Internierungslager der sowjetischen Besatzungsmacht Sowjetische Speziallager in der DDR
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30. März 2021, 10:01 Uhr
In den Nachkriegsjahren funktioniert die Sowjetische Militäradministration (SMAD) ehemalige Konzentrationslager zu Speziallagern für NS- und Kriegsverbrecher um. Offiziell als Internierungslager für NS- und Kriegsverbrecher deklariert, werden hier ehemalige NSDAP-Funktionäre, Wehrmachtsoffiziere, Mitläufer aber eben auch willkürlich verhaftete Jugendliche, angebliche Spione und Gegner der Besatzungsmacht eingesperrt und misshandelt. Eine individuelle Schuld wird nie festgestellt.
Mehr als 120.000 Menschen sind in den Nachkriegsjahren in den Speziallagern der Sowjets eingesperrt - allein in Sachsenhausen sind es zwischen 1946 und 1950 fast 60.000. Informationen über die Gründe der Verhaftung oder Gerichtsverfahren gibt es meist nicht - wenn es überhaupt zu einer Verurteilung kommt. Auch das Alter der Häftlinge, manche gerade mal zwölf Jahre, oder die Zahl der vielen Toten werden erst später bekannt. Manches ist bis heute noch nicht erforscht, wie die Frage nach der individuellen Schuld der Lagerinsassen.
Speziallager werden in der DDR tabuisiert
Es dringt kaum etwas nach draußen, obwohl die Existenz der Lager kein Geheimnis ist. In der späteren DDR werden die Speziallager dann jedoch tabuisiert. Anders sieht es in der Bundesrepublik aus. Flüchtlinge, die es schaffen, in den Westen zu fliehen, berichten dort von ihren Erlebnissen. In ostdeutschen Lebensläufen bleiben diese Erinnerungen oft weiße Flecke. Einige ehemalige Häftlinge werden so stark eingeschüchtert, dass das Thema selbst im engsten Familienkreis nicht angesprochen wird. In Sachsenhausen beispielsweise gibt es Berichte darüber, dass Häftlinge sogar eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen mussten. Erst nach der Wende und der Öffnung sowjetischer Archive gelangen zuverlässige und detaillierte Informationen über die Zustände in den Speziallagern an die Öffentlichkeit.
Warum Speziallager und für wen?
Grundlage für die Speziallager in der DDR ist der Befehl 00315 von 1945 zur "Säuberung des Hinterlandes der kämpfenden Truppen der Roten Armee von feindlichen Elementen". Damit legt das "Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR", kurz NKWD, bestimmte Personengruppen fest, die später verhaftet, interniert oder getötet werden sollen. Dazu gehören alle, die eine potentielle Gefahr darstellen: Mitglieder der SA und Gestapo, Funktionäre der NSDAP sowie Personen, die für Misshandlungen von Zwangsarbeitern verantwortlich waren. Unter sowjetischer Führung kommt es zu präventiven Verhaftungen bloßer Verdächtiger bis hin zu Erschießungen. Schließlich geht es darum, potentiellen Wiederstand gegen die Besatzung im Vorhinein zu ersticken.
Konkret sind im Speziallager Buchenwald, das am 10. August 1945 durch die SMAD ebenso wie das KZ Sachsenhausen wieder in Betrieb genommen wurde, mehr als die Hälfte der Häftlinge lokale NSDAP-Funktionäre. Meist sind es Personen, die eine besondere Funktion innerhalb der Gesellschaft haben - wie Lehrer, Bürgermeister, Block- und Zellenleiter. Letztere führten zur NS-Zeit Karteikarten über ihre Mitbürger, schrieben zum Beispiel auf, wer sich auffällig verhielt oder halfen bei der Verfolgung von Juden. Ein wesentlich kleinerer Teil sind Polizisten, Mitarbeiter der Gestapo oder Gefängnispersonal (etwa sieben Prozent). Selbst Jugendliche im Alter von 13-17 Jahren werden in Buchenwald eingesperrt. Ihr Anteil liegt bei etwa fünf Prozent. Die Mehrzahl der Insassen sind jedoch Männer im Alter zwischen 40 und 60 Jahren.
Wiederstand wird im Keim erstickt
Spätere Verhaftungen betreffen vielfach Personen, die der Spionage beschuldigt werden oder der Besatzungsmacht als gefährlich erscheinen. Auch Fälle von Denunziation werden bekannt - begünstigt dadurch, dass die Mitarbeiter der sowjetischen Geheimdienste Einheimische mit Orts- oder Personenkenntnissen als Informationsquelle nutzen.
