Gefangene im Ersten Weltkrieg Die Hölle von Sibirien
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09. November 2018, 13:32 Uhr
1914 bricht der Erste Weltkrieg aus. Schon in den ersten Wochen fallen den Armeen hunderttausende Gefangene in die Hände. Sie sind völlig überfordert mit den Massen; menschenwürdige Behandlung, wie sie die Haager Landkriegsordnung vorschreibt, kann kaum einer leisten. Stattdessen landen viele von ihnen in Gefangenenlagern und vegtieren unter katastrophalen Bedingungen vor sich hin.
Als Elsa Brändström 1915 in das Rote Kreuz eintritt, um sich um Kriegsgefangene in Russland zu kümmern, sind die zuständigen Stellen schon mehr als überfordert. Eigentlich gehen die Russen ganz ordentlich mit ihren Gefangenen um, solange es nur eine kleine Masse ist. Manche werden von ihren Fängern sogar bewirtet, Offiziere und Generäle rauchen zusammen.
Aber in den Hochzeiten des Ersten Weltkriegs, als hunderttausende Soldaten gefangen genommen werden, bricht das System zusammen. Die Versorgung der Gefangenen kann nicht mehr gesichert werden. Die Haager Landkriegsordnung besagt, dass Kriegsgefangene wie eigene Truppen zu behandeln sind, doch die Masse an Gefangenen macht das nahezu unmöglich.
Es mangelt an allem
So kommt es, dass Gefangene oft nicht nur ausgeraubt werden, sondern geschlagen und anschließend in völlig überfüllte Kriegsgefangenenlager gesteckt werden, deren Zustand katastrophal ist. Die Lager bestehen teilweise aus einfachen Holzhütten, teilweise aus Erdbaracken. Es mangelt an Betten, Decken und anständiger Kleidung. Manche Soldaten mussten in Sommeruniform durch den sibirischen Winter stapfen, andere haben sogar nur Schlafanzüge an. Kälte und Feuchtigkeit setzen den Gefangenen zu, viele sterben an Krankheiten wie Flecktyphus oder Durchfall.
Der lange Weg ins Lager
Bereits der Weg in die Lager ist für die Kriegsgefangenen eine Tortur, die viele nicht überleben. Nach der Gefangennahme müssen die Soldaten erst einmal Waffen und Papiere abgeben. Danach werden sie zu Marschkolonnen zusammengestellt und müssen zur nächsten Bahnstation laufen. Wer nicht mithalten kann, der wird mit der Peitsche vorangetrieben.
Unverwundete und Leichtverletzte, deren Wunden nicht am Marschieren hinderten, wurden gesammelt. Dann begann unter starker Bewachung der Fußmarsch nach Rußland hinein, und oft mußten täglich 20-30 km während mehrerer Wochen zurückgelegt werden,bevor ein Bahntransport möglich wurde.
Die Reise im Zug ist ebenfalls beschwerlich. In Viehwaggons, auf Holzpritschen, werden die Gefangenen oft mehrere Wochen lang ins Russische Hinterland gefahren. Ungeziefer und fehlende Sanitäreinrichtungen machen die Reise zur Tortur. Die Verpflegung unterwegs ist kaum ausreichend. Bereits während dieser Fahrten brechen die ersten Epidemien aus - meist Flecktyphus. Wer am Bestimmungsort ankommt, der hat meist noch mehrere Kilometer Fußmarsch ins Lager vor sich.
Im Oktober 1915 reist Elsa Brändström das erste Mal mit dem Zug nach Sibirien. In Novo Nikolajevsk konfrontiert sie den Lagerkommandanten mit der Haager Landkriegsordnung. Die Zustände im Lager kommen der Ordnung nicht annähernd nach. Brändström übt Druck auf den Kommandeur aus und erreicht entscheidende Verbesserungen. Kranke werden von den Gesunden getrennt, dank zahlreicher Spenden besorgt sie den Gefangenen warme Kleidung. Im Lager Krasnojarsk schafft sie es sogar, die Sterblichkeitsrate von 80 Prozent auf 18 Prozent zu senken. Ihre Arbeit bringt ihr den Namen "Engel von Sibirien" ein.
Haager Landkriegsordnung
Die Ordnung wurde 1907 verabschiedet und enthält Festlegungen zu verschiedenen Bereichen des Krieges. Ein wichtiger Teil beschäftigt sich mit dem Umgang mit Kriegsgefangenen.
Nach Artikel vier sind Kriegsgefangene menschenwürdig zu behandeln, und in Bezug auf Nahrung, Kleidung etc. wie eigene Truppen zu behandeln.
Die Massen an Kriegsgefangenen im ersten Weltkrieg machten es für die Parteien allerdings schwer, die Einhaltung der Ordnung zu garantieren.
Elsa Brändströms Erinnerungen "Unter Kriegsgefangenen in Russland und Sibirien 1914-1920", Koehler & Amelang, Leipzig, 1927.
Über dieses Thema berichtete der MDR im TV in "14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs" 11.11.2018 | 22.25 Uhr