Prothesen für Kriegsversehrte Otto Bock: Der Orthopädie-Pionier aus Thüringen
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28. Mai 2019, 13:32 Uhr
Von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieg kommen fast drei Millionen Deutsche verletzt oder verstümmelt nach Hause zurück. Darauf ist keiner vorbereitet, für verlorene Arme und Beine gibt es bis dahin nur Holzstelzen oder Hakenhände. Doch ein junger Orthopädietechniker aus Königsee in Thüringen hat eine zündende Idee.
Als die ersten Kriegsversehrten von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges nach Hause zurückkommen, ist keiner auf das Ausmaß ihrer Verletzungen vorbereitet. Mediziner und Orthopäden stehen vor einer riesigen Herausforderung: Nie zuvor war es notwendig, so viele Amputierte zu versorgen. Zum einen, um ihnen ein selbstständiges Leben zu ermöglichen, zum anderen, um sie wieder fit für den Arbeitsmarkt zu machen, der sie dringend brauchte. Doch die Orthopädie bietet zu Beginn des Krieges kaum Lösungen, Prothesen sind noch individuelle Einzelanfertigungen.
Es war eine völlig handwerklich geprägte Produktion. Der Mensch kam dort hin und der Tischler, der Handwerker, hat sich das angeguckt und versucht, ihm etwas zu bauen. Mit seinen Materialien, die er hatte. Der Tischler eben mit Holz, einfachste Konstruktionen, mit Stelzen. Der Blechner hat versucht, mit seinem dünnen Blech umfassende Teile zu machen. Insofern war es etwas, das weiß man, das wohlhabenden Leuten vorbehalten war. Adelige, die sich so was haben machen lassen.
Revolution im Prothesenbau
1917 stellt der Chirurg Ferdinand Sauerbruch eine bewegliche Armprothese vor. Der sogenannte Sauerbrucharm ist eine Revolution, weil die Prothese mit bestimmten Muskelsträngen verbunden wird und sie der Verwundete über eigene Muskelkraft steuern kann. Aus den Muskelenden werden Schlingen geformt und mit Haut überdeckt. Diese betätigen dann über Seilzüge den Greifmechanismus der Prothese. Dadurch können die Patienten wieder ein Gefühl für den angefassten Gegenstand entwickeln. Die von Sauerbruch entwickelte Technik war richtungsweisend für die Zukunft, aber sehr teuer, nicht jeder konnte sich das leisten.
Der Pionier aus Thüringen
1919 erkennt der Orthopädietechniker Otto Bock aus Thüringen seine Chance. In seiner Heimatstadt Königsee stellt er Prothesenteile in Serie her und liefert sie direkt an Orthopädiemechaniker vor Ort. Damit legt Bock den Grundstein für die moderne orthopädische Industrie. Die Prothesen aus Thüringen erleichtern Zehntausenden das Leben. Doch Bock ist nicht nur ein Techniktüftler, er leistet auch Pionierarbeit bei der Entwicklung neuer Materialien. Das leichte Aluminium wird für den Prothesenbau untersetzlich. Es hilft dem Patienten, weil durch die Prothese nicht so viel Belastung entsteht.
Also der Schritt der Änderung war, dass man versucht hat, Teile zu standardisieren und die Prothese in verschiedene Baugruppen aufzuteilen. In ein Kniegelenk mit Anschluss unten und Anschluss oben, in ein Fußgelenk mit dem Anschluss nach oben. Und die dritte Baugruppe ist der Schaft.
Otto Bock kooperiert schon früh mit benachbarten Kliniken, arbeitet mit Biomechanikern zusammen und lässt erste Ganganalysen erstellen. Die Firma Otto Bock, die im Februar 2019 ihr 100-jähriges Jubiläum feierte, stellt bis heute Prothesen, orthopädische Hilfen und Rollstühle her und exportiert sie in mehr als 140 Länder.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren das Vermögen und die Fabrik der Familie Bock von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlagnahmt worden, die Bocks siedelten sich daraufhin mit ihrem Unternehmen im niedersächsischen Duderstadt an, wo sich bis heute der Hauptsitz befindet. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das alte Gelände von Otto Bock in Königsee zurückerworben. Dort werden u.a. Rollstühle hergestellt.
Über dieses Thema berichtet der MDR im TV: 14 - Tagebücher des Ersten Weltkriegs | 11.11.2018 | 22:25 Uhr