Atom-Deal Warum sich eine ganze Stadt über eine russische "Invasion" freut
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15. März 2018, 16:53 Uhr
Der russische Staatskonzern Rosatom baut Ungarns einziges AKW aus. Ungarns Atom-Deal mit Russland ist umstritten. Doch in Paks ist man froh darüber und bereitet sich auf Tausende Arbeiter aus Russland vor.
"Hier in unserer Kleinstadt findet Ungarns Investition des Jahrhunderts statt!", erklärt Bürgermeister Péter Szabó stolz, während er den Stadtplan ausbreitet, um zu zeigen, welch goldene Zukunft seiner Stadt bevorsteht. Noch in diesem Jahr soll der russische Staatskonzern Rosatom mit dem Bau der zwei neuen Reaktorblöcke beginnen, finanziert mit einem Milliardenkredit aus Moskau.
Paks, wie der Ort heißt, hat bereits ein Atomkraftwerk - Paks I. Das wurde noch zu Sowjetzeiten erbaut und ist bis heute der wichtigste Arbeitgeber der Stadt. Die nun ausgehandelte Erweiterung um die Reaktorblöcke von Paks II bedeutet für den Ort: viele Arbeitsplätze bleiben auf lange Sicht erhalten und viele neue kommen dazu. Ausgehandelt hat den Deal der ungarische Premier Viktor Orbán.
Paks soll "gut prosperierende mittelgroße Stadt" werden
In den nächsten Jahren werden in- und ausländische Unternehmen in Paks tätig sein, die in den Ausbau oder weiteren Betrieb des AKW involviert sind. Sie bringen ihre Arbeiter mit - potentielle neue Bewohner der Stadt, die Steuern in die Stadtkasse spülen. Es werden Straßen aus- und neugebaut, neue Wohnungen entstehen.
Dazu kommen die Tausende Gastarbeiter - vorwiegend aus Russland -, die ebenfalls untergebracht werden müssen. In der Hochphase des AKW-Ausbaus könnten es über 8000 sein. Nicht wenig für eine Zwanzigtausend-Einwohner-Stadt. Doch die Mehrheit der Einwohner sei optimistisch gegenüber den bevorstehenden Umwälzungen, erklärt Szabó.
Mit dem neuen Stadtviertel werde auch ein neues Schwimmbad sowie ein Sport- und Reha-Zentrum entstehen - eine klare Steigerung der Lebensqualität in Paks, von der auch die Einwohner profitieren werden. Seine Kleinstadt, da ist sich der Bürgermeister sicher, werde sich zu einer "gut prosperierenden mittelgroßen Stadt" entwickeln.
Russische Arbeiter als Sicherheitsproblem?
Noch ist Paks an der Donau beschaulich und ruhig. Viele, die hier leben, mögen genau das. Mit der Ankunft Tausender Arbeiter aus Russland und anderen Ländern könnte damit bald Schluss sein. "Die allgemeine Sicherheit ist selbstverständlich eine wichtige Frage", räumt Bürgermeister Szabó ein. "Natürlich gibt es auch Stimmen in der Bevölkerung, die ein bisschen Angst haben".
Die örtliche Polizei jedenfalls rechnet mit einer Zunahme von Kriminalität und Konflikten. Deshalb werden die Polizeikräfte in der Stadt verstärkt. Und schon jetzt drücken einige Polizisten wieder die Schulbank, um Russisch zu lernen. "Sollte es Probleme geben, werden wir sie in den Griff bekommen - so wie schon beim Bau der ersten vier Reaktorblöcke", ist der Bürgermeister überzeugt.
Damals war er noch ein Kind. Doch auch bei den älteren Einwohnern hört man nichts Negatives aus der Zeit, als die Sowjets das AKW erbauten. "Damals gab es auch keine Probleme", sagt jeder Einwohner der Stadt, den man nach den Neuankömmlingen fragt.
Umstrittener Atom-Deal
Kritische Stimmen zur Atomenergie oder dem Deal mit den Russen? In Paks sind sie nicht zu finden. Das Atomkraftwerk ist der größte Arbeitgeber der Region und hat den Menschen hier zu einem gewissen Wohlstand verholfen. Der Ausbau von Paks II - so glauben alle hier - wird diesen Wohlstand sichern. Doch von vielen anderen Seiten hagelt es Kritik am Atom-Deal zwischen Ungarn und Russland.
Der ungarische Politiker Benedek Jávor, Abgeordneter des EU-Parlaments in der Fraktion der Grünen, kritisiert, dass Ungarn mit Paks II seine Abhängigkeit von Russland "weiter ausbauen" würde. Darüber hinaus findet er es "angesichts der alarmierenden Zunahme der Cyberaktivitäten des russischen Geheimdienstes" gefährlich, wenn Ungarns AKW mit russischer Software betrieben würden.
