donnerstag bis Sonntag: 10–18 Uhr
Mittwoch: 12–20 Uhr
Feiertage: 10–18 Uhr

Eintritt:
Dauerausstellung Kunst 15.-19. Jahrhundert: Eintritt frei
Sonderausstellungen 3. OG: 8  Euro / ermäßigt 4 Euro / Gruppe: 6 Euro p. P.

Mehr Informatinen finden Sie auf der Website des MdbK.

Informationen zur Kunsthalle G2 (zum Ausklappen)

Kunsthalle G2
Dittrichring 13
04109 Leipzig

Öffnungszeiten:
Mittwoch: 15–20 Uhr
Freitag bis Sonntag: 12–17 Uhr

Eintritt:
G2 Kunsthalle: 5 Euro / ermäßigt 3 Euro
G2 Schaulager (öffentliche Führung): 5 Euro / ermäßigt 3 Euro

Mehr Informationen finden Sie auf der Website der Kunsthalle.

Informationen zur Grafikstiftung Neo Rauch (zum Ausklappen)

Grafikstiftung Neo Rauch
Wilhelmstraße 21-23
06449 Aschersleben

Öffnungszeiten:
März bis Oktober:
Mittwoch bis Sonntag: 11–17 Uhr

November bis Februar:
Mittwoch bis Sonntag: 11–16 Uhr

Eintritt:

6 Euro, ermäßigt 4 Euro
freier Eintritt bis zum vollendeten 18. Lebensjahr

Mehr Informationen finden Sie auf der Website der Grafikstiftung.

Informationen zum Drents Museum Assen (zum Ausklappen)

Drents Museum Assen
Brink 1
9401 HS Assen
Niederlande

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag: 10–17 Uhr

Eintritt:
15 Euro / Jugendliche bis 17 Jahre: freier Eintritt

Mehr Informationen finden Sie auf der Website des Museums.

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