Jeder vierte Häftling stirbt
Insgesamt gibt es anfangs zehn solcher Lager in der sowjetisch besetzten Zone: Mühlberg, Buchenwald, Berlin-Hohenschönhausen, Bautzen, Ketschendorf, Jamlitz (zuvor Frankfurt Oder), Weesow, Sachsenhausen, Torgau und Fünfeichen. Zum Teil werden ehemalige Konzentrationslager der Nazis oder bereits vorhandene Gebäude umgenutzt. Zusätzlich gibt es noch mehrere Gefängnisse. Und auch auf heute polnischem Gebiet in Landsberg an der Warthe (Gorzów Wielkopolski) werden deutsche Häftlinge in ein Speziallager gesteckt.
Einer NKWD-Statistik vom November 1949 zufolge sind allein 122.671 Deutsche in sowjetischen Speziallagern inhaftiert. Schätzungen westlicher Historiker liegen weitaus höher. Hinzu kommen Bürger anderer Nationen. Mehr als 43.000 Menschen sind in den Lagern gestorben – fast jeder vierte Häftling. Sie werden namenlos in Massengräbern verscharrt. Die Ursachen für die hohe Anzahl von toten Gefangenen sind die mangelhafte Versorgung mit Essen, die schlechten hygienischen Bedingungen und eine fehlende medizinische Versorgung. Hinzu kommt der bitterkalte Winter 1946/47, in dem viele Häftlinge an Hunger, Kälte oder Krankheiten sterben.
Isolierung statt Vernichtung
Im Gegensatz zu den Konzentrationslagern der Nazis zielen die sowjetischen Lager nicht auf die Vernichtung der Insassen ab, sondern auf deren Isolierung. Sie sind inhaftiert, ohne spezielle Funktion oder Aufgabe. Nur wenige Insassen arbeiten, sie helfen bei der Instandhaltung des Lagers, stellen zum Beispiel Geschirr aus Ton her oder helfen im Haushalt der Offiziere. Die Mehrheit ist jedoch dem Nichtstun überlassen. Ein Kontakt nach außen, beispielsweise über Briefe, ist zwar strengstens verboten, kann aber nicht immer verhindert werden.
Das Ende der Speziallager
1948 werden viele Häftlinge entlassen. Diejenigen, die allerdings noch als gefährlich oder vermeintlich aufständisch gelten, bleiben in Haft. Darunter sind überdurchschnittlich viele Jugendliche. Es verbleiben ab 1948 nur noch die Lager Bautzen, Sachsenhausen und Buchenwald. Doch auch sie werden zwei Jahre später geschlossen. Die Lager sollen die neu gegründete DDR nicht belasten. Zur Schließung führt auch der Protest aus dem westlichen Ausland gegen die menschenrechtsverletzende Behandlung der Gefangenen.
Insgesamt kommen gut 45.000 Insassen in Freiheit, 756 werden zum Tode verurteilt. Doch auch nach der Schließung der Speziallager werden etliche Gefangene nicht entlassen. Sie werden in Zwangsarbeits- bzw. Kriegsgefangenenlager in der Sowjetunion verschleppt, um dort schwerste Arbeiten zu leisten. Außerdem überstellen die Behörden noch 14.202 Insassen in DDR-Gefängnisse. Einigen tausend Häftlingen ohne Anklage wird in den Schnellverfahren in Waldheim der Prozess gemacht.
Das lange Schweigen nach dem Lager
Details über die Verhaftungen, Verhörmethoden und das Leben in den Speziallagern werden erst nach 1990 breit aufgearbeitet: Zeitzeugen schildern Einschüchterungen durch Scheinexekutionen, Schläge sowie Essens- oder Schlafentzug und dadurch erzwungene Unterschriften unter auf Russisch verfassten Vernehmungsprotokollen. Heute wird in den Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager auch deren spätere Nutzung als sowjetische Speziallager sowie deren Insassen thematisiert. In Buchenwald gibt es seit 1990 ein Gedenkkreuz, das Angehörige mit Suchanfragen versehen und neben dem sie auch selbst weitere Kreuze aufstellen. Eine Aufarbeitung findet zudem seit 1997 in Form einer Ausstellung zu sowjetischen Speziallagern statt.
Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Gedenken sowjetisches Speziallager in Buchenwald | 30. August 2020 | 19:00 Uhr