Zudem entspreche es nicht der Wahrheit, wenn die ungarische Regierung "Paks II als einzig mögliche Lösung für Ungarns zukünftige Energiepolitik darstellt". Dass der Ausbau der erneuerbaren Energien durch das AKW-Projekt in Ungarn nachhaltig auf der Strecke bleiben wird, bedauert auch Balázs Felsmann vom Forschungszentrum für regionale Energie-Politik in Budapest.
Noch kritischer sieht er allerdings die Frage der Wirtschaftlichkeit: "Das neue AKW soll 2026 in Betrieb genommen werden, Paks I aber erst zwischen 2032 und 2037 abgeschaltet werden. Der parallele Betrieb ist aus ökonomischer Sicht Nonsens. 2026 wird das ungarische Stromnetz keinen Bedarf an zusätzlichen 2400 Megawatt haben." Warum hat es die ungarische Regierung so eilig, warum wartet sie nicht? Für den Experten der unverständlichste Punkt des gesamten Projektes.
Österreich klagt gegen Paks II
Auch Brüssel äußerte anfangs viele Bedenken, vor allem weil Ungarn den Milliardenauftrag ohne Ausschreibung an den russischen Staatskonzern Rosatom vergeben hat. Die EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn ein. Doch schließlich stellte sie es wieder ein und genehmigte Ungarns Deal mit Russland.
Aber die Paks-II-Gegner lassen nicht locker. Am 22. Februar 2018 hat Österreich eine Klage beim Europäischen Gerichtshof eingereicht, die sich gegen die EU-Freigabe von ungarischen Staatsbeihilfen für Paks II richtet. "Atomkraft darf keinen Platz in Europa haben", so die österreichische Nachhaltigkeitsministerin Elisabeth Köstinger.
Paks II soll sich rentieren
Attila Aszódi ist Staatssekretär im Ministerium, das für Paks II verantwortlich ist. Er sieht das Projekt aber nicht in Gefahr, denn Paks II stehe im Einklang mit den europäischen Gesetzen. Ende Januar, als Österreich mit einer Klage schon drohte, erklärte er:
Die österreichische Regierung, die Grünen und andere Zivilorganisationen sowie andere Staaten hatten die Möglichkeit, ihre Positionen darzustellen. Die Kommission hat ihre Entscheidung unter Berücksichtigung dieser Standpunkte getroffen. Österreich hat also eine Debatte nicht mit Ungarn, sondern mit der EU-Kommission.
Und diese habe Aszódi zufolge auch bestätigt, dass Paks II eine jährliche Rentabilität von sieben Prozent haben wird. "Das Geld, das die ungarische Regierung hier investiert, wird also zurückfließen", ist der Staatssekretär überzeugt. Ungarn steuert 2,5 Milliarden Euro bei - 20 Prozent der veranschlagten Gesamtkosten für das Projekt.
Strahlende Aussichten - auch für ungarische Firmen
Dass das geplante AKW in Gefahr sein könnte, will sich in und um Paks keiner vorstellen. Erst recht nicht Sándor Szabó, Chef der Firma "Ferropatent". Sein mittelständisches Unternehmen in Szekszárd nahe Paks hatte im letzten Jahr schon fünf Mal Besuch von Rosatom: "Sie haben geprüft, mit welchen Methoden wir arbeiten und wie die Qualität ist." Das Unternehmen ist in der Stahlbranche tätig, kann Stahl transportieren und aufarbeiten.
"Wir sind in der Lage, rund 70.000 Tonnen zu bewegen", erklärt Szabó stolz, "und 60 Prozent unserer aufgearbeiteten Produkte ist Stahlblech, von dem beim Paks-II-Ausbau etwa 50.000 Tonnen gebraucht werden". Wie hoch das Auftragsvolumen werden könnte, will uns der Firmenchef nicht verraten, aber es sei bereits eine Vereinbarung mit dem russischen Staatskonzern getroffen worden. Strahlende Aussichten, die voraussichtlich 20 neue Arbeitsplätze bedeuten.
Keine schlechten Erinnerungen an Sojwts
Schon beim Bau von Paks I hat Szabó rostfreie Bleche transportiert. Abgesehen vom Ungarn-Aufstand 1956, der mit Panzern aus Moskau niedergeschlagen wurde, hat Szabó keine schlechten Erinnerungen an die Sowjets:
Ich denke, die alten politischen Dinge gehören der Vergangenheit an. Jetzt blicken wir zusammen in die Zukunft und gehen gemeinsamen Entwicklungen entgegen, die sowohl Ungarn als auch Russland nützen.
So wie Sándor Szabó denken viele in Ungarn. Die Mehrheit der ungarischen Bevölkerung ist laut Umfragen offen für die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, wenn sie für beide Länder von Vorteil ist. Aber eine politische Anbindung an Putin und sein Riesenreich, weg von der EU - das lehnt eine Mehrheit ab.
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: HEUTE IM OSTEN: Reportage | 10.03.2018 | 18:00 Uhr